Wider unnötiger Lebensmittelentsorgung gründete Marina Billinger eine Lebensmittelproduzenten-Plattform zur Erleichterung der Kommunikation, digital und global. Lebensmittelmagazin.de hat mit der Mediatorin gesprochen.
„Wie oft habe ich es innerhalb der letzten zehn Jahre im Rahmen meiner früheren Arbeit als Vermittlerin erlebt, vor riesigen Mengen an Lebensmittelrohstoffen zu stehen und dann zu erfahren, dass diese entsorgt werden. Können Sie sich beispielsweise einen Berg von zwei Tonnen zu entsorgenden Thymians vorstellen? So ein Bund im Supermarkt sind etwa 50 Gramm“, berichtet Marina Billinger, Gründerin des Start-up-Unternehmens Leroma, Kurzform von Lebensmittelrohstoffmarktplatz.
Drum prüfe wer sich ewig bindet …
Typischerweise handeln Lebensmittelhersteller mit fünf bis 200 Lieferanten im Rahmen einer oft jahrzehntelangen Partnerschaft. Zur Orientierung besuchen sie üblicherweise Fachmessen, wie beispielsweise die FI Europe, welche abwechselnd jährlich in Paris und Frankfurt stattfindet. „Dabei können es sich allerdings nur die größten Lieferanten leisten, sich auf diesen Messen zu präsentieren“, gibt Marina Billinger zu bedenken. Leroma ist eine globale Datenbank mit Listen an Lieferanten, für deren Lebensmittelrohstoffe es exakte Filter mit Fachkriterien gibt. Als es vor 20 Jahren noch kein Online-Fahrzeugmarkt gab, war man gezwungen, auf der Suche nach einem Gebrauchtwagen diverse Autohändler aufzusuchen. „Warum sollte es keine dementsprechende digitale Anwendung für das B2B-Segment der Lebensmittelbranche geben, um diese voranzubringen?“, überlegte sich die Gründerin. Ihr Ziel sei es, auch kleineren Herstellern und Bauern ein Marketinginstrument zu bieten, auf dem jeder kostenlos einen Account erstellen kann, Anbieter wie Kunde. Dabei verfolgt Leroma auf seiner Webseite zwei Strategien: Einerseits eine Lieferanten-Plattform, die Lebensmittelproduzenten und Lieferanten nutzungsfreundlich bestmöglich zusammenbringen soll. Andererseits liegt der Gründerin aufgrund ihrer Erfahrungen die Überschuss-Börse am Herzen. Sie teilt dazu noch eine beispielhafte Erfahrung:„Vor über zwei Jahren bekam ich in Rotterdam mit, wie 20 Tonnen Rindfleisch bester Steak-Qualität aus Argentinien entsorgt wurde. Der Transporteur hatte entgegen der Vorgaben das Fleisch eingefroren, woraufhin der Kunde die Annahme verweigerte. Fleisch, dass zumindest für die Verarbeitung wie beispielsweise Wurstwaren bestens geeignet gewesen wäre.“
Irren ist menschlich
Trotz optimierter Prozesse und Automatisierung, käme es erfahrungsgemäß immer wieder zu Rohstoffverschwendung in der Lebensmittelwirtschaft. Die Gründe dafür sind vielfältig: Kunden, die abspringen; Fehler bei der Bestellung oder bei der Lieferung, neue EU-Regelungen, die beispielsweise andere Labormesswerte vorsehen, Dinge, die leicht übersehen oder vergessen werden. „Bei Handelspartnern innerhalb der EU sind Retouren meistens unproblematisch. Dies ist bei mangelhaften Lieferungen aus beispielsweise Asien bisweilen anders, sodass oft Warenwerte bis zwei Millionen in der Bilanz abgeschrieben werden“, berichtet sie. Falscher Einkauf und teure Lagerung nur um es final doch zu entsorgen – das ist für Marina Billinger so nicht akzeptabel. „Schaut man andererseits auf die Tatsache, dass der Bausektor gegenwärtig die Marktpreise von Dextrose und Ascorbinsäure hochtreibt, die für Bauprozesse ebenfalls benötigt werden, stellt man allerdings fest, dass diese nicht in der Qualität von Lebensmitteln sein müssen. Ascorbinsäure hat ein Mindesthaltbarkeitsdatum von zwei Jahren, kann aber de Facto darüber hinaus noch verwendet werden.“ Abgelaufene Lebensmittel könnten beispielsweise in benachbarten Branchen noch zum Einsatz kommen. Hundert Tonnen Rohstoffe habe Leroma bereits innerhalb der letzten sechs Monate gerettet: Darunter abgelaufene Gelatine, die noch bei Paintballs zum Einsatz kam und überrösteter Kaffee für die Kosmetikproduktion.
Es gibt genug zu tun
1,6 Milliarden Tonnen Lebensmittel werden global pro Jahr entlang der Wertschöpfungskette entsorgt. Allein 37 Prozent bei der Primärproduktion, Vorverarbeitung und Verarbeitung – auf diese will sich Marina Billinger mit Leroma konzentrieren, um Lebensmittelabfall zu reduzieren. Allerdings gibt es auch Vorbehalte gegenüber dem digitalen Weg: „Große etablierte Unternehmen verlassen sich auf die konventionellen Wege, einen Lieferanten zu finden. Die kleineren, jüngeren Unternehmen sind da wesentlich aufgeschlossener. Man muss aber auch sagen, dass im Hinblick auf die Tatsache, dass Leroma erst Ende 2019 gegründet wurde, die Corona-Krise mit der Akzeptanz der digitalen Arbeitsweise für mehr Offenheit der Unternehmen gesorgt hat. Abgesehen davon, widersprechen sich Leroma und gewohnter kaufmännischer Usus nicht, nach der erfolgreichen digitalen Suche können die Geschäfte wie gewohnt abgeschlossen werden.“
Mittel bis langfristig ergeben sich für die ehemalige Mediatorin in der Lebensmittelwirtschaft weitere Optionen: „Carotin, unter anderem ein Färbemittel, wird bislang aus China gekauft. Jetzt steigen seit geraumer Zeit die Preise. Das betrifft uns dann auch als Verbraucher, wenn wir in sechs Monaten aufgrund dessen das Doppelte für solche Lebensmittel bezahlen müssen. Insofern lohnen sich mittel bis langfristig Produktionsanlagen, die aus Gemüse wie Karotten von der Leroma-Überschuss-Börse Carotin gewinnen und so für ein Stückchen mehr Unabhängigkeit vom internationalen Markt sorgen.“
Haupt-Artikelbild (oben): Nopparat – stock.adobe.com