Algen stecken heute in einem großen Teil der verarbeiteten Lebensmittel, meist als Zusatzstoff. Aber auch kulinarisch müssen sie sich nicht verstecken.
Auch wenn Algen als alternative Proteinquelle und Lebensmittel der Zukunft gelten, haben Menschen weltweit eigentlich schon immer Algen gegessen, vor allem in der Küstenregion. Der älteste archäologische Nachweis stammt aus Chile vor 14.000 Jahren. Aber auch in hiesigen Gefilden werden Algen schon lange gegessen. In einem Gedicht irischer Mönche taucht die Dulse-Alge im 12. Jahrhundert nach Christus auf.
Kirstin Knufmann ist Geschäftsführerin der Firma PureRaw und in diesem Zusammenhang Pionierin und Expertin für Algen als Lebensmittel. Denn auch wenn Algen als Zusatzstoffe in einer Vielzahl von Lebensmitteln, Kosmetika und sonstigen Produkten auftauchen, so ist Alge als primäre Lebensmittelzutat nach wie vor eine besondere, nicht alltägliche Delikatesse, die vielleicht sogar oftmals polarisiert.
Landwirtschaft unter Wasser
Im Gegensatz zu den Süßwasseralgen, wie der Mikroalge Chlorella, ist der Anbau von marinen Algen unabhängig vom Meer schwierig. „Auf Sylt gibt es eine kleinere Farm eines Professors, der mit Algenzucht in Tanks experimentiert“, weiß Kirstin Knufmann. „Es wird auch getestet, ob Algenzucht in salzhaltigem Wasser in Lebensmittelqualität erfolgversprechend ist.“
Das Vorkommen jeder spezifischen Alge ist abhängig von der Wassertemperatur, den Gezeiten und der Wassertiefe. Den Meeressalat, Ulva, findet man in Küstennähe, während eine große Alge wie Kombu, mit fünf bis zehn Metern Länge pro Pflanze, eher weiter draußen zu finden ist.
Irische und norwegische Fischer impfen Seile mit den Algen, um so in Küstennähe Kombu anzubauen. In Japan, wo Kombu klassische Grundlage der Brühe, Dashi, ist, wird dieser ähnlich wie bei uns der Wein gehandelt und nach Jahrgängen und Anbaugebiet geschätzt. „Die Premium-Qualitäten werden aufwendig verpackt zu besonderen Anlässen verschenkt“, berichtet die Expertin.
In abgelegenen arktischen Gebieten bei Grönland wird Dulse in hervorragender Qualität geerntet, Meeresspaghetti werden hingegen am felsigen Meeresgrund abgeerntet. Die meisten Zuchten befinden sich aber noch in der Erprobungsphase, „wobei man aber schon festgestellt hat, dass horizontal ausgelegte Seile ein gleichmäßig gutes Wachstum begünstigen.“ Wie alle Pflanzen brauchen Algen Licht, um Photosynthese zu betreiben. „Für diese Zuchten müssen Regionen erschlossen werden, die fernab der üblichen Handelsrouten liegen und beste Wasserqualität aufweisen. Altes japanisches Sprichwort: ‚Wenn du gute Algen haben möchtest, pflege den Wald dahinter‘“, sagt Kirstin Knufmann.
Alge schmeckt nicht nur nach Alge
„Ulva zum Beispiel ist eine gute Einsteigeralge, die man als Flocken hervorragend über Salat streuen kann, sehr zart im Biss und zurückhaltend im Geschmack“, beschreibt Kirstin Knufmann. Die Nori-Alge kennt man als Mantel von Maki-Sushi, „mit ihr kann man ebenfalls hervorragend Salat würzen, sie hat aber einen kräftigeren, süßlich-rauchigen Geschmack. Man kann sie auch frisch verarbeiten, dann wird sie in Salz geliefert, das man nur noch wässern muss, vor der weiteren Verarbeitung.“
Wakame bildet die Grundlage des leuchtend grünen Algensalats, den man aus Frischetheken des Öfteren kennt. „Den essen sie alle“, lacht Frau Knufmann. Er habe einen kräftigen und würzigen Geschmack. Die grüne Farbe bekommt Wakame durch das Blanchieren und Nachfärben. In Asien wird die Wakame als Kalziumquelle geschätzt und ihr werden traditionell positive Gesundheitswirkungen zugesprochen, weshalb sie auch in der Kosmetik verwendet werde.
Jodreiche Alge
Die Kombu ist reich an Glutaminsäure (Umami) und damit als Kochsalzalternative interessant, mit einem kleinen Aber: „Nicht ohne Grund ist Kombu gelegentlich schwer erhältlich. Grund hierfür ist der hohe Jodgehalt der Alge. Denn über die tägliche Aufnahmeempfehlung von Jod gibt es in Europa Uneinigkeit. So liegt die empfohlene tägliche Verzehrmenge von Jod in Frankreich etwa um den Faktor hundertmal höher als in Deutschland. Was wiederum kein Vergleich mit Asien ist. Tendenziell ist die Versorgung mit Jod in Europa mangelhaft. Unter Umständen reagiert die Schilddrüse dann auf die hohe Joddosis. Das kann dann zu Unruhezuständen und Schlafstörungen führen. Menschen mit Schilddrüsenproblemen sollten hier sensibel sein“, empfiehlt Kirstin Knufmann. Auf der anderen Seite trägt Jod zu einer normalen Produktion von Schilddrüsenhormonen und zu einer normalen Schilddrüsenfunktion bei sowie zu einer normalen kognitiven Funktion und einer normalen Funktion des Nervensystems.
Bei Hijikialgen, die man gelegentlich als Beilage beim Japaner auf der Speisekarte findet, spricht sie überraschend eine Warnung aus. Es fänden sich häufig hohe Belastungen beziehungsweise Konzentrationen mit Arsen. „Im Zweifelsfall liegen lassen, es gibt auch andere tolle Algen“, empfiehlt die Algenexpertin. Qualität sei bei Algen eine wichtige Frage.
Bei Risiken und Nebenwirkungen
Aufgrund mangelnder Erfahrungswerte bei den Endverbraucher:innen kommt es hier zu Unsicherheiten, wie Schwermetallenbelastungen, die ein gesundheitliches Risiko darstellen können. Wichtig ist eine entsprechend gute und kontrollierte Qualität. Eine freiwillige Angabe, die Aufschluss auf die Seriosität des Herstellers gibt, ist z. B. der chargenbezogene Jodwert. Algen sind hier vergleichbar mit Pilzen, die Schwermetalle wie ein Schwamm aufnehmen. Jod ist diesbezüglich etwas unproblematischer, durch sorgsames Wässern bekommt man bis zu 90 Prozent davon herausgewaschen.
Es empfiehlt sich Algen in guter Qualität beim vertrauenswerten Händler zu kaufen. Diese gebe es auch in Bioqualität, was sich gut anbietet, da Makroalgen „anders als beispielsweise Chlorella, im Anbau der Landwirtschaft sehr ähnlich sind, aber Alge ist eben nicht gleich Alge.“
Zum leckeren Einstieg: Rezept für Algensalat
Den auf Algen neugierigen Verbraucher:innen empfiehlt die Algenexpertin, diese mit Klassikern zu kombinieren. „Jetzt in der kalten Jahreszeit hat man wieder Lust auf Eintöpfe. Zu diesen lassen sich Algen hervorragend kombinieren, beispielsweise in der Kohlsuppe.“ Andererseits begrüßt sie den Trend der Poké- und anderen Bowls, die sehr oft Algen in ihren Geschmackskompositionen integrieren.
Für alle die den Algensalat an der Frischetheke mögen, empfiehlt Kirstin Knufmann den Algensalat mit Gurke und Ingwer aus ihrem Kochbuch „Algen“ (Kosmos Verlag):
- 120 g Wakame
- 1 mittelgroße Salatgurke
- 2 Knoblauchzehen
- 4 cm Ingwer
- 6 EL Reisessig
- 6 EL Sesamöl
- 2 EL Zitronensaft
- 4 EL Rohrohrzucker
- 2 TL Sojasauce
- Chilipulver
- 2 EL gerösteter Sesam
- 4 EL Koriander
„Die Algen mit heißem Wasser übergießen. Nach 10 Minuten die Algen aus dem Wasser nehmen, leicht auswringen und in dünne Streifen schneiden. Die Gurke waschen, Enden entfernen, längs in feine Stifte schneiden und mit den Algen vermischen. Den Knoblauch schälen und klein hacken. Den Ingwer schälen und fein reiben. Für das Dressing Reisessig, Sesamöl, Zitronensaft, Ingwer, Rohrzucker Sojasauce und Knoblauch verrühren und mit Chilipulver nach Bedarf würzen. Das Dressing gut mit dem Salat vermischen und eine Stunde ziehen lassen. Den Salat auf vier Schalen aufteilen und mit dem gerösteten Sesam und dem frischen Koriander bestreuen.“
Algen auf dem Frühstückstisch
Samstags in der Kreuzberger Markthalle 9, Foodie-Mekka und Tummelplatz für Lebensmittelvisionäre, steht der Stand der Oceanfruit GmbH, ein Berliner Startup-Unternehmen, das erst im Juli 2019 gegründet wurde. Als Mann/Frau-Unternehmen mit inzwischen fünf studentischen Mitarbeitern haben es sich Jacob von Manteuffel und Deniz Ficicioglu zur Aufgabe gemacht, Algen als Feinkostsalat „schmackhaft“ zu machen – ob koreanisch, Rote Bete/Meerrettich, Senf/Dill oder mediterraner Frutti del mare.
Der Hintergrund beider Gründer half ihnen dabei sehr. Von Manteuffel hat im Rahmen seines Masters in Ressourcenmanagement an einer Dokumentation über Algen weltweit gearbeitet und Ficicioglu konnte zuvor als Kommunikationswissenschaftlerin bei der Foodie-App Kitchen Stories, sowie im Think Tank Hermann’s von Verena Bahlsen Erfahrungen sammeln und hat darüber hinaus zwei eigene Kochbücher vorzuweisen.
Überraschend und unverhofft kam dann dieses Jahr der Peta Vegan Award in der Kategorie Seafood-Alternative. „Wir hatten uns dafür gar nicht beworben, weil es unser Ziel ist, den Geschmack der Algen positiv hervorzuheben und nicht Seafood zu imitieren“, erklärt Jacob von Manteuffel. Die Salate sind inzwischen bei der norddeutschen Rewe, bei Bio Company und LPG gelistet.
Wakame aus Norwegen
Bislang käme der Wakamesalat tiefgefroren aus China und Taiwan. Die von Oceanfruit verwendete sogenannte „Atlantikwakame“, Flügeltang, sei biozertifiziert und werde auf einer Farm in Norwegen angebaut. „Vor Ort wird sie in gefiltertem Meerwasser blanchiert, das hat vor allem geschmackliche und ökologische Vorteile“, beschreibt der Gründer. Für den Transport werden die Algen noch geschnitten und gefrostet. „Wir arbeiten bereits am nächsten Schritt, die Algen schonend zu trocknen, um kein Wasser transportieren zu müssen.“
Algen von Helgoland?
Langfristige Vision eines Pilotprojekts sei eine eigene Algenfarm auf Helgoland, Deutschlands einziger Hochseeinsel. „Mit ihrem felsigen Untergrund bietet sie optimale natürliche Bedingungen für unsere Algen“ – Herausforderung: Helgolands Küste ist vollständiges Naturschutzgebiet, mit dem positiven ökologischen Fußabdruck des Farmkonzepts müsste man erst die Naturschutzbehörden überzeugen.
Beitragsbild (oben): Pressebild Oceanfruit GmbH