Supermärkte ohne Verkäufer, Gemüse zum Selberernten, automatisch wechselnde Preisschilder – wie kaufen wir in Zukunft ein? Zum Jahresende ein Blick auf Ideen für morgen.
Ob Nachhaltigkeit, Kundenservice oder Effizienz – auch in Supermärkten finden wir hierzu Antworten und neue Knzepte. Manche werden erst in Pilotprojekten ausprobiert, andere bereits als Rollout implementiert. Tatsache ist: Morgen einkaufen beginnt bereits heute.
Der Acker im Supermarkt
1915 tauchte bereits der Begriff Vertical Farming im gleichnamigen Buch von Gilbert Ellis Bailey auf. Mehr als 100 Jahre später beschreibt der Begriff landwirtschaftliche Anbau-Module unabhängig vom Acker. Dafür können die Pflanzen effizient übereinander überall angebaut werden, beispielsweise in Innenräumen wie Supermärkten.
Pionier in diesem Bereich ist das Unternehmen Infarm, das dieses Jahr sowohl mit einer Reihe Filialen der Edeka als auch mit Kaufland Kooperationen eingegangen ist und jetzt den Kund:inn:en Kräuter und Salat bedarfsgerecht zum Abernten in den sogenannten „Infarm-Farmen“, Vertical-Farming-Modulen, anbietet.
Maria Theresia Heitlinger, Senior Professional der Unternehmenskommunikation bei Schwarz, zählt die Vorteile für den Schritt von Kaufland auf: „Dadurch werden unter anderem 90 Prozent Transportwege, 95 Prozent Wasser im Vergleich zum konventionellen Anbau eingespart, auf Pestizide kann komplett verzichtet werden. Das Gewächshaus ist mit Infarms zentraler cloud-basierter Anbauplattform verbunden, die laufend dazulernt, sich automatisch anpasst und so die Anbaubedingungen immer wieder optimiert.“
[Wie es auf eine Aquaponik-Farm aussieht, siehst du hier.]
Wider den Preisschildwechsel
Besser spät als nie: Lidl Deutschland erprobt noch dieses Jahr im Raum Heilbronn den Einsatz von Electronic Shelf Labels, digitalen Preisschildern am Regal. Diese soll es zunächst im Obst- und Gemüse-Sortiment geben. Günstigere Technik, aber auch der Preiskampf, der den höherfrequenten Schilderwechsel zum Kostenfaktor macht, überzeugen den deutschen Lebensmitteleinzelhandel zur Investition in ESLs. Die digitalen Preisschilder bieten beispielsweise größere Flexibilität bei der Preisreduzierung für Lebensmittel mit noch kurzer Haltbarkeit. Ebenfalls sollen durch die Technik etwaige Ärgernis verursachende Preisdifferenzen zwischen Regal und Kasse verhindert werden.
Bis zum bundesweiten Rollout wird wohl noch Zeit vergeben, sodass Lidl-Kassierer:innen bundesweit – zumindest jenseits von Heilbronn – anlässlich der zum Ende des Jahres auslaufenden Mehrwertsteuersenkung sämtliche Preisschilder an den Regalen umetikettieren dürfen. Während die ESL-Technik in Ländern wie Schweden oder der Schweiz für Lidl priorisiert ist, hängen Deutschland und Frankreich ein bisschen hinterher.
Nachts allein im Discounter
Ob sich das Konzept an Soziophobe richtet, die sich vor Kassenschlangen fürchten oder dem ambivalenten Halbsatz „Hier nicht mehr drauf“, an Menschen, denen abends um Viertel nach zehn einfällt, dass sie unbedingt noch Hüttenkäse benötigen, oder ist es doch die Konkurrenz zu Späti/Tankstelle bezüglich Getränkenachschub für die WG-Party – „aus Wettbewerbsgründen“ macht die Unternehmenskommunikation von Netto (mit ohne Hund) über das Gesamtkonzept keine Angaben.
Nicht ganz: „Gerne bestätigen wir unseren aktuellen Pilot-Test im Rahmen unseres Selfcheckout-Service: das eigenständige Bezahlen an den SB-Expresskassen in den Nachtstunden ohne Mitarbeiter-Einsatz. Mit diesem neuen mobilen Service positionieren wir uns erneut als Vorreiter im Wettbewerbsumfeld“, teilt Christina Stylianou, Leiterin Unternehmenskommunikation von Netto Marken-Discount, dazu mit. „Der aktuelle Pilot-Test läuft in Netto Marken-Discount-Filialen in Berlin, Aachen, Bochum, Frankfurt, Hamburg, Hannover und Osnabrück.“
Der Selbstcheck mit Selfcheckout
Eine kurze Online-Recherche ergibt, dass eine der in Berlin infrage kommenden Filialen im Bergmannkiez nur ein paar Fahrradminuten entfernt liegt. Um kurz nach 22 Uhr aufs Rad geschwungen, um auf Shoppingtour zu gehen – tatsächlich, der Discounter ist hell erleuchtet.
So einfach kommt man jedoch nicht rein. Auf einem Plakat erhält man die Information, dass man sich erst mit der EC- oder Kreditkarte ausweisen müsse, bevor einem Einlass gewährt wird. Aber, oh Schreck! Kurz nachdem die EC-Karte die Tore sich öffnen lässt, marschiert so ein zweifelhafter Typ einfach rein. Kurz kommt der Gedanke ihn aufzuhalten, De-ashi-barai, Fußfeger, und dann den Armhebel, Juji Gatame, aber dann? Oh Gott, wenn der sich jetzt die Taschen füllt und einfach rausgeht ohne zu zahlen, wird das wohlmöglich auf die EC-Identität belastet! Im Augenwinkel vergeht kein Moment, an dem er nicht beobachtet wird. Eine Dose Berliner Kindl, Bio-Räucherlachs, DDR-Worcestersauce fürs Frühstücksei landen in den Einkaufskorb, wer braucht sowas nicht nach 22 Uhr? Wichtiger ist es, den Typ nicht aus dem Auge zu verlieren, das Herz schlägt immer vernehmlicher.
Der Kassenbereich ist leer, etwas unschlüssig kommt vor den Kassenbändern die innere Frage auf, wie es nun weitergehen mag. „Kommse hierüber, hier sind die SB-Kassen“, ruft der Sicherheitsmann munter zu. Über ihm hängen vier Monitore der Sicherheitskamera, die jeden potenziellen Diebstahl festgehalten hätten. Eine Woge der Entspannung kehrt zurück. Während Dosenbier, Räucherlachs und Würzsauce über den Scanner gehen, kommt es zum netten Gespräch mit dem Sicherheitsmann. „Joah, den Hinweis, vorm Verlassen des Geschäfts mit der Karte zu bezahlen, muss ich schon gelegentlich geben“, grinst er. Er bestätigt auch, dass die anfängliche Ausweisung des komischen Typs wegen vollkommen unbedenklich gewesen war, für Überwachung und Sicherheit sei gesorgt. Ob er sich das Konzept auch an der Kotti-Filiale vorstellen könne? „Um Gottes Willen, da erlebe ich tagsüber schon die krassesten Sachen.“
Während des Gesprächs kommen zwei weitere Männer nacheinander ins Geschäft. Das Angebot wird also wohl durchaus angenommen. Nach einem freundlichen Tschüss zum Sicherheitsmann scheitert der Versuch, durch den Ausgang nach draußen zu kommen. Mit fiesem Ton versperrt die Schranke den Weg nach draußen. „Das wird der Räucherlachs sein, wartense, ich lasse Sie raus“, sagt der Sicherheitsmann.
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