KI in der Landwirtschaft

Weniger auf dem Traktor, dafür mehr hinterm Schreibtisch. Der Berufsalltag von Bäuerinnen und Bauern steckt im Wandel. Lebensmittelmagazin.de hat dazu die Veranstaltung „Wie Physical AI unsere Landwirtschaft revolutioniert“ besucht.

„5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig“, war 2018 Bildungsministerin Anja Karliczek noch überzeugt. Insofern sind die Bestrebungen der sogenannten „Mission KI“ als Teil der nationalen Digital-Strategie, künstliche Intelligenz (KI) in die Landwirtschaft zu implementieren, Ausdruck eines Paradigmenwechsels.

Mehr Vertrauen in künstliche Intelligenz

Die Mission KI, ein Projekt der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, ist eine nationale Initiative der Bundesregierung, die darauf abzielt, das Wachstum vertrauenswürdiger und marktfähiger KI-Anwendungen in Deutschland zu fördern. Als Hebelprojekt der Digitalstrategie soll sie die digitale Wettbewerbsfähigkeit stärken und verfolgt dabei drei Hauptziele:

  • Verbesserung der Datenbasis für KI-Innovationen: Durch die Vernetzung von Datenräumen über Sektoren- und Ländergrenzen hinweg soll eine erweiterte Datenbasis geschaffen werden, die als Fundament für KI-Innovationen dient.
  • Schaffung transparenter KI-Qualitäts- und Prüfstandards Es sollen einheitliche Qualitäts- und Prüfstandards entwickelt werden, die als Grundlage für ein freiwilliges KI-Gütesiegel nach deutschen und europäischen Werten dienen. Dies soll das Vertrauen in KI-Anwendungen stärken und ihre Marktfähigkeit erhöhen.
  • Unterstützung des Wachstums von KI-Innovationen 

Durch die Vernetzung von Investoren mit KI-Gründern und Unternehmen sowie die Entwicklung nicht-finanzieller Maßnahmen soll das Wachstum von KI-Innovationen unterstützt werden.

KI hautnah

Um Vorbehalte und Misstrauen abzubauen, errichtet Mission KI KI-Qualitäts- und Innovationszentren (IQZ), wie jetzt zuletzt im Deutschen Technikmuseum. Das IQZ Berlin bietet einen interaktiven Erlebnisraum, in dem Besucherinnen und Besucher die Welt der künstlichen Intelligenz hautnah entdecken können. Die Ausstellung umfasst verschiedene Stationen, die die Funktionsweise von KI veranschaulichen und ihre Anwendung in unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbereichen zeigen, beispielsweise im Straßenverkehr, wo die Besucherinnen und Besucher lernen, wie begrenzt ihre Wahrnehmung gegenüber der KI ist. Im medizinischen Bereich soll das menschliche Auge beim Hautkrebs-Screening abgelöst werden, denn der KI entgeht nichts. Ziel ist es, Transparenz zu schaffen und einen lebhaften Austausch über die gesellschaftlichen, ethischen und technischen Aspekte von KI zu fördern.

Lernen ist nicht lernen

Zum Auftakt einer Reihe von Panel-Events im IQZ Berlin lud die Mission KI Ende Februar zum Thema „Wie Physical AI unsere Landwirtschaft revolutioniert“ ein.

Dr. Aljoscha Burchardt vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz führte die Zuschauerinnen und Zuschauer in seiner Keynote in das allgemeine Konzept der künstlichen Intelligenz ein und führte die unterschiedlichen Arten des Lernens vor Augen. Vom Kleinkind kennt man, dass es eigenständig beispielsweise die Schwerkraft durch Erfahrung lernt, der umgekippte Wasserbecher oder der zum xten mal herunter geworfene Schnuller. Später wird diesem Kind in der Schule beigebracht, wie es erstmals schreibt und darauf aufbauend Fremdsprachen und Geschichte etwa.

Künstliche Intelligenzen, Roboter wie Programme, sind heutzutage in der Lage, auf Datenbanken zuzugreifen, bzw. aus eigenen Messungen Rückschlüsse zu ziehen. Mit einem aus Messungen ermittelten sogenannten digitalen Zwilling sucht die künstliche Intelligenz in Planspielen nach bestmöglichen Lösungen, die sie dann in der Realität wiederum umsetzt und gegebenenfalls dann auch eigenständig korrigiert. Besonders erhellend: das doch allen geläufige Navi, das vor Jahrzehnten das umständliche Straßenkartenlesen ablöste, ist nichts anderes als ein Beispiel für künstliche Intelligenz.

Zum Gespräch im Atrium des IQZ trafen sich als Expertinnen und Experten: 

  • Martin Vesper, Geschäftsführer bei Pfeifer & Langen GmbH & Co. KG und Vorsitzender der Initiative D21. Diese Initiative ist Deutschlands größtes gemeinnütziges Netzwerk für die digitale Gesellschaft, das Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft vereint.
  • Lea Fließ ist Geschäftsführerin des Forums Moderne Landwirtschaft (FML). Dieser Verein mit Sitz in Berlin besteht aus rund 60 Mitgliedern, darunter Verbänden, Organisationen und Unternehmen der Agrarbranche. Ein zentrales Anliegen des FML ist die Förderung innovativer Technologien, insbesondere im Bereich der künstlichen Intelligenz, um die Effizienz und Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft zu steigern.
  • Professor Dr. Uwe Knauer ist an der Hochschule Anhalt als Professor für Digitale Technologien in der Pflanzenproduktion tätig. Ein Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung von Smart Transformation Labs, die als virtuelle Zukunftsbetriebe dienen und den Wissenstransfer fördern. Darüber hinaus engagiert sich Professor Knauer in der Ausbildung angehender Landwirtinnen und Landwirte, indem er sie auf die Herausforderungen und Möglichkeiten der digitalen Transformation vorbereitet. Seine Expertise umfasst dabei insbesondere den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Landwirtschaft, wobei er betont, dass KI dazu beitragen kann, große Datenmengen zu bewältigen und Entscheidungsprozesse zu optimieren.
  • Maurice Gohlke ist einer der Gründer der Farming Revolution GmbH. Das Unternehmen setzt seit fünf Jahren die Erkenntnisse aus der Wissenschaft mit dem Einsatz modernster Technologien wie eben der KI in marktreife Maschinen und Roboter um, für Lösungen, die Effizienz und Nachhaltigkeit auf den Feldern vereinen.
Podiumsdiskussion zur digitalen Transformation
Foto: Johannes – lebensmittelmagazin.de

Unkrautzupfende Roboter?

Ein Beispiel dieser Innovationskraft ist der Hackroboter „Farming GT“. Dieser nutzt GPS-Technologie für autonomes Fahren und eine KI-gestützte Kameratechnik zur präzisen Unterscheidung zwischen Nutzpflanzen und Unkraut. Durch mechanischen Schnitt oberhalb der obersten Bodenschicht wird Unkraut effektiv bekämpft, wodurch der Bedarf an Herbiziden entfällt und mühsame Handarbeit reduziert wird, was vor allem für den Biolandbau mit seinen eingeschränkten Möglichkeiten der Unkrautbekämpfung relevant ist.

Die Effizienz des „Farming GT“ kann sich sehen lassen: „Abhängig je nach Anbau kann man ungefähr sagen, dass der Hackroboter für einen Hektar Acker 100 Stunden Handarbeit einspart”, schätzt Maurice Gohlke.

An die 60 verschiedenen Ackerpflanzen sind aktuell für den „Farming GT“ ausgewiesen, klassisches Gemüse wie Lauch, Kartoffeln, Mais und vieles mehr. Der Roboter-Experte gibt zu bedenken: „Eine Herausforderung bleiben aber eng gesetzte Pflanzen wie Getreide oder auch Karotten. Bei diesen ist das mechanische Haken nicht möglich. Aber immerhin haben wir so die Option, nur punktuell Pflanzenschutzmittel einsetzen zu müssen, statt das ganze Feld zu besprühen. Darüber hinaus besteht noch die Möglichkeit, das Unkraut mit Laser zu bekämpfen, das ist aber sehr langsam, er schafft vier Pflanzen pro Sekunde.”

Unkrautbekämpfung ist ja schon mal super, aber wann kann die KI ernten? So ein Greifarm würde doch auf jeden Fall zarten Spargel und empfindliche Erdbeeren zerdrücken. Die Augen des Experten leuchten auf: „Die Ernte wäre auf jeden Fall ein hervorragendes Einsatzgebiet für KI. Die praktische Umsetzung dessen mit ihren Herausforderungen bleibt nur eine Frage der Zeit.”

Das allsehende Auge der KI

Drohnen und Satelliten erfassen sensorisch beim Einsatz von KI in erster Linie optisch den Zustand der Feldpflanzen für Rückschlüsse. Dabei stellen laut Professor Knauer sowohl die ESA (Copernicus-Programm) als auch NASA (u. a. Landsat) öffentlich kostenfrei verfügbare Daten zur Verfügung. Diese werden von verschiedenen Anbietern genutzt, um Auswertungen für die Landwirtschaft durchzuführen und diese der Landwirtschaft (teilweise gegen Entgelt) zur Verfügung zu stellen. Hervorzuheben sind u. a. die Sentinel-Satelliten (Sentinel-2) mit weltweiter Abdeckung und Aufnahmen alle fünf Tage. Einschränkend wirken Wolken, d. h. optische Sensoren können nicht jedes Feld bei jedem Überflug aufnehmen. KI leistet auch hier einen Beitrag, um Lücken in den Daten durch Berechnungsergebnisse und gute Schätzwerte zu ersetzen.

KI-gestützte Feldüberwachung
Stock87 – elements.envato.com

Dennoch ist ein weltweites Monitoring hinsichtlich angebauter Kulturen und z. B. der Biomasseentwicklung möglich, so dass auch Prognosen zu Erntemengen flächendeckend möglich sind. Es ist also hier nicht allein die Anzahl der Satelliten entscheidend.

Der Wissenschaftler ist sich sicher: „Satellitenschwärme werden zukünftig größere Bedeutung erlangen, da sie häufiger Aufnahmen liefern und Probleme mit der Datenqualität (einfachere Kamerasysteme) auch durch neue Auswertemethoden und KI-basierte Bildverbesserung  adressiert werden können.”

In Asien sei diese Technologie inzwischen weitaus etablierter, 35 Millionen Hektar würden inzwischen mit Drohnen bearbeitet werden.

Nie mehr „Heidi-Hof“?

Bedeutet dies, dass Landwirtinnen und Landwirte nicht mehr auf dem Traktor sitzen zur Feldarbeit sondern eher übers Handy oder gar am Schreibtisch? Professor Knauer schmunzelt ein wenig: „Die von mir ausgebildeten Landwirtinnen und Landwirte haben von sich aus dem Bezug zu ihrem Land und ihren Pflanzen, der geht dabei auch nicht verloren und das Hände schmutzig machen gehört nach wie vor dazu. Aber die Landwirtinnen und Landwirte können jetzt mit Robotern statt Feldarbeitern arbeiten.”

Martin Vesper ergänzt dazu den Gedanken: „Für unsere Vertragsbauern im Bereich der Zuckerrüben benötigen wir umgerechnet 25.000 Landarbeiterinnen und Landarbeiter für drei Wochen. Wir brauchen an der Stelle gar nicht erst über die Lohnkosten nachdenken. Denn wir bekommen diese Leute einfach gar nicht.” Weiteres Einsatzgebiet von KI gerade bei den Zuckerrüben: die sogenannten Mieten, jene Zuckerrübenhaufen, die man im Winter an den Feldrändern lagern sieht, werden mit künstlicher Intelligenz kontrolliert, um Befall und Lagerschäden zu vermeiden.

Auf das Unbehagen, das die Industrialisierung in der Landwirtschaft in der Bevölkerung auslösen könnte, lädt Lea Fleiß dazu ein, Gelegenheiten wahrzunehmen, um moderne Bauernhöfe zu erleben und sich von der überholten Vorstellung zu verabschieden.

Größer, schneller, weiter

Dem Vorwurf, dass Roboter und künstliche Intelligenz den großen Höfen vorbehalten sind, entgegnen die Expertinnen und Experten damit, dass erst die Technologie Landwirtschaft skalierbar mache. „Sie könnten einen Viehhof mit über 1500 Tieren gar nicht nur mit Handarbeit bewerkstelligen, sondern brauchen auch optische Sensoren, sowie Temperaturmessungen beispielsweise, um die Gesundheit der Tiere zu gewährleisten und zu überwachen. Gohlke gab nur zu bedenken: „Es ist nicht besonders sinnvoll, einem Hackroboter zu erwerben und dann wird die Leistung der Maschine nicht ausgelastet. Dementsprechend sei es sinnvoll, wenn mehrere Landwirte dann zusammen eine Maschine kaufen. Nach wie vor bestehendes Manko hierbei: die Roboter-Finanzierung ist nach wie vor schwierig, weil die Abschreibung über etliche Jahre geht und hier der Support seitens der Politik noch zu ungewiss sei.

Abgesehen von Nachhaltigkeit und Umweltschutz gibt es aber noch einen dringenden Aspekt, der die Notwendigkeit dieser Innovationen deutlich macht: mit Blick auf den Ukraine/Russland-Konflikt war Europa zwischendurch konfrontiert mit dem Engpass bei Sonnenblumenöl. So kann zukünftig künstliche Intelligenz immer mehr von Nöten sein für die Versorgungssicherheit, auch weit über die Bio-Nische hinaus.

Roboterhund Spot unterwegs auf der Messe
Foto: Johannes – lebensmittelmagazin.de

Während des gesamten Paneltalks lief Spot, ein Roboterhund aus dem Hause Boston dynamics, mit dem Charme eines Salukis durch die Ausstellung. Es war ein bisschen beruhigend, dass er mit der Aufgabe, eine Tür zu öffnen doch überfordert war. Die reflektierende Glasscheibe der Tür irritierte das System. Ganz autonom ist die Technologie dann Gott sei Dank doch nicht.

Artikel-Teaserbild (oben): sedrik2007 – elements.envato.com

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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