Mehr als nur ein subjektiver Eindruck – die Gastronomie sieht sich nach wie vor großen Herausforderungen gegenüber: Personalmangel, Bürokratie und hohe Betriebskosten. Mannigfaltige Lösungsvorschläge dazu gab es auf der 99. Internorga. Lebensmittelmagazin.de ist dazu an die Alster gefahren.
Damit der Laden in aktuell herausfordernden Zeiten richtig gut läuft und zufriedene und glückliche Gäste wiederkommen – dieser Gedanke lag wohl dem offiziellen Motto der diesjährigen Internorga „Wo Trends laufen lernen“ zu Grunde. Die Internorga ist die internationale Leitmesse für Hotellerie, Gastronomie, Bäckereien und Konditoreien, die jährlich im März in Hamburg stattfindet. 1.200 nationale und internationale Ausstellerinnen und Aussteller präsentierten dieses Jahr Fachbesucherinnen und Fachbesuchern ihre innovativen Produkte, Servicelösungen und Trends für den gesamten Außer-Haus-Markt wie Gastronomie und Hotellerie.

Fotos: Johannes – lebensmittelmagazin.de
Läuft grad noch nicht so
Der Deutsche Hotellerie- und Gaststättenverband (DEHOGA) konstatiert zur aktuellen Situation: „Die Lage in der Gastronomie bleibt angespannt. Gegenüber 2023 ging der preisbereinigte Umsatz im Jahr 2024 um 3,8 Prozent zurück (nominal -0,5 Prozent). Steigende Kosten bei Personal, Nahrungsmitteln und Energie sowie die 2024 auf 19 Prozent angehobene Mehrwertsteuer für das Essen vor Ort im Restaurant belasten die Betriebe stark. Es wird immer schwerer, wirtschaftlich zu arbeiten.“ Oder wie ein Hotelbesitzer beim Smalltalk meinte: „Wir laufen gerade durchs Höllental.”
Technik, die begeistert
Abgesehen von der High-end-Technik an Küchengeräten für Gastronomie und Hotellerie präsentierten die Herstellerinnen und Hersteller auch insbesondere im Rahmen der digitalen Welten und künstlichen Intelligenz hier Möglichkeiten, so viele Arbeitsschritte wie möglich an die Maschine weiterzugeben. Vor allem die Roboter haben inzwischen ihre wahre Berufung gefunden und haben sich des Nächtens über endlosen Hotelflure surrend als Reinigungskraft etabliert, die somit etliche Arbeitskilometer menschlicher Arbeitskräfte übernehmen, die ansonsten händeringend zu suchen wären.

Foto: © Hamburg Messe und Congress GmbH / Rolf Otzipka
Unternehmen wie Brandnamic aus Brixen bieten mit Fokus auf Hotels digitale Rundum-sorglos-Pakete. Insbesondere der bürokratische Aufwand, der gefühlt eher mehr als weniger wird, soll auf diesem Wege abgenommen werden, sodass sich Wirtinnen und Wirte wieder primär um das Eigentliche kümmern können, nämlich den direkten Umgang mit ihren Gästen.
Verkoste es was es wolle
Aber was wäre die Internorga ohne die Möglichkeit, sich durchzuprobieren und kulinarische Inspirationen einzuholen? Auch hier hinterlässt Personalmangel und Arbeitskosten seine Spuren: viele Arbeitsschritte in der Küche zur Vorbereitung von Speisen werden jetzt industriell vorweggenommen. Dabei ist das Angebot an Convenience-Produkten bunter und vielfältiger denn je, etwa beim Gebäck, wo unter anderem die Firma Ditsch ihre Pretzel Bites präsentierte, die das traditionelle Gebäck jetzt ins Snack-Format packt.
Auch das Angebot der vegetarischen und veganen Alternativen wird Jahr um Jahr spannender. Laktoseintolerante werden sich freuen, Softeis gibt es jetzt in der leckeren veganen Alternative unter anderem bei Zentis. Persönliches Highlight war aber der „Opflanzda” aus dem traditionsreichen Hause Alpenhain vor den Toren Münchens. Der vegane Obatzda kann sowohl mit moderater Zutatenliste als auch mit seinem Geschmack überzeugen. Die Blindverkostung unter diversen Obatzdas im Einzelhandel dürfte die Creme locker halten, die geschützte geographische Angabe des Originals natürlich nicht.


Fotos: Johannes – lebensmittelmagazin.de
Als kleine Überraschung mit großer Wirkung entpuppte sich der Stand von Koppert Cress aus den Niederlanden, die ihr Konzept von Kräutertöpfchen zu einem ganz spannenden Baukastensystem elaboriert haben. Kräuter und Microgreens unterschiedlichster Arten sollen die Gerichte nicht nur mit ihren Inhaltsstoffen, sondern vor allem auch aromatisch bereichern. So schmeckte dann eine Blüte etwa wie ein Melonenbonbon und zur großen Überraschung kreierten die Messevertreterinnen und -vertreter mit verschiedensten Blättern und Blüten ein Bouquet, das ausgesprochen angenehm nach Auster schmeckte, perfekt etwa für eine Veggie-Sushi-Rolle.


Fotos: Johannes – lebensmittelmagazin.de
Magischer Blick in die Zukunft
Gute Impulse und interessante Ausblicke auf die Gastronomietrends sind seit ehedem Teil der Internorga. Seit zwölf Jahren inspiriert hier Foodtrendforscherin Karin Tischer von der Agentur Food & More in Kaarst die Fachbesucherinnen und -besuchern auf der Bühne des Pink Cubes mit ihren Beobachtungen und Prognosen. Das Essen mehr als nur Essen ist, unterbreitete sie als erstes im Einführungsteil ihres Vortrags „Magie der Emotionen”. Besucherinnen und Besucher sollen in Restaurants aus dem Alltag entführt werden, um einzigartige Eindrücke und Emotionen zu sammeln. Helfen sollen hierbei neben der Einrichtung des Restaurants die Inszenierung der Mahlzeiten, die Art und Weise des Servierens, etwa Cocktails mit Trockeneisnebel oder thermodynamisch zuckenden Bonitoflocken auf dem Teller. Als Beispiel nannte sie die levantinische Feelgood-Slowfood-Kette Neni, wo insbesondere das Foodsharing-Konzept ausgiebig zelebriert wird oder das Fischrestaurant Pesca aus Amsterdam, das demnächst eine weitere Filiale in Hamburg eröffnet und seine Gäste in die virtuos-professionelle Atmosphäre einer Fischmarkthalle bringt, mit buchstäblich fliegenden Fischen. Emotionen sind für Tischer der treibende Motor, der Menschen bewegt, und der Schlüssel zu Innovation, Verbindung und Erfolg. Essen sei hoch emotional, persönlich und oft sogar intim.
Immer eine Hand frei
Beim Thema „Streetfood-Reise” um die Welt gab die Trendforscherin zu bedenken, dass Snacking zwar immer mehr gesetzte Mahlzeiten ersetze, gerade aber keine Zeiten für waghalsige innovative Experimente sei, sondern vielmehr Klassiker in ihrer vielfältigen globalen Ausprägung weitergedacht werden. Ein Aspekt, auf den die Forscherin hinwies, ist die Option, mit der eine Hand den Snack zu halten für den Verzehr und mit der anderen Hand das Smartphone bedienen zu können, um beim Essen weiterhin digital verbunden zu sein; O tempora, o mores!
Die Vielfalt globaler Streetfood-Kulturen biete laut Tischer Inspiration für kreative Konzepte und neue Geschmackserlebnisse. Und sie hatte noch eine kleine Überraschung parat: War Lieferservice ursprünglich zur Ausfuhr von Pizza gedacht, landet diese nur noch auf Platz drei und wurde dabei längst von Fritten und Burgern überholt.
Und gerade bei Pommes sind die Anforderungen damit gewachsen, so lange heiß und knusprig zu bleiben. Damit aber nicht genug, nach dem kanadisch-amerikanischen Vorbild der Putine, also ursprünglich Pommes frites mit Bratensoße und Käsespread, gibt es mittlerweile mannigfaltige Varianten, wie sie beispielsweise von der Kette Frittenwerk angeboten werden, um die Kartoffelstäbchen mit Salat, Chilis, Falafel und allem was das Herz begehrt noch anzureichern.
Amüsiert stellte Karin Tischer fest, das Snacking, Fast Food & Co. allerdings in keinerlei Widerspruch zu gesundheitsbewusster Ernährung stehen müssen, die laut ihr ebenfalls weiterhin trendet, ob als Bowl, Salat oder Wrap etwa. Die Rede ist beispielsweise von der Planetary Health Diet, sowie pflanzliche Proteinalternativen, die in ihrer Qualität und Vielfalt nach wie vor wachsen würden. Ein ganz spannender Gedanke von Karin Tischer: der Leerstand städtischer Räume bietet Potenzial für innovative Gastronomieangebote, die so auch als sozialer Kitt die Gemeinschaft stärken und den Raum wiederbeleben können, sogenannte kulinarische Städtearchitektur.
Unterwegs als Quotenmann
Nach ihrem spannenden Vortrag gab es noch eine Überraschung von der Trendforscherin: Gemeinsam mit dem Frauennetzwerk Foodservice gab es eine persönliche Einladung zum von ihr geführten Rundgang über die Internorga, bei dem sie eindrucksvoll ihre Thesen mit allerlei Köstlichkeiten untermauern konnte. So konnte man bei Lamb Weston direkt jene neuartigen Pommes frites verkosten, die länger anhaltende Knusprigkeit versprachen, dank eines zusätzlichen Stärkemantels und dreieckigen Cut. Bei der Salomon Foodworld GmbH hatte man die Gelegenheit den fleischlichen Gelüsten zu folgen in Form von Hähnchenschenkeln und Schweinebauch in knusprig-saftiger Darreichungsform als Snack. Aber so lecker der Burger war mit seinem besonders knusprigen Patty, der smashed, also plattgedrückte Burger als einhändiger Snack ist und bleibt ein waghalsiges Projekt, zumindest für die Sauberkeit des Hemdes.


Fotos: Johannes – lebensmittelmagazin.de
Das gesund auch aufregend sein kann demonstrierte das gereifte Wurzelgemüse von Internorga Zukunftspreis-Gewinner Verrano. Die vegane Charcuterie von der fermentierten Steckrübe, rote Beete und Sellerie schmeckte fantastisch und bot eine hervorragende pflanzliche Alternative zu Salami, Wurst und Co. Einen ähnlich ganzheitlichen Einsatz gab es beim Kimchi von That’s Kimchi. Längst ist die koreanische Sauerkraut-Variante in fast aller Munde, aber der Produzent demonstriert mit seiner Mayonnaise, Chips und vielem mehr, dass die Kohlspezialität mehr als nur eine besonders aromatische Gemüsebeilage ist.


Fotos: Johannes – lebensmittelmagazin.de
Einmal um die Welt
Als letztes Sahnehäubchen der Internorga gab es beim Frauennetzwerk noch eine Einladung zur Verkostung der neuen Unilever-Tiefkühllinie „High Convenience” von der DACH Marketing-Chefin Maria Ziegfeld. Die Range dessen führte einmal rund um den Globus mit unter anderem indischem Dal, Thai Curry, aber auch „Bud Spencers Leibgericht”, einem sardischen Tomaten-Olivenragout. „Alles vegan zubereitet, aber flexitarisch konzipiert”, erklärte Ziegfeld. De facto waren weder Chicken oder Beef sonderlich zu vermissen, eine tiefgekühlte Horizonterweiterung, jenseits von Pizza und Rahmspinat.
Artikel-Teaserbild (oben): © Hamburg Messe und Congress / Alexander Wöckener