Neanderthaler: Zu Tisch bei den Feuersteins

Neanderthaler: Zu Tisch bei den Feuersteins

Im Neanderthal Museum im nordrhein-westfälischen Mettmann kann man den Spuren unserer prähistorischen Verwandten folgen und Einblicke in ihren Alltag gewinnen. Lebensmittelmagazin.de sprach mit einem Archäologen darüber, was für Neanderthaler auf den Tisch kam.

Till Knechtges ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Museum Neanderthal und im Rahmen seiner archäologischen Forschung auf der Jagd nach Spuren und Indizien über das Leben und den Alltag der Höhlenmenschen, wie beispielsweise dem Neanderthaler. „Höhlenmensch ist tatsächlich ein irreführender Begriff, der daher stammt, dass viele Überreste in Höhlen gefunden wurden. Das hat den einfachen Grund, dass die klimatischen Bedingungen in Höhlen zur Konservierung über Jahrtausende hinweg weitaus besser sind, als anderswo”, erklärt der Wissenschaftler.

Rekonstruktion des Aussehens eines Neanderthalers
Foto: Neanderthal Museum

Die bucklige Verwandtschaft

Die Neanderthaler lebten vor 200.000 bis 30.000 Jahren und ihr Gebiet erstreckte sich von Portugal und Großbritannien bis nach Sibirien und dem Mittleren Osten. Im Laufe der Jahrtausende erlebten sie zwei Eis- und eine Wärmezeit. Sie sind nicht direkte Vorfahren des modernen Menschen, sondern teilen sich mit dem Homo sapiens den Homo erectus als gemeinsamen Vorfahren. Knechtges erläutert: „Der Neanderthaler und der Homo sapiens trafen sich im Nahen Osten und zeugten gemeinsame Kinder. Dadurch lassen sich noch heute im menschlichen Genom durchschnittlich zwei Prozent Neanderthaler-Gene nachweisen. Diese sind vor allem relevant für das menschliche Immunsystem – sowohl mit Vor- als auch Nachteilen.” Für diese Erkenntnisse der Paläogenetik erhielt der schwedische Wissenschaftler Svante Pääbo 2022 den Nobelpreis in Medizin.

Höhleneingang beim archäologischen Fundplatz Krapina in Kroatien

Höhleneingang beim archäologischen Fundplatz Krapina in Kroatien
Foto: karlocuki

Bei Risiken und Nebenwirkungen

Die Neanderthaler verfügten auch über rudimentäre medizinische Kenntnisse. So ließ sich beispielsweise der Einsatz von Weidenrinde nachweisen, die einen verwandten Wirkstoff der Acetylsalicylsäure enthält. Der Steinzeitmensch hatte also sein eigenes Aspirin. „Womöglich haben sie auch bereits Schimmelpilze der Gattung Penicillium aufgrund ihrer antibiotischen Wirkung eingesetzt. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass sie weiteres Wissen über die gesundheitlicheWirkung von Kräutern hatten”, gibt Knechtges zu bedenken. 

Dabei wurden Neanderthaler durchschnittlich nur 35 bis 40 Jahre alt. „Sie führten ein recht friedliches Leben als umherziehende Jäger und Sammler. Gewalt, etwa durch Territorialkonflikte, kam erst später auf, sobald die Menschen sesshaft wurden. Die Neanderthaler hatten ihr Sommer-, wie Winterlager und lebten dabei mobil in Zelten, eine Art Steinzeit-Camping. Dazu gehörte auch die Fähigkeit, Feuer zu machen. „Sie konnten Fleisch grillen und Gemüse dünsten, möglicherweise haben sie auch schon fermentiert”, mutmaßt der Wissenschaftler. Bedingt durch den großen Lebensraum der schätzungsweise 20.000 bis 50.000 Neanderthaler, sowie der großen Zeitspanne ihrer Existenz, hat sich der Speiseplan dabei massiv verändert. „So ließ sich beispielsweise nachweisen, dass Neanderthaler unter anderem Seerosen, deren Samenstände und Rhizome verzehrt haben, die je nach Jahreszeit giftig sind und erst durchs Erhitzen genießbar werden“, berichtet der Archäologe.

Auf Spurensuche der Neanderthaler

Apropos nachweisen, auch wenn viele Aussagen über den Steinzeit-Alltag auf Annahmen und Mutmaßungen beruhen, so haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler doch spannende Möglichkeiten, aus kleinsten Tatsachen Lebensrealitäten abzuleiten. „Wir haben die Option, anhand der Messung von Delta-N-15-Stickstoffisotopen* Aussagen über die Aufnahme von Proteinen machen zu können, die in erster Linie auf Fleisch basieren. Generell sind die Delta-N-15-Werte bei Neanderthalern höher als bei Karnivoren wie Wölfen oder Höhlenlöwen. Lange Zeit herrschte die allgemeine Überzeugung, dass Neanderthaler hauptsächlich von Fleisch lebten. Heute geht man davon aus, dass die hohen Werte der Neanderthaler auf hohen Delta-N-15-Werten der Beutetiere selbst beruhen. In der letzten Eiszeit haben Neanderthaler in der Gruppe von 20 bis 40 Leuten vor allem Großsäuger wie Mammuts, Wollnashörner oder auch Wisente und Rentiere mit Speeren gejagt. Allerdings haben die Steinzeitmenschen auch proteinreiche Hülsenfrüchte gegessen.“

Wisent

Wisent unter Artgenossen
Foto: Neanderthal Museum

Inwiefern bei den Neanderthalern diesbezüglich gesellschaftliche Rollen vorherrschten wie man sie aus der Popkultur bei „Familie Feuerstein“ kennt, also Männer gehen auf die Jagd und Frauen sammeln Beeren und bereiten die Mahlzeiten zu, lässt sich mit letzter Sicherheit leider nicht sagen. Aber Till Knechtges gibt zu bedenken, dass Studien über zeitgenössische und historische Jäger-Sammler-Kulturen keineswegs so eindeutige Geschlechterrollen ergeben, sondern die Strukturen mitunter weitaus komplexer waren.

Eine alternative Quelle, die Aufschluss über die Ernährungsgewohnheiten der Neanderthaler gibt, sind die Untersuchungen des Zahnsteins an den fossilen Gebissen. Hier konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerpflanzliche Mikropartikel feststellen, die vollkommen zur botanischen Bestimmung ausreichten. Neanderthaler verwendeten ihre Zähne als dritte Hand, um beispielsweise damit Sachen festzuhalten. Werkzeuge wurden aus Tierknochen, -sehnen und -fell hergestellt. Sie konnten Steinwerkzeug herstellen und mit Klingen dann die Nahrungsmittel klein schneiden. „Man sollte wirklich nicht den Fehler begehen, sich vorzustellen, dass die Neanderthalerihr Essen unverarbeitet zu sich genommen haben”, betont der Archäologe.

Wird gegessen, was auf den Tisch kommt

Neben Fleisch, Fisch, Muscheln ließen sich auch Schildkröten nachweisen, die man praktischerweise in ihrem eigenen Panzer garen konnte. 

Gefangene Fische auf Steinen

Gefangene Fische auf Steinen
Foto: GSR-PhotoStudio

Auf die Frage, ob sie wohl alles gejagt haben was vier Beine hat oder es in ihren Kulturen bereits Nahrungstabus gab, antwortet der Wissenschaftler: „Sie hatten auf jeden Fall schon eine komplexe Kultur, gut möglich, dass so etwas wie ein Tabu schon existierte. Kannibalismus wird auch diskutiert, manche Funde mit Schnittspuren an den Knochen könnten darauf schließen lassen. Andererseits wäre es möglich, dass diese im Rahmen von Totenkultsentstanden, in dem die Verstorbenen wieder hervorgeholt und ihre Gebeine gereinigt wurden.“

Die Neanderthaler mochten auch Süßes, seien es Beeren, Wurzeln wie Rhizome der Seerosen und TeichrosenKiefersamen und auch Süßgrassamen, einen Vorläufer von Getreide. „Diese haben die Steinzeitmenschen beispielsweise mit Wasser als Brei zu sich genommen. Sie hatten im Vergleich zu späteren Kulturen, die bereits Getreidefelder hatten, relativ gute Zähne. Aufgrund von Rillen im Zahnschmelz können wir im Übrigen nicht nur feststellen, dass die Mehrheit der Neanderthaler Rechtshänder war, sondern auch eine Form von Zahnpflege betrieb, auf dem Niveau von Zahnstochern etwa”, erklärt Knechtges.

Zahn eines Neanderthalers mit Zahnstocherspur

Zahn eines Neanderthalers mit Zahnstocherspur
Foto: Neanderthal Museum

Paleo in der Steinzeit?

Mit der Erkenntnis vom Steinzeit-Porridge stößt man übrigens auf ein modernes Problem: Fans der Paleo-Diät, die nicht dem Abnehmen, sondern einem gesunden Lebenswandel dienen soll, haben einen Speiseplan, der sich an den Möglichkeiten und Vorlieben unserer Vorfahren orientieren soll. Die Lebensmittel sollten möglichst unverarbeitet verzehrt werden und es wird weitestgehend auf Kohlenhydrate wie Brot, Nudeln oder Couscous verzichtet. Dafür setzt die Paleo-Diät vornehmlich auf Fleisch und Fisch. Dazu gibt es Gemüse, Nüsse und Früchte. 

Till Knechtges meint: „Ohne diese Ernährungsform irgendwie kritisieren zu wollen, läuft sie mit großer Wahrscheinlichkeit der Steinzeit-Realität der Neanderthaler zuwider. Eine Mehrheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist sich bei der pflanzlich-tierischen Mischkost der Neanderthaler sicher. Man kann davon ausgehen, dass Samen und Wurzeln und ähnliche stärkehaltigen Lebensmittel häufig verzehrt wurden, weil es satt machte und Energie gab, während Fleisch der Großsäuger ein besonderer Bonus war, den es nicht alle Tage gab.”

* Maß zur Bestimmung des Isotopenverhältnisses. Auf diese Weise können verschiedene Aspekte des Stickstoffkreislaufs untersucht werden. Damit können An- bzw. Abreicherungsvorgänge quantifizierbar gemacht werden.

Artikel-Teaserbild (oben): Neanderthal Museum

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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