Auf eine Tasse mit dem Kaffeesommelier

Am 1. Oktober ist Tag des Kaffees. Grund genug, sich mit Deutschlands erstem Diplom-Kaffeesommelier über das heiße, schwarze Getränk auszutauschen.

Für manche vielleicht die wichtigste Information von Kaffeesommelier Michael Gliss vorneweg: Kaffee macht nicht wach, sondern unterdrückt die Symptome von Müdigkeit. Das mag für Nachtschichten am Schreibtisch reichen, für lange Autofahrten aber eher nicht.

Kaffeesommelier Michael Gliss
Kaffeesommelier Michael Gliss
Foto: Gliss Caffee

Macht müde Geister nicht wirklich munter

Michael Gliss trinkt seinen morgendlichen Kaffee normalerweise als Espresso, jetzt zu Beginn der kalten Jahreszeit auch als Café Crème mit flüssiger Sahne – vor allem aus Genuss, nicht als Wachmacher. „Es hat mit dem individuellen Stoffwechsel zu tun, auf mich hat Kaffee kaum Müdigkeit unterdrückende Wirkung. Früher hat man hier an den Gewöhnungseffekt geglaubt, aber das ist inzwischen widerlegt. Immerhin machen in den meisten Fällen Kaffee, Guarana und Tee, vor allem Grüner und Matcha, schon munter.”

Humus und Himbeeren

Michael Gliss lebt in Köln und ist Deutschlands erster Diplom-Kaffeesommelier. Anders als bei einem Barista liegt der Fokus seiner Arbeit auf der Sensorik von Kaffee. „Wir sprechen von rund 1.000 Aromen, die sich im Kaffee nachweisen lassen. Das bedeutet natürlich nicht, dass man in einer Tasse Kaffee diese ganze Bandbreite wahrnimmt. Was wir beschreiben entstammt einem sensorischen Gedächtnis, das mit Assoziationen und Erinnerungen arbeitet. Andererseits lassen sich eben diese Moleküle auch ganz real mit dem Gas-Chromatographen nachweisen.” Das sind beispielsweise warme, erdige Noten – man denke an feuchten Humus oder auch trockene Baumrinde. „Skandinavische helle Röstungen können auch zitrische Noten von Zirbenholz haben, grüne Noten von frisch gemähten Gras und sehr oft erinnern sie auch an rote Früchte wie Kirschen, Himbeeren und vor allem Johannisbeeren. Eine klassische Röstung verbindet diese hellen Noten mit den warmen Aromen von Kakao, Nüssen, Haselnüssen und Mandeln, sogar Kokosnuss oder Honig und Gelee, ohne dass eine Einzelne dann heraussticht. Ganz dunkle Röstungen können auch nach Lakritz schmecken,“ erläutert Gliss.

Fertig erst beim Verbraucher

Inwiefern kann eine Kaffeerösterin oder ein Kaffeeröster Einfluss auf den Aromenkomplex nehmen? Liegt es beim Kaffee am Terroir wie beim Wein oder nimmt der Röster vor allem durch Länge und Temperatur des Röstvorgangs Einfluss? „Beides”, antwortet Michael Gliss. „Der Röstmeister überlegt sich anhand der Rohware in welche Richtung er seinen Kaffee haben möchte. Dazu gibt es für Temperatur und Zeit jeweilige Kurven. Dann macht er zuerst eine Proberöstung im Trommelröster über der Gasflamme, bevor er die gesamte Charge verarbeitet. Aber der Kaffee wird erst bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern zum fertigen Produkt. Allein schon die verwendete Menge und Zubereitungsart, etwa Vollautomat, French Press oder Filterkaffee, und vor allem der damit jeweils verbundene Mahlgrad, ist wichtig für das Ergebnis in der Tasse. Übrigens hat auch die Wahl der Kaffeetasse ihren Einfluss, ein Espresso aus dem Mug verliert sein Aroma.”

Verschieden geröstete Kaffeebohnen in unterschiedlichen Farbtönen und Texturen.
Foto: Dragon42 – stock.adobe.com

Jeder nach seiner Fasson

Apropos Zubereitungsart, wie steht der Kaffeeexperte zu Kaffeekreationen wie dem sommerlich omnipräsenten Iced Coffee oder aktuell dem Pumpkin Spice Latte und anderen aromatisierten Kaffees? „Mein Ding ist es nicht, aber da habe ich überhaupt keine Ambition zu missionieren, sondern freue mich über die Leute, die ich zusätzlich erreiche. Wir haben einen Gast, der manchmal dreimal täglich kommt, den Latte Macchiato mit drei Portionen Karamellsirup bestellt und zusätzlich mit bis zu sieben Löffeln Zucker anreichert. Wer bin ich, da irgendwas zu sagen?” Wer da die Nase rümpft, sollte überlegen, dass zum Beispiel ein Ca Phe Sua Da, ein traditioneller Kaffee mit gezuckerter Kondensmilch zum Abschluss eines Mahls in Vietnam, auch nicht weit davon entfernt sei. Davon abgesehen macht der Kaffeesommelier aufmerksam auf die Vielfalt des Angebots: „Nie war das Angebot diverser als heute. Wer vor dreißig Jahren einen Eiskaffee wollte, bekam Vanilleeis mit Kaffee drüber, im schlimmsten Fall aus der Filtermaschine. Wer das heute wünscht, bestellt sich am besten einen Affogato.”

diverse Kaffeespezialitäten, Foto: jyk1018102 – stock.adobe.com

Starbucks sei Dank

Die Lust auf Kaffeevielfalt sieht Gliss mit dem Einzug von Starbucks in Europa vor über 20 Jahren, als diese ihren ersten Laden 2001 in Zürich eröffneten. „Vorher gab es in dem Sinne hier gar keine Coffee Bars. Inzwischen hat sich der Trend längst weiterentwickelt hin zum Specialty Coffee.“ Von den ursprünglich 2002 angestrebten 1.000 Filialen des amerikanischen Unternehmens in Deutschland sind 160 übriggeblieben. Aber davor gab es hier lediglich Filterkaffee, dessen Patent 1908 von Melitta Benz im ostwestfälischen Minden stammte. Espresso und Cappuccino kamen erst im Zuge der Popularität italienischer Esskultur in den Neunzigern nach Deutschland.

Lieber klein und fein

Als Gegenentwurf zur globalen Kaffeekette sieht er beispielsweise die 2002 gegründete Kaffeebar Gliss Caffee Culture in Bensberg nahe Köln, ein Nachbarschaftskonzept zur Nahversorgung, bei dem die Menschen vor Ort ihren Kaffee bei ihm kaufen und dabei beste Expertise erhalten. Woher kommt die Leidenschaft für das Thema Kaffeegenuss bei Michael Gliss, etwa ein extra Espressoshot in der Muttermilch? Michael Gliss lacht: „Reine Neugierde, nachdem ich vorher schon Kaffeemaschinen verkauft habe und vor allem nach dem Abitur in der Nähe von Nizza als Barista gearbeitet habe, quasi als Abenteuer. Da habe ich zum einen die mediterrane Kaffeekultur kennengelernt, war andererseits aber auch angesichts der Siebträgermaschinen dort heillos überfordert. Seitdem hat mich aber das Thema nicht losgelassen und ich wollte immer tiefer eintauchen um darüber mehr zu erfahren.”

Bei aller Liebe zum schwarzen Getränk sieht aber auch der Kaffeesommelier den rasanten Anstieg des Preises für Kaffee. Aber dazu hat er eine ganz eigene Ansicht: „Kaffee ist ein Spekulationsobjekt, das gerade an der Börse explodiert. Der tagesaktuelle Preis liegt bei 2,54 $ für das amerikanische Pfund, das sind ungefähr 455 g. Wenn man sich aber überlegt, dass man aus einem Kilogramm 120 Tassen Kaffee kocht, dann liegt der Preis pro Tasse bei überschaubaren Cent-Beträgen. Bei der gesamten Lieferkette des Kaffees haben die Bauern den größten Aufwand und werden meiner Meinung nach unterbezahlt. Zur Nachhaltigkeit gehört eben auch die soziale Verantwortung.” Michael Gliss importiert seinen Kaffee deswegen direkt von den Bauern.

Artikel-Teaserbild (oben): New Africa – stock.adobe.com

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert