Organisationen wie die Tafeln sammeln jeden Tag Lebensmittel ein, die zum Wegwerfen zu schade sind und verteilen diese weiter. Wir haben einen Tag lang Menschen begleitet, die denen helfen, die sich darum sorgen müssen, ihren Hunger zu stillen.
Mittwochmorgens um halb acht herrscht in der Zentrale der Berliner Tafeln reges Treiben. Zehn Männer und Frauen sortieren Kohlrabi, Tomaten, Gurken, Chicorée, Mandarinen und Äpfel. Vorne an den Kisten hängen Zettel mit Straßennamen für die Einrichtungen, die sich hier Obst und Gemüse selber abholen. Vor dem Eingang der Zentrale steht die 13-köpfige Flotte an Mercedesbussen, allesamt von Daimler gesponsert. Insgesamt 150 Menschen arbeiten bei den Berliner Tafeln. Mit zwei von ihnen, Lutz und Uwe, geht heute Morgen die Tour durch Berlin.
Vom Großmarkt geht die Fahrt Richtung Neukölln zum Real. Uwe gibt im Geschäft Bescheid und Lutz manövriert den Bus zur Warenannahme des Supermarktes. Sieben Kisten mit weihnachtlichen Süßigkeiten warten darauf abgeholt zu werden. Der Bus ist nicht leer losgefahren: Hinten im Laderaum stehen bereits Kisten mit Obst und Gemüse, die für die sozialen Einrichtungen eingeplant sind. Lebensmittel wie Gebäck und Milchprodukte sind vertraglich fest eingeplant.
Deo vom Flughafen
Erste Abgabestation ist die Obdachlosenunterkunft im Neuköllner Reuterkiez. Der Hausmeister wartet bereits mit leeren Kisten. Dafür bekommt er drei Kisten mit Joghurt, Tomaten und überraschenderweise Kosmetikartikeln, wie Deodorants, Duschgel oder Bodylotion. Lutz klärt auf: „Die Tafeln sammeln am Berliner Flughafen die Säcke mit Flaschen am Security Gate ein, die anschließend von ihnen sortiert werden. Viele Menschen versuchen, Flüssigkeiten wie Deo im Handgepäck mitzunehmen, die sie dort entsorgen müssen. So erhalten dann die Bedürftigen dann Pflegeprodukte die im Idealfall gerade erst angebrochen sind.“
Die Guten in die Kisten, …
Bei den Lidl-Filialen in Kreuzberg, Neukölln und Friedrichshain bekommen die beiden Männer Obst und Gemüse: Melonen, Tomaten, Eisbergsalat, Frühlingszwiebeln, Äpfel und Mandarinen, das meiste eigentlich noch in gutem Zustand. Bevor sie die Paletten in die Klappkisten entleeren, sortieren sie bereits eingegangene Ware aus. „Vor allem fertig geschnittene Salate vermeiden wir grundsätzlich, das ist nur noch Matsch bei der Abgabe“, erklärt Lutz.
Bei einer therapeutischen Wohngemeinschaft haben die Männer von der Tafel Pech. Nach mehrmaligem Klingeln von Uwe öffnet ein Mann die Tür, der ihn offenbar nicht versteht – Keiner da, der den Männern die Lebensmittel abnimmt. Umso mehr bleibt am Ende für die Kinder vom Abenteuerspielplatz Telux im Wedding.
Ein Stück Würde zurückgeben
Größere Tafeln, wie die Berliner, sammeln Lebensmittel von Händlern und Supermarktketten ein und beliefern dann soziale Einrichtungen von eigenständigen Vereinen oder Trägern wie der Diakonie. Unter dem Schirm des Bundesverbands der Tafeln vereinen sich mehr als 940 lokale Tafeln. „Manche sagen, es gäbe ebenso viele Konzepte für die Tafel. Sind quasi von unten her individuell gewachsen“, sagt die Pressesprecherin Anna Verres. „Alle einen unsere Richtlinien. Im Gegenzug zu Suppenküchen sind die Tafeln aber eher darauf fokussiert, Lebensmittel im ungekochten Zustand weiterzugeben, damit die Leute selber für sich kochen können.“
Natürlich gäbe es auch Tafeln mit Suppenausgabe, „diese sind aber eher als Orte der Begegnung gedacht, um sich bei einer gemeinsamen Mahlzeit auszutauschen. Soziale Armut ist oft genauso problematisch wie materielle“, sagt die Pressesprecherin. „Lebensmittel werden in den Einrichtungen entweder kostenlos abgegeben oder für einen symbolischen Betrag verkauft, was den Bedürftigen ein enormes Stück Würde zurückgibt und ihnen das Gefühl vermittelt Kunden zu sein und nicht zu betteln. Momentan wird in vielen Tafeln die Bildungsarbeit ausgebaut und so zum Beispiel vielerorts Kinderkochkurse angeboten.“
Hilfe zur Selbsthilfe
Armut hat viele Gesichter: Oft kommen Rentner und Langzeitarbeitslose mit ihrer Grundsicherung nicht über die Runden. Alleinerziehende Eltern müssen schauen, wie sie Essen auf den Tisch bekommen. Aber auch Asylsuchende gehören zu den 1,65 Millionen Menschen, die 2019 die Hilfe der Tafeln bundesweit suchten, um ein eigenständiges Leben führen zu können. Eine Gruppe bildet da die Ausnahme: Für Obdachlose, die keine Möglichkeit haben, sich ihre Mahlzeiten eigenständig zuzubereiten, sind die Tafeln nicht interessant.
Dafür beliefern die Tafeln auch soziale Einrichtungen, wie die Bahnhofsmission oder die offenen Mittagstische der religiösen Träger. Fahrer Lutz erzählt, dass die Bahnhofsmission Bahnhof Zoo von den Räumlichkeiten her nicht gut in der Lage ist, selber zu kochen, obwohl sie am sozialen Brennpunkt liegend große Nachfrage hat. „Die freuen sich dann besonders über die Vorräte vom Catering der Grünen Woche oder auch Konferenzen unterhalb des Jahres“, erzählt er.
Auf der Straße
Auf dem Weg zur Arbeit führt der Weg über den Anhalter Bahnhof. Auf der Parkbank in unmittelbarer Nähe der Ruine des Hauptportals liegt wie immer ein großer Textilberg aus alten Schlafsäcken, Jacken und Decken, darunter liegen Kartons und stabile Plastiktüten als Isolation gegen die Kälte von unten. Am Kopfende auf der Sitzfläche des Rollstuhls hat der Deckenberg ein Atemloch, das andere Ende ist deutlich verkürzt, die Beine des Menschen darunter sind wohl amputiert. Auf der Pfützenoberfläche der Sandwege taut die dünne Eisschicht in der Morgensonne. Weiter entlang des Weges liegt ein ähnlicher Deckenberg in der warmen, chlorigen Abluft des Liquidroms. Ob beide wohl erwachen?
Durchschnittlich wird ein Obdachloser keine 47 Jahre alt und hat bis zu vier Krankheiten parallel, offene Beine, infektiöse und parasitäre Hauterkrankungen, die sogenannte „Schleppe“, wie die Schwester am Telefon der Jenny-de-la-Torre-Stiftung, einer medizinischen Einrichtungen für Obdachlose, erklärt. Hinzu kämen oft Suchterkrankungen, Einsamkeit und Depression.
Des Menschen Willen…
„Und trotzdem ist es so, dass nicht Sie, der Kältebus, die Polizei oder die Feuerwehr einen Menschen gegen seinen Willen von der Straße runterholen können, egal ob er droht zu erfrieren oder nicht. Nur der Amtsarzt hat dazu die Befugnis. Wenn Sie aber nachts einem Obdachlosen begegnen, sprechen Sie ihn an! Wenn er nicht reagiert oder Sie den Eindruck haben dass er Hilfe benötigt, rufen Sie die Berliner Kältehilfe unter 030 810560425 oder den Kältebus unter 0178 523 58 38.“
Gegenwärtig sei es aber so, dass die Notunterkünfte aufgrund der vergleichsweise milden Temperaturen lediglich zu 75 Prozent ausgelastet sind. „Auf der anderen Seite meiden viele Obdachlose Notunterkünfte wie die Wärmehalle und schlafen lieber an der frischen. Aus Angst vor Diebstahl und Gewalt, aber auch aus Ekel vor dem Geruch, auch wenn es dort überall sanitäre Anlagen zur Reinigung gibt, die Hauterkrankungen riechen stark“, berichtet die Dame von der Obdachlosenhilfe die Brücke.
Artikelbild (oben): Johannes / lebensmittelmagazin.de