Riecht stechend, steht aber für die Versorgungsgarantie in der Landwirtschaft: Ammoniak. In einem von vielen globalen Pilotprojekten arbeitet Düngemittelproduzent Yara Deutschland zusammen mit Partnern u.a. am CO₂-reduzierten Toastbrot auf Basis seiner Climate Choice Mineraldünger mit niedrigerem CO₂-Fußabdruck. Lebensmittelmagazin.de hat den Geschäftsführer interviewt.
Beim nächsten Einkauf im Supermarkt findet man jetzt im Brotregal Sammy’s Super Sandwich, gebacken aus Weizenmehl mit einem um bis zu 24 Prozent niedrigerem CO₂-Fußabdruck. Das entspricht bei ungefähr 13 Millionen Packungen Sandwiches à 750 gr. einer Ersparnis von 552 Tonnen Kohlenstoffdioxid.
Eins von mehreren Projekten
Hinter diesem Pilotprojekt stehen die Großbäckerei Harry-Brot GmbH, die Bindewald & Gutting Mühlengruppe mit zehn ihrer Vertragslandwirte sowie Düngemittelhersteller Yara, der als internationaler Konzern mit Stammsitz in Oslo, Norwegen momentan weltweit ähnliche Pilotprojekte anstößt.
Marco Fleischmann ist Geschäftsführer von Yara Deutschland. Er klärt über die Hintergründe des CO₂-reduzierten Toastbrots auf: „Letztendlich liegt der Schwerpunkt der CO₂-Emission bei den Rohstoffen für die Zutaten, im Fall von Toastbrot also beim Weizen. Laut Studie des Julius-Kühn-Instituts liegt der bundesweite durchschnittliche CO₂-Fußabdruck bei 358 Kilogramm pro Tonne Weizen. Die ausgewählten Vertragslandwirte der BiGu lagen aber bereits vor dem Projekt durch Maßnahmen wie die angepasste, standortbezogene Düngung, Sortenauswahl und Fruchtfolge bereits bei ca. 26 Prozent unterhalb dieses Durchschnitts und konnten somit die CO₂-Reduktion auf insgesamt rund 43 Prozent erweitern.
Ca. 70 Prozent der CO₂-Emission von Weizen entfallen auf die Produktion von Düngemitteln sowie deren Ausbringung. Es geht dabei um stickstoffhaltige Mineraldünger. Diese bestehen vor allem aus Ammoniak, NH₃, bzw. dessen Salze plus dem Trägermaterial.”
Ein Tausendsassa-Material
Der im Ammoniak enthaltene Stickstoff ist zentraler Baustoff der Aminosäuren in den Pflanzen. Stickstoff ist in der Landwirtschaft von zentraler Bedeutung, die Hälfte der weltweiten Ammoniakproduktion geht allein in die Produktion von Mineraldünger. Eine Defossilisierung, der Ersatz fossiler Rohstoffe durch alternative, nicht fossile Kohlenstoffquellen, bei der Herstellung des Moleküls wirkt sich also direkt positiv auf den CO₂-Fußabdruck der Zwischen- sowie der Endprodukte aus.
Auf die Frage nach intelligenter Fruchtfolge mit Leguminosen wie Kichererbsen, Soja, Lupine und Gründünger wie Klee oder Luzerne, die mittels Knöllchenbakterien in den Pflanzenwurzeln den Stickstoff aus der Luft als Ammoniak im Boden binden, erklärt der Geschäftsführer: „Das ist keine Frage von entweder oder, sondern es muss beides geschehen.” Er verdeutlicht den dringenden Bedarf: „Noch haben wir global ‘lediglich’ ein Verteilungsproblem, was den Hunger auf der Welt betrifft, aber 2050 werden wir geschätzt rund zehn Milliarden Menschen auf der Erde sein und unter gegenwärtigen Bedingungen ein Versorgungsdefizit haben.“
Das Haber-Bosch-Verfahren
Nachdem der Chemiker Justus von Liebig im 19. Jahrhundert die Bedeutung von Stickstoff für die Ernteerträge in der Landwirtschaft erkannt hatte, dauerte es noch bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts, bis die beiden Wissenschaftler Fritz Haber und Carl Bosch das nach ihnen benannte Haber-Bosch-Verfahren zur Ammoniaksynthese entwickelten. Dieses ist nach wie vor das etablierte Verfahren zur Ammoniakgewinnung. Im ersten Schritt wird hierbei Wasserstoff durch die sogenannte Dampfreformierung oder, wie im Yara-Werk Brunsbüttel, durch partielle Oxidation aus Erdgas gewonnen.
Dabei entsteht die zehnfache Menge an Kohlenstoffdioxid im Verhältnis zum Wasserstoff. Zusammen mit dem in der Luft enthaltenen Stickstoff werden in einem Reaktor bei sehr hohen Temperaturen von 450-500°C und hohem Druck bei 150-300 atm beide Gase unter Verwendung eines Eisenkatalysators gemischt. Diese Reaktion ist zwar exotherm, das bedeutet, sie setzt Energie frei, aber sie ist bei Raumtemperatur und Normaldruck sehr langsam, weshalb hohe Temperaturen und Drücke notwendig sind. Das gewünschte Ammoniak, NH₃, bildet sich auf dem Katalysator und wird kontinuierlich aus dem Reaktionsgemisch entfernt, um das Gleichgewicht zu verschieben und die Produktion zu maximieren. Das Gasgemisch wird dann abgekühlt, wodurch Ammoniak verflüssigt und vom restlichen Gasgemisch getrennt werden kann. Der ungenutzte Stickstoff und Wasserstoff werden recycelt und erneut in den Reaktor geleitet.
Grau, blau oder grün
Marco Fleischmann erläutert: „Als Alternative dazu gibt es die Möglichkeit, den Wasserstoff mittels Elektrolyse zu generieren, um daraus dann CO₂-reduziertes Ammoniak für die Düngemittelproduktion zu gewinnen. Bei dieser Form wird elektrischer Strom durch Wasser geleitet. Dabei wird das Wasser in seine beiden Elemente Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Die Reaktion passiert an den beiden Elektroden, der positiven Anode und der negativen Kathode. Werden bei der Elektrolyse erneuerbare Energien verwendet, spricht man beim Produkt von grünem oder erneuerbarem Wasserstoff, bzw. hinterher von grünem oder erneuerbarem Ammoniak, während beim konventionellen Haber-Bosch-Verfahren die Rede von grauem beziehungsweise blauem Ammoniak ist. Letzteres hängt davon ab, ob das CO₂ wie beim grauen Ammoniak einfach in die Atmosphäre gelassen wird oder wie beim blauen, der Kohlenstoffdioxid abgeschieden, gebunden und eingelagert sind, das sogenannte Carbon Capture & Storage-Verfahren (CCS).“ Marco Fleischmann ergänzt: „Bis wir unsere Bedarfe mit selbst produziertem, erneuerbarem Ammoniak decken können, müssen wir mit blauem Ammoniak und CCS überbrücken.“
Mehr Wind und Sonne!
Eine der Hauptherausforderungen dabei sei die noch unzureichende Infrastruktur für erneuerbare Energien und damit einhergehend der Umstand, dass erneuerbare zurzeit noch wesentlich teurer seien als fossile Energien. Wenn die Mehrkosten jedoch über die gesamte Lebensmittelwertschöpfungskette verteilt würden, ergeben aktuelle Kalkulationen auf Basis des Kooperationsprojekts mit Harry-Brot und der Bindewald & Gutting Mühlengruppe einen Mehrpreis von ungefähr 80 Cent auf einen Warenkorb von 20 Euro. Er würde also rund vier Prozent teurer ausfallen als ein vergleichbarer Warenkorb ohne CO₂-reduzierte Lebensmittel.
Fleischmann fordert: „Wir benötigen zur Massenskalierung die Push- und Pullfaktoren der grünen Leitmärkte, incentiviert seitens der Politik sowie Fördermechanismen, Investitionen und Planungssicherheit, um von der Wasserstoff-Gewinnung mit fossilen Brennstoffen auf die CO₂-neutrale Elektrolyse umzustellen.” Die erste Pilotanlage für das Elektrolyseverfahren hat Yara im Juni 2024 in Porsgrunn, Norwegen eingeweiht
Graue Grüße aus Moskau
Und noch ein weiteres, nicht zu unterschätzendes, Detail gibt Marco Fleischmann zu bedenken: „Mit der konventionellen Wasserstoffproduktion sind wir vom Erdgas abhängig, früher vornehmlich vom russischen”. Heute gelangt russisches Erdgas anders in die EU: Allein 20 Prozent des Mineraldüngers auf dem europäischen Markt stammen inzwischen aus Russlandimporten. „Das ist nichts anderes als veredeltes Erdgas, wohlgemerkt mit einem bis zu doppelt so hohen CO₂-Fußabdruck als Düngemittel aus westeuropäischer Fertigung. In Russland können Sie davon ausgehen, dass Lachgasverbindungen ungefiltert zusammen mit hohen Mengen an Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre abgehen.“ Auf die Irritation angesichts des umfangreichen Sanktionskatalogs der Europäischen Union gegenüber Russland entgegnet er: „Der ungehinderte Düngerimport aus Russland war Teil des Getreideabkommens (Grain Deal) zwischen Russland und der Europäischen Union.” Der am 22. Juli 2022 vereinbarte Grain Deal sicherte die Getreideausfuhr von ukrainischen Schwarzmeerhäfen aus in alle Welt während des russischen Angriffskriegs. Im Gegenzug durfte Russland Güter wie Düngemittel und Lebensmittel nach Europa exportieren. „Russland hat ein Jahr später den Deal ohne Verlängerung auslaufen lassen. Warum die Europäische Union mit den Sanktionen diesbezüglich nicht nachgezogen hat, bleibt eine offene Frage. Zur Verabschiedung eines entsprechenden Sanktionspakets bräuchte es ein einstimmiges Votum aller Mitgliedsländer.
„Am Bedarf kann es jedenfalls nicht liegen; wir europäischen Produzenten wären jederzeit in der Lage, die Versorgung zu gewährleisten”, sagt der Geschäftsführer eines der größten globalen Düngemittelunternehmen.
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