Kaum ist der Sommer vorbei, beginnt die Muschelsaison. Die Zubereitungsarten sind mannigfaltig, ob mit Pommes, in Kokosmilch oder auf der Pizza. Lebensmittelmagazin.de hat sich ganz klassisch „Muscheln Rheinische Art“ in der Kölner Altstadt schmecken lassen.
Auf dem Fischmarkt in der Nähe der Kölner Rheinpromenade, mit Blick auf die Hohenzollernbrücke und den Fischweiberbrunnen hat Andrea Weinert seit 2009 ihr Fischrestaurant „Herings im Martinswinkel“. Der Andrang ist heute groß. „Dass tatsächlich Messebesucher der Anuga in Köln sind und in dem Sinne auch unsere Stammgäste sind, freut uns nach der langen Corona-Pause sehr“, erklärt sie.
Monate mit „r“
Trotzdem findet die Köchin Zeit für ein Gespräch. „Die Muschelsaison in den kalten Monaten mit ‚r‘, hatte ja ursprünglich etwas mit der Kühlkette zu tun. Das ist heutzutage kein Thema mehr. Trotzdem wird dies so beibehalten, allein schon um zu gewährleisten, dass nach der Ernte der Muscheln diese die Gelegenheit haben, wieder nachzuwachsen“, erklärt die Kölnerin. Ihre Muscheln kommen seit vielen Jahren aus der nahen holländischen Nordsee. Die Muscheln bekommt sie küchenfertig und kiloweise abgepackt geliefert. „Natürlich kontrollieren wir die Miesmuscheln vor der Zubereitung. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Beschädigte Muscheln werden aussortiert, bei den Geöffneten muss man schauen bzw. riechen. Wenn die Folie der Packung abgezogen wird, öffnen sich manche Muscheln automatisch, dann stößt man mit dem Messer dran und dann ziehen sie sich meistens wieder zusammen. Wichtiger ist es eigentlich, die nicht Geöffneten nach dem Kochen auszusortieren“, erläutert die Gastronomin. Die Muscheln werden später im leckeren Muschelsud serviert, dafür benötigt man beim Kochen keine zusätzliche Flüssigkeit, wie etwa Brühe. „Die Muscheln bringen selber genug Seewasser im Inneren mit, deswegen benötigt man auch kein Salz. Ein kleiner Schluck Wein oder Wasser zum Ankochen, ansonsten Wurzelgemüse, zum Würzen Wacholder, Piment, sowie Lorbeer und Pfeffer, ein kleines bisschen Knoblauch und ordentlich Öllich, also Zwiebeln“, verrät die Köchin.
Mit den Fingern, bitte!
Gegessen werden sollte mit den Fingern: „Mit der Muschelschale als Zange, ganz einfach. Natürlich legen wir Besteck dazu, aber wenn die Gäste das benutzen, schauen wir bisweilen zu, das kann durchaus interessant werden“, verrät die Kölnerin. Muschelessen in ihrem Restaurant sei etwas bodenständig Ungezwungenes, auch wenn es auf ihrer Karte Austern gebe, sei alles ohne Chichi. „Am besten schmeckt dazu ein Kölsch“, rät Andrea Weinert. Sie selber isst die Muscheln am liebsten nach belgischer Art, „mit ordentlich Knoblauch und Wein“. Nach der Information, dass bereits Steinzeitmenschen Muscheln aus dem Watt eingesammelt und verspeist haben, hatte die Köchin noch etwas Interessantes in petto: „Ein ganz alter Kölner hat mir erzählt, dass sie als Kinder unterhalb der Rheinbrücken die Muscheln eingesammelt und verzehrt haben, die sind natürlich deutlich kleiner als so eine Miesmuschel aus der Nordsee.“
Genuss ohne Reue?
Aber wie nachhaltig und ohne schlechtes Gewissen kann man Muscheln genießen? Immerhin ist das eine Frage, die sich bei vielen maritimen Delikatessen stellt. Tatsächlich aber hat der Marine Stewardship Council (MSC) die Muschelfischerei im Wattenmeer als nachhaltig zertifiziert. Umweltschutzorganisationen wie der WWF und der NABU kritisieren diese Bewertung, Muschelbänke würden dadurch zu stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Manuela Melle ist Geschäftsführerin der Niedersächsischen Muschelfischer GbR mit jahrelanger Erfahrung im Umweltschutz: „Allgemeine Unzufriedenheit herrscht seit 25 Jahren, seitdem das Wattenmeer zum Nationalpark erklärt wurde. Nach wie vor geht’s um den Interessenskonflikt zwischen Ökologie und Ökonomie. Hier werden Wehrübungen absolviert, der Tourismus wird ausgebaut und auch das Verklappen und Baggern der nahen Häfen schaden mit erhöhter Sedimentdichte im Wasser den Muschelbänken im Wattenmeer. Natürlich ist auch genau genommen die Arbeit der vier niedersächsischen Familienbetriebe der Muschelfischer ein Eingriff ins Ökosystem.“
Bauern des Meeres
Dabei sollte man wissen, dass das Wattenmeer ein extremer Lebensraum sei, mit trockenfallenden Bereichen aufgrund der Tide (Gezeiten) und starken Temperaturschwankungen zwischen Wärme im Sommer und Eis im Winter. Dies fordert einen hohen Grad an Anpassung bei den Tieren. Muscheln beispielsweise sind Erbstrategen, die alljährlich eine hohe Zahl an Nachkommen produzieren. „Mit nur 100 Muscheln ließe sich das Wattenmeer im Zweifelsfall wiederbeleben“, erklärt Manuela Melle. „In einer langen Larvalphase schwimmen diese Nachkommen im Wasser auf der Suche nach optimalem Untergrund. Das können dann beispielsweise wilde Muschelbänke sein, aber auch von Muschelfischern ausgelegte Langleinen mit Substrat.“ Dabei seien 34 Prozent der 102 bekannten Standorte im Wattenmeer für die Muschelfischerei gesperrt. Effektiv würden jährlich nur unter fünf Prozent der freigegebenen Standorte genutzt. Diese Besatz- oder Saatmuscheln werden eingesammelt und auf Kulturflächen angesiedelt. „Deswegen werden Muschelfischer auch ‚Bauern des Meeres‘ genannt, denn die Muscheln wachsen im Rahmen eines zweijährigen Zyklus. Wenn die Bedingungen sich beispielsweise im Winter bei Eis verschlechtern, müssen die Muscheln sogar bisweilen umgesetzt werden.“ Die Freigabe dieser Muschelbänke werde in Niedersachsen behördlich streng reglementiert und kontrolliert, in Schleswig-Holstein sei das ähnlich, auch wenn dort die Muschelfischerei intensiver sei; hinzu käme das jährliche Audit des MSC. Möglichkeiten, Saatmuscheln direkt von den Kulturflächen zu gewinnen, verneint die Muschelfischerin. Grund hierfür sei die pazifische Auster, eine ursprünglich invasive Muschelart, welche die Miesmuschel zu verdrängen droht. Der Vertrieb der Miesmuscheln geht über die niederländische Muschel-Auktion in Yerseke, als etablierter Vertrieb in die Hauptkonsumländer Belgien, Frankreich und Spanien. Zum Ende des Gesprächs geht die Sprecherin der Muschelfischer noch mal auf den Konflikt mit den Naturschutzverbänden ein. „Die Erträge der Muschelfischer sind seit Jahren rückläufig. Das intakte Ökosystem des Wattenmeeres und seinen Muschelbänken sind in unserem eigenen Interesse. Insofern sind die gemeinsamen Interessen der Umweltverbände und der Muschelfischerei weitaus größer als der Konflikt.“
Es muss nicht immer Pumpernickel sein
Die Muscheln unter der Zitronengarnitur mit Kräutersträußchen dampfen köstlich. Aber eine Beanstandung gibt es: Als Kellner Amir nach dem Befinden fragt – zu den Muscheln rheinische Art gehört immerhin gebutterter Pumpernickel als süßer Kontrast, das stattdessen servierte Mischbrot wurde bislang prätentiös ignoriert. Der Kellner lächelt: „Bei uns servieren wir unser hausgemachtes Brot.“ Hausgemachtes Brot – wer könnte dem widerstehen?! Gebuttert und gekostet – der Pumpernickel ist vergessen. Ein kulinarisch interessierter Spaziergänger hält im Vorübergehen kurz an und bemerkt im breitesten Kölsch (sinngemäß übersetzt): „Das schaut sehr gut aus. Ach ja – Monat mit ‚r‘ – wir könnten auch mal wieder Muscheln essen gehen. Lassen Sie es sich schmecken!“
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