Kartoffelklöße gehören zum grünen Herzen Deutschlands ebenso wie zu Rotkohl und Braten im Winter. Lebensmittelmagazin.de war in der Heichelheimer Kloßwelt bei Weimar.
Zwischen all den Kartoffelklößen und Semmelknödeln, die als Beilage und Soßentransportmittel zu deftigen Braten und Rotkohl serviert werden, setzen sich Thüringer Klöße durch ihre kulinarischen Besonderheiten ab. Sie haben eine faserige Oberfläche mit glasigem Schimmer und einer hellgelben Farbe. Ausgerechnet diese Farbe ist das Geheimnis Thüringer Hausfrauen und -männer, denn ohne sie erhält man Grüne Klöße, wie man sie beispielsweise in Sachsen serviert.
Nach altem Rezept
Grund für die hellgelbe Farbe ist folgendes Phänomen: Der überwiegende Teil der Kloßmasse besteht aus geriebenen rohen Kartoffeln. Wenn diese oxidieren, verfärben sich die Klöße. Auch wenn es zig Abwandlungen und Varianten des Rezeptes gibt, so ungefähr lautet das Grundrezept: Zwei Drittel der Kartoffeln werden roh gerieben und dann ausgepresst. Der Saft wird abgegossen bis auf die abgesetzte Stärke, welche der Kartoffelmasse wieder hinzugefügt wird. Anschließend wird ein Drittel gekochte Stampfkartoffeln untergerührt und etwas gesalzen. Beim Kloß formen wird ein gerösteter Brotwürfel in die Mitte eines jeden Kloßes gedrückt. Die Klöße müssen im Salzwasser sieden und sind fertig, wenn sie hochsteigen – soweit die Theorie.
Goethe ist extra aus dem Westen hergezogen
Herzog Ernst August von Sachsen-Weimar förderte den Kartoffelanbau in der Gegend um Weimar nach dem Kartoffel-Befehl Friedrichs II in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Bis allerdings erstmals Klöße hergestellt wurden, die angeblich aus missglückten Versuchen, Brot aus Kartoffeln zu backen, entstanden sein sollen, sind weitere 50 Jahre vergangen. Das wohl älteste Kloßrezept wurde von Pfarrer Friedrich Timotheus Heim aus Effelder niedergeschrieben. Alternativ heißt es aber auch, Frau Holle persönlich habe das Rezept überreicht.
„Morgens rund, mittags gestampft, abends in Scheiben – dabei soll’s bleiben. Es ist gesund.“
Johann Wolfgang von Goethe
Johann Wolfgang von Goethe, Teilzeit-Weimarer und Kartoffelfan, schrieb über die Klöße seiner Küchenmagd: „Die Weimarer behaupten, ihre Klöße hätten überhaupt vor allen anderen etwas voraus! Wir sehen hier in Weimar ja nur ein Minimum der Klöße des Landes, und wahrscheinlich gar nicht die besten”. Was aber für die Thüringer Klöße in der damaligen Zeit sprach, war der Vitamin-C-Gehalt des rohen Kloßteigs, der den Menschen gegen Skorbut half.
Rund um den Kloß
Und heute? Schon von der Bundesstraße aus sieht man über die Hügel hinweg die Kloß-Marie freudestrahlend ihre Klöße vom Schornstein der Heichelheimer Kloßwelt präsentieren. Hier in der Nähe von Weimar wird in der Thüringer Kloßmanufaktur auf dem Gelände der ABLIG Feinfrost GmbH nicht nur Kloßteig und TK-Klöße hergestellt, sondern den Besuchern ein Museum rund um den Kloß präsentiert.1964 wurde die Manufaktur als landwirtschaftliche Produktionsgesellschaft der ZBE Verarbeitung Heichelheim in der Deutschen Demokratischen Republik gegründet. Zum ansässigen Museum gibt es einen schönen Gründungsmythos: Der Volksschauspieler Manfred Krug, beliebt in Ost und West, versuchte vergeblich auf der Grünen Woche 1994 in Berlin eine Kloßpresse zu erwerben, die es sonst im Rest der Republik nicht gab. Der ABLIG-Geschäftsführer startete einen Aufruf mit großartiger Rückmeldung: Zahlreiche Thüringer:innen schickten ihre traditionellen Küchengeräte zur Kloßherstellung. Manfred Krug bekam seine Kloßpresse und der Geschäftsführer sah sich konfrontiert mit dem Inventar seines zukünftigen Kloßmuseums, dass drei Jahre später eröffnet wurde.
Am Anfang der Ausstellung lädt eine Kugelbahnwand dazu ein, „Klöße“ über die einzelnen Arbeitsschritte bis zum finalen Teller rollen zu lassen. Die jeweiligen Stationen sind aufwendig geschnitzte Figuren, die sich zum Teil sogar bewegen. ABLIG-Geschäftsführer Torsten Langbein erzählt dazu: „Die Kugelbahn wurde von einem unserer ehemaligen Mitarbeiter, der Schlosser war, geschnitzt, als er in Rente ging.“ Direkt hinter der Kugelbahn findet man einen riesigen, begehbaren Kloß, der ebenfalls von Betriebsmitarbeitern gebaut wurde. Dieser ist dekoriert mit Sinnsprüchen wie „Ein Sonntag ohne Klöße – verlöre viel von seiner Größe.“
Kloß-Physik
Eine Infotafel erregt besondere Aufmerksamkeit – die Physik der Kartoffelklöße: „Die Kartoffelklöße werden zunächst zu festen Kugeln geformt, dabei wird natürlich etwas Luft und etwas Wasser mit eingeschlagen. Dennoch sind die Kartoffelkugeln kompakt, ihre Dichte im ungegarten Zustand ist etwas größer als die von Wasser. Die Klöße sinken daher zu Beginn des Kochens zu Boden. Beim Kontakt mit dem heißen Wasser gart der KIoß zuerst in den äußeren Schichten, wodurch Stärke und Proteine die Oberfläche verkleistern und verkleben. Zugleich diffundiert die Wärme nach innen. Also verdampft dort das eingeschlossene Wasser, ebenso dehnt sich die eingeknetete Luft unter der Erwärmung aus. Es bilden sich größere Bläschen, die nicht mehr entweichen können, denn die äußere Schicht der Klöße ist bereits verklebt. Das Gemisch aus Dampf und Luft lockert also die Klöße auf. Dabei nimmt deren Volumen etwas zu. Das bedeutet, die Klöße verdrängen mehr Wasser, also wird der Auftrieb größer. Trotz dieser Volumenzunahme bleibt die Masse praktisch gleich. Also nimmt das spezifische Gewicht der Klöße ab und sinkt unter das des Wassers. Schon steigen die Klöße an die Oberfläche, schwimmen und ragen teilweise aus dem Wasser.“
Ähnlich experimentell schaut im Übrigen der Riesen-365-kg-Kloß auf den Fotos aus, der im Zuge eines Guinness-Rekords 2010 in Jena gekocht wurde. Garzeit acht Stunden im Riesenglastopf. Daneben lernt man allerdings auch anhand der ausgestellten Kloß-Utensilien, wie sehr diese Spezialität in der Thüringer Kultur verankert ist. Natürlich kann man in der Kloßwelt auch hervorragend Klöße essen: Wichtig ist es hierbei, die Klöße nicht zu schneiden, sondern mit Messer und Gabel zu reißen. Das vergrößert die Oberfläche und bietet so eine noch bessere Möglichkeit, die Soße aufzunehmen. Erkenntnis: Diese Klöße sind Lichtjahre von der eigenen Produktion im heimischen Berlin entfernt, aber warum?
Foto: Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de
Verrat am Kloß
Im Museumsshop findet man einen Aufsteller mit geheimnisvollen Tütchen, die zwar aussehen wie Backpulver, aber keins sind. Das Zutatenverzeichnis gibt den Hinweis auf E224, Kaliumdisulfit. Ist dies das Geheimnis der Thüringer:innen? Einen Geheimtipp verrät die Shopverkäuferin: „Die Klöße dürfen nicht in kochendes Salzwasser kommen, sonst kochen sie ab. Man lässt das Wasser einmal aufkochen und stellt es dann auf die niedrigste Stufe.“ Noch mehr Licht bringt Geschäftsführer Torsten Langbein in den Kloßteig: „Es kommt auf die Kartoffelsorte an, die sehr stärkehaltig sein muss und außerdem gelbfleischig, was auf einen hohen Vitamin-C-Gehalt hindeutet.“ Logisch, Vitamin C als Antioxidans verhindert die Verfärbung. Auf der Internetseite der Kloßwelt findet man die Kartoffelsorten aufgelistet: Laura, Anuschka, Regina, Quarta, Agria, Marabel, Belena, Fontane. Langbein erläutert dazu: „Aktuell wird vor allem Agria verwendet. Im Zuge des Klimawandels suchen wir natürlich auch nach neuen Sorten, die widerstandsfähiger und ertragreicher sind, um mit der neuen Situation umzugehen.“ Und was hat es jetzt mit E224, Kaliumdisulfit, auf sich? „Das dient dazu, dass die Klöße hell bleiben. Alternativ kann man sich bei der Herstellung des Kloßteigs auch einfach etwas beeilen, bevor dieser dunkel wird“, erklärt er.
Echt nur mit Muskelschmalz
Eine ganz andere Frage: Der Name „Thüringer Klöße“ lässt vermuten, dass diese geografisch geschützt sind? Dazu sagt der Geschäftsführer: „Der Bundesgerichtshof hat diesbezüglich entschieden, dass ‚Thüringer Klöße‘ lediglich eine Gattungsbezeichnung seien, ähnlich wie bei Wiener Würstchen.“ Kloßteig und Convenience-Klöße, die in Thüringen produziert werden, tragen zusätzlich den Hinweis „echt“, bzw. „Original“. Der Liebe zwischen den Thüringer:innen und ihren Klößen tut dies indes keinen Abbruch, trotz Liedgut „Thüringer Klöße“ von Fritz oder der alljährlichen Plackerei zu Weihnachten. Denn, das muss noch gesagt werden als letztes Geheimnis: Die geriebenen rohen Kartoffeln müssen staubtrocken sein und das bedeutet Muskelschmalz am Kloßsack mit oder ohne Presse, sofern man nicht alternativ einen Entsafter verwendet.
Die eigene Schwiegermutter stammt aus Thüringen und atmet deshalb jedes Mal tief durch, wenn der Wunsch nach Thüringer Klößen aufkommt. Sie verwendet übrigens kein Pülverchen wie E224. „Ein kleiner Schluck Essig tut es auch“, verrät sie.
Beitragsbild (oben): Henry Czauderna – stock.adobe.com