Ob nostalgisches Lieblingsmittagessen aus Kindertagen, Gaumenschmaus im Campingurlaub, Frühstück nach einer durchzechten Nacht, des Studenten letzte Hoffnung am Monatsende oder des Preppers eiserne Ration – Dosenravioli haben ihren festen Platz in vielen Vorratsregalen. Die Zubereitung geht einfach, lässt aber auch Raum für Kreativität. Ein Profikoch hat für uns drei Varianten kreiert.
„Wenn Sie Ravioli mit Kräutern oder mit anderen Dingen zubereiten wollen, nehmen Sie Kräuter und schälen (von den Stängeln abziehen) und waschen Sie sie gut. Lassen Sie sie ein wenig kochen und ziehen Sie sie heraus (aus der Pfanne) und drücken Sie das ganze Wasser aus. Schlagen Sie sie mit einem Messer (hacken) und dann in einem Mörser (mahlen). Nehmen Sie frischen, passierten Käse, Eier und kräftige, süße Gewürze und vermischen Sie diese gut miteinander, um eine Paste herzustellen. Nehmen Sie dann eine dünne Schicht Nudeln in Form von Lasagneblättern, nehmen Sie eine große Portion (Löffel) und machen Sie die Ravioli. Wenn Sie fertig sind, legen Sie sie zum Kochen und wenn sie gut gekocht sind, bestäuben Sie sie mit genügend Gewürzen und genügend gutem Käse und sie sind sehr gut“, heißt es im „Libro per Cuoco“, einem der ältesten Kochbücher der Welt eines unbekannten Venezianers aus dem 14./15. Jahrhundert. Mitte des 16. Jahrhunderts ist ebenfalls dokumentiert, dass den Kardinälen des päpstlichen Konklaves nachweislich Ravioli mit Hühnchenfüllung serviert wurden.
Urlaub auf dem Teller
Zur Verpflegung amerikanischer und italienischer Soldaten gehörten bereits im ersten Weltkrieg – neben vielen anderen Lebensmittelkonserven – auch Dosenravioli zur Versorgung. Es sollte allerdings bis in die 1950er Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs dauern, bis Eierravioli als erste Mahlzeit in der Konservendose in deutschen Haushalten auf den Tisch kam. Ab 14. Mai 1958 liefen sie im Maggiwerk in Singen über das Band.
Zusammen mit der adriatischen Reisewelle kam die Lust auf italienische Küche ebenfalls angespült. „Zaubern Sie den Süden auf Ihren Tisch mit Maggi Eierravioli“, heißt es im damaligen Werbespot. Ein fertiges Gericht, das ohne weitere Zugaben einfach nur erhitzt werden muss. Heute wandern 29 Millionen 800-Gramm-Dosen Eierravioli in sechs Varianten über die Produktionsbänder bei Maggi, einem der größten Player auf dem Markt.
Mehr Konserven durch Corona
Zusammen mit Nudeln, Mehl und Klopapier gehörten Dosenravioli im Zuge der Beschränkungsmaßnahmen in der Corona-Pandemie zu einem der beliebtesten und daher häufig vergriffenen Notfallversorgungsequipment. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe weist in seinem Notfallplan darauf hin, dass Lebensmittel, wie Vollkonserven (worunter Eierravioli fallen) auch kalt genossen werden können. Deswegen sollte man sie im Notfall erstmal aufsparen – Eierravioli, die letzte Mahlzeit …
Im Schrebergarten
Irgendwo im äußersten Westen von Berlin liegt die Schrebergartenparzelle von Daniel Schade, Vizepräsident des Verbands der Köche Deutschlands und Küchenleiter des Tannenhofs Berlin-Brandenburg, eine Einrichtungsstätte zur Rehabilitation von Suchtkranken. Eine Woche ist die telefonische Anfrage her, Dosenravioli „aufzupimpen“. Nach spontaner Entgeisterung erinnert er sich doch daran, in seiner Ausbildungszeit zuletzt eine Raviolikonserve geöffnet zu haben. Die Idee reizt ihn.
Jetzt im Frühherbst hängen schwere Wolken am Himmel über Berlin. Im Garten verteilt leuchten Kürbisse, Zucchini und Tomaten. Dazwischen wuchern Küchenkräuter wie Basilikum, Majoran und Oregano. „Alles aus Kräutertöpfen vom Discounter“, sagt Daniel Schade. Dann geht es buchstäblich ans Eingemachte, klassische Ravioli in Tomatensoße von Maggi aus der Dose, hier im Schrebergarten ist dafür auch die passende Umgebung. Als erstes werden sie frisch und kalt aus der Dose verkostet. Daniel schade ist überrascht: „Der Geschmack ist besser als aus der Erinnerung. Auch wenn die Fleischfüllung neutral schmeckt, die Soße schmeckt gut und macht es aus.“
Instagrammable: Die Dosenravioli-Bowl
Als Erstes werden die Ravioli im grob-perforierten Durchschlag von der Tomatensoße befreit und anschließend noch etwas abgespült. „Das gibt hässliche schwarze Flecken auf den Ravioli, wenn die Tomatensoße verbrennt“, erklärt der Koch. Die Tomatensoße wird natürlich aufgefangen, „die wird die Grundlage unseres Dressings“, erklärt er.
Die Ravioli werden mit neutralem Pflanzenöl bepinselt, bevor sie auf den Grill gelegt werden. Als nächstes wird der Pakshoi geputzt, der als Salatgrundlage dient. In der Pfanne brät der VKD-Vizepräsident Stücke vom grünen Spargel zusammen mit Schalotten und kleingeschnittenem Kräuterseitling als Salattopping an. Für das Salatdressing mixt er die kalte Tomatensoße zusammen mit ein bisschen Zwiebeln und Knoblauch, Oregano, weißem Balsamico und Olivenöl, so wie Salz und Pfeffer auf – auch wenn die Tomatensoße bereits gewürzt ist. „Salz ist der Öffner der Geschmacksrezeptoren und bringt die anderen Aromen heraus“, erklärt der Koch.
Zusammen mit Blättern vom Roten Basilikum füllt Daniel Schade den Pakshoi auf dem tiefen Teller und arrangiert darauf die gegrillten Ravioli neben geschwenktem Gemüse und ein paar knackigen Kirschtomaten.
Inspiration aus der Studentenküche
Weil die Konservendose noch zur Hälfte gefüllt ist, lässt sich der Küchenleiter noch ein zweites Rezept einfallen. Das Konzept ähnelt der Studentenküche – was man zu Hause im Kühlschrank hat und reinpasst – hier in der Profiversion.
Diesmal werden die Ravioli in Olivenöl in der Pfanne knusprig gebraten, nacheinander wandern ebenfalls der grüne Spargel, die Schalotten, Kräuterseitling sowie das weiße vom Pakshoi und ein paar Kirschtomaten hinein. Nach dem Abwürzen mit Salz und Pfeffer breitet sich ein verführerischer Geruch im Garten aus. „Ich habe noch überlegt, das Gericht mit Weißwein abzulöschen, aber die Qualität der einzelnen Produkte macht das überflüssig“, erklärt der Vizepräsident. Beim Anrichten im tiefen Teller verteilt Daniel Schade die kalte Tomatensoße pur über das Gericht, „nappieren“ wie er das nennt.
Wenn die Kreativität nicht loslässt
Man könnte meinen, das Experiment sei erfolgreich beendet. Die Neugier aber obsiegt mit Blick auf die zweite Konservendose: Ravioli in pikanter Sauce. Die erste Überraschung beim Öffnen der Dose ist, dass es sich bei den Ravioli in Wirklichkeit um Cappelletti, Halbmonde handelt. Nach der Kaltverkostung wird übereinstimmend festgestellt, dass die erste Dose bevorzugt wird. Aber der Ehrgeiz ist groß: Auch diese Ravioli haben Potenzial.
„Ich habe da hinten im Garten einen White Eight Ball Squash, einen kugelförmigen Zucchino wachsen, der würde sich zusammen mit den Ravioli als Amuse-Gueule anbieten.“ Wenige Augenblicke später taucht er mit dem kugelrunden Gemüse auf. Einträchtig liegen Zucchini-Scheiben und Cappelletti eingeölt auf dem Grill, dekoriert mit Rosmarin- und Thymianzweigen. In einem Topf brodelt die zuvor abgetropfte Soße zwecks Konzentrierung. Aufeinander drapiert mit der Hackfleischsoße drum herum schaut es auf dem riesigen Teller zum Essen nicht fast zu schade aus?
– 210 Jahre Konservendose und immer noch angesagt: Hier liest du warum –