Ein Sommelier hält die Balance zwischen Weinexpertise und Gastfreundschaft, zumindest der Chef in der Berliner Weinbar GLASWEISE. Lebensmittelmagazin.de hat sich einschenken lassen.
Die Baustelle am Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte ist nach Jahren fertiggestellt, der Platz erstrahlt in neuem alten Glanz und die ersten lauen Abende laden dazu ein, den Feierabend beispielsweise mit einem Glas Wein einzuläuten.
Nahbar und verständlich
Nur einen Katzensprung vom Gendarmenmarkt entfernt liegt seit einem Jahr die Bar „GLASWEISE”. Inhaber ist der Sommelier und Gastwirt Marco Gianni, der seinen Laden vorher in Kreuzberg hatte. Sommeliers, das sind doch diese Menschen, die einen ganzen Obstkorb im Wein erschmecken und einen ansonsten mit ihrem Vokabular einschüchtern. Wer also, wenn nicht Marco Gianni, sollte bei der wichtigen Frage Bescheid wissen, ob zu Austern besser Muscadet oder – wie häufig behauptet – besser Sancerre passt? Im GLASWEISE bekommt man Fine de Claires Austern mit Schalottenvinaigrette als exklusiven Snack serviert. „Da würde ich den Muscadet bevorzugen, dessen Süße einen guten Kontrast zur salzigen, jodigen Auster bietet”, lächelt Marco, nur um direkt hinterher zu schieben: „Aber mir ist es wichtiger, dass meine Gäste hier eine gute, genussvolle Zeit haben und dass ich als Sommelier dieselbe Sprache wie der Kunde spreche. Eine typisch deutsche Formulierung bei den Weinvorlieben der Gäste ist beispielsweise ‘trocken und säurearm’, Wein aus den südlicheren Ländern hat diese Qualität aber bereits schon durch seine natürlichen Gegebenheiten und differenziert sich anderweitig. Ich habe dann trotzdem eine Idee von der Vorstellung des Gastes. Denn häufig hat die Angabe „säurearm“ nichts mit einem minderen Säuregehalt zu tun hat. Aber ich bin nicht hier, um meine Gäste zu belehren.”

Foto: Johannes – lebensmittelmagazin.de
Dass Wein vor allem Kopfsache sei, zeigt er noch am anderen Beispiel: Lugana ist momentan als Wein in aller Munde und würde auch im GLASWEISE oft nachgefragt werden. Er erläutert: „Der Lugana ist eher eine Erinnerung. Viele haben ihn im Urlaub am Gardasee kennengelernt. Im Urlaub entspannt man, hat gute Laune, der Ausblick ist herrlich, die Sonne scheint und dann trinkt man diesen Wein. Daran erinnert man sich, wenn man ihn anschließend in Deutschland trinkt. Im Urlaub schmeckt eh alles immer besser.”
Gut rumgekommen
Der gebürtige Römer arbeitete zunächst in England und zog der Liebe wegen auf die Insel Elba. Aufgrund seiner Erfahrung mit deutschen Touristinnen und Touristen entschloss er sich damals in der Wintersaison eine Sprachreise nach Berlin zu machen und landete so im renommierten Bocca di Bacco auf der Friedrichstraße für acht Jahre. Zwischendurch arbeitete er auch als Vertreter für italienische Weine in Berlin-Brandenburg, bevor er die kommenden zwei Jahre wieder im Bocca di Bacco unterkam und sich vom Kellner zum Sommelier bis hin zum Restaurantmanager hocharbeitete, bevor er seine eigene Bar eröffnete, die jetzt eben an den Gendarmenmarkt gezogen ist.

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Klasse statt Masse
Hier im vielleicht touristischsten Teil Berlins, umgeben von vielen Hotels, bietet er Genuss als 360° Erfahrung, wie er es nennt: das fängt an bei den bequemen eleganten Stühlen, der Auswahl der Musik, den wechselnden Kunstwerken an den Wänden und natürlich der Auswahl an Wein. Aber Qualität hat ihren Preis, hier gibt es kein Glas Wein unter 10 Euro. Für diese Qualität braucht man auch die richtigen Kunden, die man an diesem Standort seiner Meinung nach auch findet. Dabei muss man bei der Weinempfehlung schon rechtzeitig herausfinden an welches Budget vom Gast gedacht wird.
Er möchte aber den Tourismusfaktor relativieren: „40 Prozent meiner Gäste machen vielleicht Touristen aus, die wir auch sehr schätzen. Zu Beginn meiner Karriere habe ich in der Hotellerie mittendrin gearbeitet, das war intensiver Tourismus. Hier herrscht eine gute Mischung.”


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Besser geht’s nicht
Bereits zu seiner Zeit als Kellner im Bocca di Bacco hatte er die Möglichkeit, Topqualitäten von Wein kennenzulernen, wie beispielsweise einen Romanée-Conti, wo die Flasche schon mal 20.000 Euro kosten kann, einen Sassicaia aus der Toskana oder einen Amarone Della Valpolicella. „Die Wahl für so eine gute Flasche Wein ist vielfältig, das kann Prestige sein, das kann Neugierde sein, das kann aber auch Gewohnheit sein, beziehungsweise eine Frage des sozialen Kontextes.
Das Wissen eines Sommeliers sollte natürlich weit über solche State of the Art Weine hinausreichen. Man lernt dies auf einer Sommelierschule. Aber aufgepasst bei der Wahl einer solchen: Das Zertifikat der Sommelierschule der Industrie- und Handelskammer (IHK) hier in Deutschland beispielsweise ist auch nur in Deutschland relevant. Die Sommelierschule der Associazione Italiana Sommelier (AIS) ist das italienische Pendant und der Wine & Spirit Education Trust (WSET) hat als globale Organisation weltweite Anerkennung.
Marco Gianni besuchte die Europäische Sommelierschule im niedersächsischen Wolfenbüttel, deren Lehrer*innen alle einen Sommelierabschluss bei AIS in Italien besitzen. Hier werden den Schülerinnen und Schülern zunächst vor allem Grundlagen vermittelt über die Herkunft des Weines. Dazu gehören beispielsweise auch Kenntnisse über die Arbeit des Winzers im Weinberg, die Beschaffenheit der Böden und deren Auswirkung. Auch das Know-how eines Kellermeisters, der mit der Länge der Maische und Temperaturen während der Gärung beispielsweise Einfluss auf die Qualität des späteren Weins nimmt, gehört zum Curriculum. „Dazu gehören dann heute auch Kenntnisse über modische Kreationen wie Orangewein, maischevergorener Weißwein oder auch beispielsweise Naturwein, Weinherstellung fast ohne Zusatzstoffe mit traubeneigenen Hefen. Man lernt übrigens auch Fakten, die wahrscheinlich allgemein nicht so geläufig und damit überraschend sind: etwa, dass China inzwischen so viel Wein produziert wie Deutschland und dass Kanada größter Riesling-Produzent ist.
Hauptsache gute Zeit
Man verlässt so eine Sommelierschule laut dem Gastronomen mit unglaublich vielen Theorien im Kopf, die man für die Arbeit dann nicht mehr zwangsläufig benötigt. „Ich bin gegen diesen Sommelier-Typus, der arrogant mit seinem Wissen herüberkommt. Es geht doch um keine Challenge, wer sich mit Wein besser auskennt. Die Leute kommen um eine gute Zeit zu haben,” erklärt Marco. Diese spezifischen Fachkenntnisse sind für ihn wichtig, wenn man beispielsweise zu einem Neun-Gänge-Menü eine Weinbegleitung zusammenstellt. Der Sommelier wählt aus seiner Perspektive Weine heraus, die je nachdem mit dem Gang harmonieren oder einen interessanten Kontrast bilden und so dem Gast die Möglichkeit bieten, Neues zu entdecken. „Wenn aber Gäste zu Salat und Meeresfrüchten Rotwein trinken möchten, dann würde ich sie davon nicht abhalten, sondern versuchen, einen frischen leichten Rotwein zu empfehlen. Mich freut es mehr, wenn die Gäste zufrieden sind.”
Genuss en detail
Der Sommelier zeigt dafür noch ein sehr schönes Detail seiner Arbeit, das etwas technisch ausfällt. Damit Champagner besonders hübsch im Schaumweinglas perlt, wird zentral am Boden eine Stelle aufgeraut, der sogenannte Moussierpunkt. Während im unbehandelten Glas die Perlage schnell nachlässt und das Getränk abgestanden aussieht, sprudelt der Champagner im präparierten Glas munter vor sich hin, was tatsächlich sehr edel aussieht.

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Ähnlich wichtig ist für ihn die richtige Temperatur beim Servieren: „Bei uns wird Rotwein bei 13 Grad Celsius serviert, der vorher im Chambrair gelagert hat. Mit der Beleuchtung, Kerzen und den vielen Menschen im Raum wäre er bei Raumtemperatur zu warm. Niemand möchte 25 Grad warmen Wein trinken.“
Regionale Vielfalt
Doch woher kommen die Weine, die er im GLASWEISE anbietet? Etwa 150 Positionen, Flaschen bis 500 Euro: „Ich bin Fan von sortenreinen und autochthonen Weinen, also Weinen aus regionalen Sorten, wie etwa Aglianico, Sagrantino, Ribolla Gialla und Garganega aus Italien.” Dabei liegt sein Fokus auf Weinen aus der alten Welt, neben Italien sind das auch Frankreich, Spanien, Österreich und Deutschland. „Es gibt hier noch so viele Weine zu entdecken, dass ich gar nicht auf Weine aus der neuen Welt angewiesen bin”, erklärt er. Jeden Monat kommen neue Weine hinzu. Einmal im Jahr besucht er Messen wie die ProWein in Düsseldorf, die Vinitaly und die große Messe in Bordeaux. Viele der Güter kennt er beispielsweise noch von seiner Arbeit als Vertreter. Und noch etwas ist ihm wichtig: „Ich habe keine Vorbehalte gegen große Weingüter. Besonders in Berlin möchte jeder etwas von einem kleinen Weingut, dass außer ihm noch keiner kennt. Aber Qualität ist unabhängig von der Größe.”
Der Betrieb einer Bar unterscheidet sich vom Restaurant für Marco Gianni vor allem durch ein Detail – die Gäste bleiben oft länger als im Restaurant, was auch bedeutet, dass die Plätze limitierter sind als im Restaurant. „Das Geschäft läuft vor allem natürlich mit unserer Liebe, aber es muss wirtschaftlich bleiben.” Denn natürlich freuen sich die Barleute, soviel Gäste wie möglich an einem Abend bewirten zu können. Manchmal geben die Gäste bereits bei der Reservierung vorher schon die Information, ob sie den Abend wohl länger planen oder nur kurz auf ein Getränk reinschauen, weil sie beispielsweise noch gegenüber ins Konzerthaus am Gendarmenmarkt gehen. Oft bekommen aber Passanten auch beim Anblick spontan Lust auf einen Aperitif und sind dann in der Bar herzlich willkommen. Dann ist es für Marco und sein Team als Profis eine besondere Aufgabe sicherzustellen, dass alle eine richtig gute Zeit im GLASWEISE haben, egal ob „versackt“ oder Überraschungsgast.
Artikel-Teaserbild (oben): AnnaStills – elements.envato.com