Our Greenery bietet mit ihren Raumgärten Vertical Farming als Praxiskonzept an. Lebensmittelmagazin.de besuchte das Start-up in Berlin-Tegel.
Ob knackig-scharfe Kresse, duftender Basilikum oder feinbitterer Salat – gepflanzt in einer Art Agrar-Heimaquarium bieten die Raumgärten von Our Greenery ein marktfähiges Produkt und Konzept nach dem Hydroponik-Prinzip an. Die Pflanzen werden im Raumgarten rund um die Uhr digital kontrolliert und wachsen, nur von einer Lösung mit allem Wichtigen versorgt.
Bunte Vielfalt
Gründer und Geschäftsführer Daniel Bosman will so den Verbraucherinnen und Verbrauchern es jederzeit ermöglichen, auf bestmöglich frische und nährstoffreiche Keimlinge, Kräuter und Blattgemüse zurückgreifen zu können. Der Gründer ist überzeugt: „Im Durchschnitt ernähren sich Frauen von 17, Männer von zwölf verschiedenen Gemüsesorten, die man im Lebensmitteleinzelhandel vorfindet. Über unser Plug-Angebot haben die Verbraucherinnen und Verbraucher Zugriff auf bis zu 150 verschiedene Gemüsesorten, Kräuter und Keimlinge. Das umfasst dann auch Raritäten, die man sonst aus dem Fine Dining her kennt, wie etwa Bronzefenchel.“ Er pflückt ein purpurnes Pakchoiblatt und zum Vergleich noch einen grünen Pakchoi. Beide haben ein wesentlich markanteres Geschmacksprofil als der sonst aus dem Supermarkt erworbene, der vor allem in asiatischen Gerichten Verwendung findet.
Sein Start-up sitzt im ehemaligen Lufthansa-Cargo-Bereich des ehemaligen Flughafen Tegel. An so einem wolkenverhangenen, nieseligen Tag versprüht das Gelände mit seiner 70er-Jahre Außenfassade einen geradezu postapokalyptischen Charme, von dem man sich nicht täuschen lassen sollte. Im Inneren des Gebäudekomplexes leben und gedeihen die unterschiedlichsten Start-ups aus allen möglichen Bereichen: Drohnentechnik, Solarpaneelen und eben auch Our Greenery. In deren Space sieht man einige Raumgärten, in deren Inneren sie zarte Pflänzchen digital hegen und pflegen. Das Ganze hat auch seinen ästhetischen Reiz: Kräuter, Salate, kleine Stauden mit Kirschtomaten und Chilis wachsen in Reih und Glied, ein bisschen lässt es an die Fortführung des geometrischen Gedankens der Barockgärten etwa von Versailles im dritten Jahrtausend denken – jetzt in Space-Odyssee-Optik.
Foto (links): Tobias Rücker, Foto (rechts): Our Greenery
Kostenpunkt
Der Raumgarten ist mit 2.930,- € für Privatpersonen definitiv ein Investment. Mit 0,39 € pro Tag und einem Stromverbrauch von 40 Kilowattstunden ist es aber das energieeffizienteste Produkt auf dem Markt, so Bosman. Sein Team hat hierzu mehrfach intensive Marktforschung betrieben. Dazu kommen noch Fixkosten für die Lieferung von Plugs alle drei Monate. Bei den Plugs handelt es sich um mit Samen geimpfte Pellets auf Basis von Kokosfasern, alternativ gibt es die Pellets auch blank, sodass man individuell Samen einpflanzen kann.
Fotos: Our Greenery
Im Raumgarten gibt es Kapazitäten für 60 Einheiten, zwölf davon für Microgreens und zweimal 24 Einheiten für Blattgemüse. Daraus lässt sich innerhalb eines Monats vier bis sechs Kilogramm Gemüse ernten, laut Bosman. Nach dem Monat lässt sich der gebrauchte Plug in der Biotonne entsorgen. „Denk mal an die unzähligen Basilikumtöpfe oder andere Pflanzen wie Tomaten oder Schnittlauch, bei denen Gartenerde und die Plastiktöpfe im Abfall landen.” Ein wichtiger Faktor dabei für ihn: kein Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nötig.
Dank der Hydroponik-Technologie benötigt der Raumgarten nur 5 Prozent des Wassers und 3 Prozent der Düngemittel im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft – und das ohne Pflanzenschutzmittel. Eine ressourcenschonende Lösung, die Landwirtschaft in den Alltag integriert. Viermal am Tag werden innerhalb des Raumgartens Stabilizer zur pH-Wert-Korrektur sowie den Messwerten angepasste Nährstoffe über die fließende Nährlösung zu den Pflanzen gebracht. Zusätzliche Entwicklungen sind die Sparmaßnahmen für die Energiebilanz: die Pflanztemperatur entspricht der Umgebungstemperatur in den Wohnräumlichkeiten und der Einsatz der wachstumsoptimierten LED-Pflanzbeleuchtung ist herunterreguliert. „Außerdem kann diese bei optimalem Tageslicht zur Energiereduktion gedimmt werden”, gibt Daniel Bosman zu bedenken.
Junges Gemüse
Vergleichbare Geräte haben noch vor fünf Jahren ein Vielfaches gekostet, doch der Preis könnte möglicherweise nach wie vor Ausschlusskriterium für die Vielzahl der Privathaushalte bleiben. „Das Angebot richtet sich an Early Adopters und progressive Restaurants und Einrichtungen.“ Vorteil für Daniel Bosman mag sein gastronomischer Hintergrund sein, bei dem er zuvor beim Ausbau und der Skalierung von Restaurants involviert war. „Die Mehrzahl der Kunden hat selber einen Bezug zu Garten- und Landwirtschaft”, erklärt der Gründer. Der hohe Preis kommt laut Bosman unter anderem dadurch zustande, dass die Produktion der Maschine zu 85 Prozent in Europa geschieht. „Bei LED-Technologie und den Ventilatoren ist man im Augenblick auf das chinesische Angebot angewiesen, da gibt es noch keine europäische Alternative”, gibt er zu bedenken. Eine Skalierung der Produktion würde den Preis senken: „Ich sehe da eine Reise wie die der Spülmaschine”. Der Markt sei vergleichsweise jung, aktuell sieht er sechs skalierbare Unternehmen in Europa. „Für mich sind das noch Mitbewerber, wir sollten viel mehr miteinander kooperieren und voneinander lernen. Wenn der Markt anfängt sich zu sättigen, dann können wir über Konkurrenz sprechen.”
Aktuell laufen 130 Raumgärten seit Gründung 2021. Seit dem Winter 22/23 besteht eine Testreihe mit Paul’s Deli Kantine in der evangelische Elisabeth Klinik Berlin. Diese wurde auch inzwischen auf zehn Kliniken in Berlin und Brandenburg ausgeweitet. Die Kräuter und Microgreens dienen dort als Zutat und Garnitur für Hauptgerichte, belegte Brote und Suppen.
Dies mag für den Gründer für gewisse Genugtuung sorgen. Den Anstoß für das Projekt Our Greenery gab ein ernsthafter Anlass. Daniel Bosman musste erleben, wie seine Mutter während der stationären Krebstherapie eine seiner Meinung nach unzureichende Krankenhausverpflegung über sich ergehen lassen sollte. „Ich habe mich umfassend über die optimale Ernährung während der Chemotherapie informiert und versorgte darauf basierend meine Mutter mit mitgebrachtem Essen. Dies sorgte damals durchaus für Ärger mit den Ärzten.” Er ist davon überzeugt, dass besonders frisches Gemüse und Obst in bestmöglicher Qualität die Therapie unterstützen könne. Außerdem verspricht er einen 79 Prozent höheren Nährstoffgehalt gegenüber vergleichbarer Ware aus dem Supermarkt.
Dabei ist es so, dass vor allem Blattgemüse, wie etwa Mangold oder Brunnenkresse, zu den nährstoffdichtesten Gemüsesorten gehören und diese sich beispielsweise optimal im Raumgarten anbauen lassen.
Foto (links): Our Greenery, Foto (rechts): Tobias Rücker
Zukunftsmusik?
Auch wenn Vertical Farming als Alternative zur konventionellen Landwirtschaft ein relativ neues Feld ist, so mag der eine oder die andere sich möglicherweise an die kleinen Gewächshäuser für Küchenkräuter in einigen Supermärkten erinnern und daran, dass dieses Angebot auch recht zügig wieder verschwand. Dabei sind die Vorteile nach wie vor nicht von der Hand zu weisen: Ressourcen wie Wasser und Düngemittel werden bestmöglich eingesetzt, Ackerland kann anderweitig genutzt werden und theoretisch fallen Transportkilometer weg, denn „diese Indoorfarmen wurden allabendlich von Studierenden mit vorgezogenen Kräutern aus der Zentrale neu bepflanzt. Das war ärgerlich, weil es dem eigentlichen Sinn widersprach.”
Auf langfristige Sicht möchte Daniel Bosman mit seinem achtköpfigen Team unter anderem aus Agrarwissenschaftlern und IT-lern, mit einer Kontrollsoftware mehrere Hardware-Module für unterschiedliche Pflanzengruppen entwickeln. „Nur bei Tomaten, Paprika oder Auberginen lohnt sich das nicht, da ist der Anbau im Gewächshaus schon optimal.”
Das Gute an dem Standort Flughafen Tegel ist, dass es hier unzählige Möglichkeiten für potenzielle Synergien gibt. Wie toll wäre es, beispielsweise mit Solarmodulen unabhängig vom Stromnetz arbeiten zu können oder die Technik auch beim Algenfarming einsetzen zu können, aber das liegt in der Zukunft.
Artikel-Teaserbild (oben): Tobias Rücker