Je früher der Sommer – Obstbau im Klimawandel

Vielleicht kann demnächst Erntedank in der Freibadsaison gefeiert werden. Der Klimawandel hinterlässt seine Spuren unter anderem bei der Obsternte. Wir waren im Obstgarten und haben mit einem Pomologen gesprochen.

Die Bäume im Schulgarten des Paulsen-Gymnasiums in Berlin-Steglitz hängen voll mit Früchten, vornehmlich uralten Äpfeln wie der Goldrenette von Blenheim oder Landsberger Renetten. Man findet auf dem weitläufigen Areal aber auch eine Konstantinopeler Apfelquitte, die noch ein bisschen Zeit bis zur Ernte hat. Dafür schmecken die gelb leuchtenden Mirabellen bereits umso köstlicher. Am wildwüchsigen Kirschbaum im verlassenen Teil des Gartens hängen noch einige vertrocknete Kirschen. 

Für die ganze Familie

„Dieses Jahr sind wir nicht wirklich dazu gekommen, die Obstbäume abzuernten”, sagt Robert Dietrich, Biologie- und Chemielehrer am Paulsen-Gymnasium. „Sonst haben wir mit unseren 700 Schülerinnen und Schülern und teilweise noch deren Eltern innerhalb von ein, zwei Stunden alles weg geerntet.” Die Äpfel werden von einer mobilen Mosterei gepresst und der Saft wird in der schulinternen Cafeteria angeboten.

Hier hängt ein Poster an der Wand, das mit Fotos dekoriert an die Rekordernte von 2009 erinnert, 600 Kilogramm. „Im Laufe der Jahre hat sich die Ernte allerdings inzwischen auf die Hälfte reduziert. Dieses Jahr wurde der Bestand durch die frühe Blüte während der Aprilfrostnächte um ein weiteres Drittel dezimiert”, erklärt der Lehrer.

Lange Tradition

Die Schule und einige der benachbarten Häuser stammen aus der Wilhelminischen Kaiserzeit. „Vorher war hier auf dem Gelände eine Gärtnerei, aus der noch einige der Bäume stammen. Das besondere bei unseren Obstbäumen ist, dass wir sie weder schneiden, noch spritzen und höchstens bei der sommerlichen Trockenheit wässern. Die robusten Bäume bleiben, die empfindlichen fallen weg.” Dietrich zeigt auf einen ziemlich stattlichen Apfelbaum: „Das hier ist ein roter Boskoop, der sich innerhalb der letzten 15 Jahren hervorragend entwickelt hat. Jetzt haben wir noch mal diese Sorte für den neuen Baum daneben gewählt, mal schauen.”

Ein roter Boskoop im Schulgarten.
Foto: Johannes – lebensmittelmagazin.de

Viele der über 100 Jahre alten Bäume leiden: Nicht nur die Äpfel tragen Stiche von schädlichen Insekten, auch die Bäume haben Pilzbefall. „Das bedeutet praktisch, dass diese Bäume früher oder später vermutlich vom Bezirksamt gefällt werden”, meint Robert Dietrich.

Nicht nur das, auch die vereinzelten gelben Blätter an den Bäumen bereiten ihm Sorgen: „Das könnte auf Erkrankungen hindeuten.” Folgen vom Klimawandel? „Hier in der Stadt sind es sowieso zwei Grad mehr, als in den Apfelplantagen auf dem Land. Dadurch, dass sich alles nach vorne verschiebt, fällt die wichtige Phase kurz vor der Ernte quasi in die sechswöchigen Sommerferien, wo keiner eigentlich da ist. Auf der anderen Seite schmeckt vermutlich durch die Hitze jetzt so ein Apfel wie die Goldparmäne plötzlich ausgesprochen gut”, gibt der Biolehrer zu bedenken.

Die Wissenschaft vom Apfel 

Eckart Brandt informiert seit über 25 Jahren in Funk und Fernsehen über Obstbäume jeglicher Art in seiner Eigenschaft als Pomologe.

Eckart Brandt im Oktober 2012 bei den „Geschmackstagen“ in München.
Foto: Michael Lucan

Inzwischen offizieller Rentner, kann er auf jahrzehntelange Erfahrung als Obstbauer und Marktfahrer zurückblicken. 1983 pachtete er den Obsthof im Alten Land bei Hamburg mit Lagen für Obstbäume. Er gehörte zu den Pionieren im Ökolandbau in den 80er Jahren, als es noch keine Regeln und Vorschriften für den Bioanbau gab. „Ursprünglich komme ich von der Imkerei und wollte als Autodidakt Obst wie Äpfel ohne Pestizide anbauen. Als Lehrgeld musste ich feststellen, dass für den erfolgreichen Anbau die konventionellen Apfelsorten ohne Pflanzenschutzmittel ziemlich empfindlich sind.”

Alt aber robust

Durch die Mosterei auf dem Hof kam er in Kontakt mit vielen Menschen in der Umgebung, die in ihren Privatgärten noch interessante, alte Apfelsorten, wie beispielsweise den Finkenwerder Herbstprinz, stehen hatten, deren Früchte sie zum Pressen brachten. „Diese Sorten sind für den Erwerbsanbau eher uninteressant, weil sie möglicherweise nicht genug Ertrag bringen oder beispielsweise zu klein sind. Dafür sind sie bisweilen aber robust genug, sich eigenständig gegen Schädlinge, Pilze und sonstige Krankheiten zu erwehren”, erzählt der Pomologe.

Zu früh kommen

Seine Äpfel würden dieses Jahr gut aussehen, aber quantitativ zu wünschen übrig lassen, weil auch bei ihm während der April-Fröste etliche Blüten erfroren sind. „Im konventionellen Erwerbsanbau helfen sich die Bauern mit sogenanntem Frostschutzregen.

Blühende Apfelbäume: Wunderschön, aber anfällig für Frost.
Foto: laima-gri

Das bedeutet, dass zwischen den Apfelbäumen ein Schlauch entlanggeht, der alle 20 Meter zu Sprinkleranlagen führt, so ähnlich wie ein Rasensprenger. Dieser Regen gefriert um die Blüten und schützt sie dadurch. Diese Maßnahmen können dann schon Kosten von 10.000 Euro pro Hektar bedeuten, besonders, wenn dafür extra ein Brunnen gebohrt werden muss”, gibt der Apfelexperte zu bedenken. Seiner Beobachtung nach verschiebt sich der Fruchtzyklus um drei Wochen nach vorne, was zum Beispiel einen Beginn der Ernte bereits im Juli nach sich zieht. Das hat Folgen: „Die Äpfel werden süßer, aber auch instabiler, weil sich der Apfel im Inneren chemisch verändert. Das mag daran liegen, dass sich zum Beispiel das Kalzium nicht richtig ablagern kann. Die Früchte vergammeln teilweise schon direkt am Baum oder sind anfälliger für Sonnenbrand”, erklärt Eckart Brandt.

Ungebetene Gäste

Davon abgesehen bietet die Wärme noch ganz andere Herausforderung für den Obstanbau. „Durch die milden Winter und die Hitze breiten sich Schadinsekten und Fäulnispilze besser aus. Die Kirschessigfliege ist aus China hierhergekommen. Ihre Maden bohren sich in die Kirschen und lassen diese verfaulen. Die Orientzikade wiederum piekt die Blätter an und verbreitet Krankheiten wie die Apfeltriebsucht oder den Birnenverfall.“

Die Wahl der Waffen

Experten seien jetzt in die Heimatländer dieser Tiere gefahren, um herauszufinden, was deren natürliche Feinde sind. „Dann sollte man sich allerdings die Frage stellen, wen dann diese neuen Tiere möglicherweise außerdem noch vertilgen.“ Aber wäre ein neues Pflanzenschutzmittel eine sinnvolle Alternative? Der Experte hat sich jahrzehntelang darauf verlassen können, dass sich das biologische Gleichgewicht wieder einstellt, dessen ist er sich inzwischen nicht mehr so sicher. „Vielleicht sollte man sich in naher Zukunft tatsächlich Gedanken über den sinnvollen Einsatz von verantwortungsvoller Gentechnologie machen”, überlegt der Biolandbau-Pionier. Als weitere Alternative dazu nennt er aktuell die Züchtungsinitiative Niederelbe, bei der unter der Leitung von Jacob-Hinrich Feindt Kreuzungsversuche unternommen werden, um über den Weg der Züchtungen Antworten auf die Herausforderungen des Klimawandels zu finden.

Geschmacksveränderung 

Der diesjährige August wäre 2,2 Grad Celsius wärmer als das Mittel der Aufzeichnung von 1960 bis 1991 gewesen. Abgesehen von Krankheit und Befall wirkt sich die Hitze auf den Geschmack der intakten Früchte aus. „Ein norddeutscher Küstenapfel wie der Holsteiner Cox wird bereits am Baum mehlig. Andere Sorten, wie Braeburn oder die Goldparmäne, eine alte Sorte, die ursprünglich aus der Normandie stammend über Großbritannien vor 300 Jahren zu uns gekommen ist, war es hier im Norden lange Zeit zu kühl und schmeckte erst 60 km südlich von Hamburg. Jetzt auf einmal ist diese Grenze gen Elbe gewandert, sodass sie auch hier hervorragend schmecken. Auch eine eigentlich langweilig schmeckende Wintersorte wie der rote Eiserapfel wird früher reif und schmeckt auf einmal sehr gut.”

Genpool in Gefahr

Eckart Brandt hat 2012 einen Sortenerhaltungsgarten angelegt, wo er alte Apfelsorten als Hochstämmchen pflegt: „Hier beobachte und selektiere ich die Apfelsorten, die ich meinen Kunden für ihren Garten beispielsweise empfehle. Wenn traditionelle Obstsorten hier nicht mehr überleben können, sehe ich ein ganzes Kapitel unserer Kulturgeschichte in Gefahr.” Im Kampf mit dem Klimawandel sieht er vor allem einen großen Genpool als Waffe mit Potenzial.

Artikel-Teaserbild (oben): Johannes – lebensmittelmagazin.de

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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