Gekommen um zu bleiben: Invasive Tierarten

Immer wieder liest man von eingeschleppten Tier- und Pflanzenarten, welche die hiesige Flora und Fauna bedrohen, Neozoen, ein wunderschönes Palindrom. Lebensmittelmagazin.de hat sich darüber mit einigen Expertinnen und Experten unterhalten, unter anderem mit einem Start-up, das dagegen mit dem Kochlöffel anrückt.

„Naturschutz schmeckt!“, lautet die Devise von Innovationsberater Lukas Bosch, Mitgründer des Start-up-Unternehmens HOLYCRAB! aus Berlin. Aus einem Problem das Potenzial eines Projekts erkennen – dies möchte er nicht allein beratend, sondern mit HOLYCRAB! im kulinarischen Kampf gegen invasive Tierarten auch unternehmerisch umsetzen.

Köstliche Störenfriede

2019 probierten sich Lukas Bosch und sein Team für ein Jahr lang mit Foodtruck und Produktionsküche durch die breite Klaviatur der invasiven Arten und kochten beispielsweise auf Messen und Events, immer auf der Suche, wie man das Thema „Plagen“ für jeden Anlass und Geldbeutel kulinarisch umsetzen kann. „Dafür haben wir uns die EU-Liste der invasiven Tierarten angeschaut und uns mit Krustentieren, Fischen, Wild- und Pflanzenarten aus der jeweiligen Region auseinandergesetzt, mit der Chinesischen Wollhandkrabbe, Graskarpfen, der Nutria oder auch dem Japanischen Staudenknöterich. Wir haben dann beispielweise Nilgansbrust auf einem Event in Frankfurt am Main serviert. In Berlin haben wir die Krebsplage als Crab Roll in frisch gebackener Sauerteigbrioche mit hausgemachter Dillmayonnaise, mariniertem Staudensellerie und in Limettensaft eingelegtem roten Zwiebelsalat serviert. Der japanische Staudenknöterich kam bei mehrgängigen Dinner-Events zum Einsatz. Als Dessert schmeckt er ähnlich wie Rhabarber, man kann ihn aber auch herzhaft zubereiten, dann erinnert er an Spargel.“

Statt Hummer und Garnelen

Foodtruck und Produktionsküche sind inzwischen passé. Mit dem Brühe-Label J.Kinski wird gemeinsam erfolgreich Krabben-Essenz gekocht, womit sie inzwischen bei Großhändlern wie dem Frischeparadies gelistet sind. Diese wird gegenwärtig aus der chinesischen Wollhandkrabbe gekocht, die unter anderem in Havel, Spree und Elbe inzwischen beheimatet ist. Ebenso lokal berühmt ist inzwischen der Rote Amerikanische Sumpfkrebs. Dieser lebt in Berliner Parks, wie dem Tiergarten oder dem Britzer Garten und läuft gelegentlich Jogger:innen und Hundebesitzer:innen über den Weg. Der Rote Amerikanische Sumpfkrebs, lebt nicht nur in Konkurrenz zu heimischen Krebsarten wie dem Edelkrebs, sondern dezimiert heimische Bestände als Überträger der Krebspest, gegen die sie selbst immun sind. „Diese Sumpfkrebse leben zuhauf in den Parkgewässern, allerdings muss es geregnet haben, und es darf nicht zu warm und nicht zu kalt sein, damit man sie tatsächlich auch zu Gesicht bekommt. Im Sommer ziehen sie sich in den kühlen schattigen Schlamm zurück. Es ist halt Wildfang, ein saisonales Produkt. Allerdings ist es jetzt nicht so, dass wenn einem zufällig ein solcher Krebs über den Weg läuft, man diesen als Abendessen mitnehmen kann. Selbstbedienung ist als Wilderei in Deutschland verboten“, so Lukas Bosch. Geschmacklich seien die Süßwasserkrebse dezenter als ihre Salzwasser-Genossen.

Der rote amerikanische Sumpfkrebs bevölkert die Berliner Parks.
Foto: bennytrapp – stock.adobe.com

Da geht noch was

Ob er sich vorstellen könnte, beispielsweise mit Qualle zu arbeiten? „Spannendes Thema, waren wir auch schon im Gespräch“, antwortet Lukas Bosch. „Aber invasive Muscheln sind dazu im Vergleich wohl einfacher zu handhaben und bei einem breiten Publikum anschlussfähiger. Daher wird das wohl eher eine der nächsten kulinarischen Baustellen für uns werden.“ Der HOLYCRAB!-Gründer ist zuversichtlich: „Wir können als Teil der Nahrungskette gegen invasive Tierarten effektiv sein. Dafür sollte es aber kein Nischenprodukt bleiben. Dass wir beispielsweise bei Großhändlern gelistet sind, ist ein wichtiger Schritt um bei den Gastronomen anzukommen.“

Der Waschbär – ein klassischer und besonders drastischer Fall einer invasiven Tierart.
Foto: Rolfes, DJV

Nicht nur putzig, sondern auch gefräßig

Für weitere Informationen über Neozoen wird die stellvertretende Pressesprecherin des Deutschen Jagdverbands (DJV), Anna Martinsohn, mit der wir Ende 2019 bereits zur Jagd gegangen sind, angerufen. Auf die Frage nach Neozoen, scherzt sie: „Brauchst du alte Trapperrezepte für Waschbären?“ Dieser sei ein klassischer und besonders drastischer Fall einer invasiven Tierart, mit Konsequenzen für das Ökosystem. Nach einer Studie der Universität Leipzig sei Waschbärfleisch entgegen der Vermutung als Allesfresser, von guter Qualität und frei von Parasiten, perfekt also für einen „Raccoon-Stew“. Waschbären seien in den 30er Jahren zur Bereicherung der hessischen Fauna ausgesetzt worden und aus einer brandenburgischen Pelzfarm seien diverse ausgebrochen. „Seit Mauerfall haben sich beide Populationen vereinigt und sind eine richtige Plage“, berichtet die Jägerin. Das possierliche Tier, das man eher mit dem Ausräumen von Mülltonnen verbindet, beschreibt die Jägerin als Bedrohung der heimischen Fauna: „Waschbären futtern alles weg. Eine Inselpopulation der europäischen Sumpfschildkröte im Nordosten Brandenburgs wird vom Waschbären ordentlich in die Mangel genommen. Waschbären beißen ihnen Gliedmaßen und Schwänze ab, knacken die Panzer und sind dazu in der Lage ihren Jungen dieses Wissen weiterzugeben. Sehr bedauerlich war auch ein Vorfall in der Eifel, wo man stolz die Wiederansiedlung des Uhus per Webcam präsentierte. Mitte Mai konnten die Zuschauer online verfolgen, wie ein Waschbär einem Uhuküken nach dem anderen den Garaus machte.“ Fotos vom Massaker gibt es immer noch bei der Google-Suche, ein wirklich süßes ‚Monster‘.

Nutria untergraben Dämme, Deiche, Befestigungsanlagen und die Ränder von Entwässerungsgräben an Äckern.
Foto: Rolfes, DJV

„Eine andere invasive Tierart, die sehr viel Schaden anrichtet, ist die Nutria, auch Sumpfbiber genannt. Ursprünglich in Südamerika heimisch, besiedeln sie jetzt Gräben und Flüsse. Der Geschmack der Nutria liegt zwischen Hühnchen und Kaninchen. Nutria untergraben Dämme, Deiche, Befestigungsanlagen und die Ränder von Entwässerungsgräben an Äckern, sodass bisweilen die Traktoren einbrechen, weil die Böden unterhöhlt sind. Durch das Abfressen von Wasserpflanzen vernichten sie großflächig die Ufervegetation, sodass Brut- und Schutzräume für Wasservögel verloren gehen. Bei Nutria muss vor dem Verzehr allerdings Trichinenschau gemacht werden, weil auch mal eine Muschel gefressen werden könnte. Nutria ist ein klassisches Schmorgericht, wobei ich aber auch Nutria-Burger mit Parmesan und Estragon empfehlen kann. Rezepte für Nilgans und Nutria gibt es übrigens auf wild-auf-wild.de“, empfiehlt Anna Martinsohn.

Nutriakeule mit Süßkartoffeln.
Foto: Kapuhs, DJV

Das Problem einfach aufessen?

Für weitere Informationen über die invasiven Krebsarten verweist sie auf ihren Kollegen Olaf Lindner vom Deutschen Angelfischerverband (DAFV). Der Pressesprecher des DAFV hat einiges über die invasiven Krebsarten zu berichten. „Kaiser Wilhelm II ließ weltweit nach alternativen Krebsarten suchen und lies dann amerikanische Arten in hiesigen Gewässern auswildern. Das waren damals amerikanische Signalkrebse. Die Menschen haben sich früher über diese weitaus größeren Exemplare sehr gefreut.“ Doch durch die mit eingeschleppte Krebspest seien heute heimische Krebsarten fast vollständig ausgerottet. „Es gibt noch vereinzelte Populationen, z. B. in den Oberläufen kleiner Flüsse im Schwarzwald“, weiß der Fischereifachmann. Die Krebspest werde über Sporen durch das Wasser übertragen. „Dementsprechend ist es wichtig der Ausbreitung der Krebse in den Oberläufen entgegenzuwirken, um die Verseuchung der unteren Läufe zu verhindern.“ Krebswanderungen erschweren die Umstände: „Da mussten bisweilen Autobahnen gesperrt werden, weil tausende Krebse diese überquerten.“ Aber auch die Sporen seien verhängnisvoll: „Im Rahmen der Ausbildung zum Gewässerwart oder Elektrofischer klären wir die Angler darüber auf, bei Gewässerwechsel ihre Geräte zu desinfizieren, um die Vermehrung beispielsweise der Krebspestsporen zumindest auf diesem Weg zu verhindern.“ Im Vergleich dazu sei die chinesische Wollhandkrabbe bezüglich der Krebspest weniger bedenklich, aber durch ihre massenhafte Population in den Unterläufen der Flusssysteme und dem aggressiven Territorialverhalten ebenfalls problematisch.

Der rote Amerikanische Sumpfkrebs überträgt die Krebspest und dezimiert dadurch heimische Krebsarten.
Foto: DAFV, Malte Frerichs

Dem kulinarischen Kampf gegenüber ist er eher zurückhaltend: „Die Nachfrage beschränkt sich dann doch nur auf einige wenige asiatische Restaurants, das reicht bei weitem nicht aus, um der Lage Herr zu werden.“ Ursachen für die Ausbreitung sieht er im Übrigen weniger im Kielwasser von Transportschiffen internationaler Handelsrouten, wie man ja doch oft liest, sondern eher: „Am Bodensee gibt es beispielsweise alljährlich eine Fisch- und Aquaristik-Messe und wenn diese vorbei ist, werden oftmals die Exoten im Bodensee in die Freiheit entlassen, das gilt auch für Muscheln. Und wenn Schmuckschildkröten, die durchaus 60 Jahre alt werden können, nach zehn Jahren als Haustier lästig werden, werden sie auch ausgewildert.“ Er erinnert an die Sommerloch-Artikel über gar grausige Zwischenfälle mit Schnappschildkröten, die in der Lage sind, Zehen und andere Extremitäten abzubeißen.

Haupt-Artikelbild (oben): HOLYCRAB! BerlinCrabRoll ©NinoHalmarat

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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