Über einen bestimmten Zeitraum hinweg gar nichts zu essen, sondern nur Wasser zu trinken, bezeichnet man als Fasten oder Nulldiät. Lebensmittelmagazin.de spricht mit einer Diätassistentin über die Vor- und Nachteile der radikalsten Diätform.
Frederike Kreft ist Diätassistentin in der Gesundheitsschule des evangelischen Klinikums Bethel in Bielefeld. Im Rahmen ihrer Arbeit hat sie bisweilen mit Fasten zu tun. „Einige Krankheiten werden damit behandelt, vor allem ernährungsbedingte Krankheiten wie Diabetes Typ 2″, erklärt sie. Durch das Fasten sinke der Blutdruck und die Blutfett- sowie Blutzuckerwerte würden sich optimieren. Auf der anderen Seite kann Fasten bei einigen Krankheiten auch kontraproduktiv sein, vor allem bei chronischen Krankheiten mit regelmäßiger Medikamenteneinnahme, wie Diabetes Typ 1 (insulinabhängiger Diabetes, nicht heilbar). Auch Schwangere, Stillende und Kinder sollte nicht fasten, weil sie eine besondere Grundversorgung benötigen. Kreft gibt ebenfalls zu bedenken: „Auch bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Anorexie ist Fasten problematisch. Das sich ungefähr am dritten Tag einstellende Fasten-High könnte eine Sucht auslösen.“
Ganz viel Wasser
Laut der Diätassistentin sollte man mit der Nahrungsaufnahme nicht von heute auf morgen aufhören, besonders im Falle einer Nulldiät: „Normalerweise steigt man mit einem Entlastungstag ein, das bedeutet, bei einem durchschnittlichen Grundumsatz von 2.000 Kalorien pro Tag, nimmt man nur noch 1.000 Kalorien zu sich. Das ist im Übrigen weniger als man denkt. Sehr wichtig ist eine intensive Flüssigkeitsaufnahme über den gesamten Zeitraum des Fastens. Das kann Wasser oder Tee sein, egal ob schwarz oder grün, Kräuter oder Früchte.“ Die 40 Tage der christlichen Fastenzeit sind nach Meinung der Diätassistentin gut auszuhalten, allerdings sei dafür der Aufenthalt in einer fastenklinischen Einrichtung zu empfehlen, um ab der dritten Woche das Blutbild auf Natrium und Kalium zu kontrollieren. Theoretisch könnten Menschen über hundert Tage hinweg die Nahrungsaufnahme einstellen, bei hoher Flüssigkeitsaufnahme und Überwachung, versteht sich.
Erst Zucker, dann Fett
Zu Beginn des Fastens greift der Körper zunächst auf die körpereigenen Kohlenhydrate zurück, den Glykogenspeicher in der Leber, das decke ungefähr einen halben Tag ab. Weitere Glykogenspeicher stecken in den Muskeln, welche einen weiteren halben Tag abdecken. „Besonders bei Cardio-Sportlern wie Marathonläuferinnen und Marathonläufer sind diese gut ausgebildet“, merkt Kreft an. Wenn die Kohlenhydrate aufgebraucht sind, setzen Kopfschmerzen ein, denn das Gehirn arbeitet ausschließlich durch die Zufuhr von Kohlenhydraten wie Glukose. Bevor der komplexe Fettstoffwechsel einsetzt, greift der Körper übergangsweise auf seine Proteine zurück. Kreft erklärt: „Der Fettstoffwechsel ist ein riesiger, komplexer, chemischer Prozess, der eine gewisse Zeit braucht, um in Gang zu kommen“. Aus den Fettdepots stellt der Körper „Ersatzkohlenhydrate“, die Ketonkörper, her. „Der Fettstoffwechsel geht einher mit einem unangenehmen Körpergeruch. Über Schweiß und Atemluft wird ein Azetongeruch abgesondert, der an Nagellackentferner erinnert. „Leber und Nieren werden in dieser Zeit besonders beansprucht, vor allem die Nieren benötigen deswegen viel Wasser. Worauf man ebenfalls aufpassen muss – der erhöhte Keton- und Harnsäurespiegel im Blut kann Gichtanfälle auslösen“, weiß Kreft. Ab Tag Acht befinde man sich vollständig in der Fettverbrennung.
Selbstzerstörungsmodus
Einen Effekt hat das Nichtessen auf den menschlichen Körper, für dessen Entdeckung und Analyse der Mechanismen der japanische Zellbiologe Yoshinori Ohsumi 2016 den Nobelpreis für Medizin erhielt – die Autophagie. Wenn der menschliche Körper länger als 12 Stunden nichts zu essen erhält, schaltet er in den „Selbstverspeisungsmodus“. Dabei werden in den Zellen beschädigte Proteine und Organellen abgebaut und zur Energiegewinnung in der Zelle genutzt oder als Ausgangsmaterial für neue Zellbauteile in den Lyosomen recycelt. Die Autophagie hält somit die Zellen jung.
Im Rausch des Verzichts
Und was macht das Fasten sonst mit einem? „Wir bei der Diätassistenz haben den Spruch ‚Fasten heißt Pause vom Hasten, Körper und Seele entlasten‘. Zu Beginn bedeutet fasten zunächst Stress für den Körper. Ab dem dritten Tag gibt der menschliche Körper schmerzstillende und euphorisierende Serotonine und Endocannabinoide frei, das Fasten-High. Dann schwebt man bildlich gesprochen so ein bisschen über dem Boden“, schmunzelt Frederike Kreft. Während der Nulldiät nimmt man rund zwei Kilo pro Woche ab. „Das ist gefühlt aber nur Wasser, die zwei Kilo hat man schnell wieder drauf. Fasten, um abzunehmen, das kann man sich sparen!“, ist die Überzeugung der Diätassistentin. Andererseits geht sie auch davon aus: „Wer fastet, setzt sich mit seiner Ernährung auseinander und sagt auch mal ‚Nein‘ zu sich selbst. Diese Erfahrung kennen gar nicht so viele, sondern folgen unreflektiert ihrem Drang, anstelle ihn auch mal zu hinterfragen. Insofern kann eine Fastenkur der Anfang einer gesunden Ernährungsumstellung sein, denn eine Fastenkur vermittelt Bewusstsein und Achtsamkeit.“
Ein neuer Anfang
Wenn man jetzt, wie in der christlichen Fastenzeit klassisch vorgesehen, nur auf Fleisch verzichtet, bleiben Umstieg auf Fettstoffwechsel oder gar Fasten-High weitestgehend außen vor. Frederike Kreft sieht aber auch hier durchaus Vorteile: „Auch die fleischfreie Fastenzeit geht einher mit der Auseinandersetzung mit sich selbst. Nach aktuellem Wissensstand entspricht eine pflanzenbasierte Ernährung bestmöglich einem gesunden Lebensstil. Auch hierbei lernt man ‚Nein‘ zu sich selber zu sagen. Insofern bietet die fleischfreie Fastenzeit eine zeitlich begrenzte Möglichkeit, dies als neuen Lebensstil auszuprobieren und wer weiß, vielleicht so den Einstieg in eine dauerhafte Ernährungsumstellung zu ermöglichen. Und wenn nicht, dann weiß man es hinterher umso mehr zu schätzen!“
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