Jetzt am Herbstbeginn, wenn das Laub sich langsam färbt, ist optimale Saison für Pilze. lebensmittelmagazin.de ist mit einem Experten in die Pilze gegangen und hat sich beim Waldgang alles rund um die sonderbaren Waldbewohner erklären lassen.
Am Wochenende hat es kräftig geregnet, „aber nach so einer langen Trockenphase dauert es sicher noch ein, zwei Wochen, bis die Pilze sprießen. Das letzte Mal hat es Ende August, Anfang September geregnet“, weiß Wolfgang Bivour, Pilzberater aus Potsdam. Aber kein Grund zum Pessimismus!
Direkt nach dem Aussteigen am Rand der Döberitzer Heide steht ein Schopftintling. Der Pilzexperte zückt sein Handy um eine Pilzbestimmungs-App zu testen. „Halleluja“ aus Georg Friedrich Händels Messias ertönt und auf dem Display kommt die Bestätigung. „Eigentlich ein guter Speisepilz, aber dieser ist schon zu alt. Der zersetzt sich bereits“, befindet Experte Bivour. „Die sich zersetzenden Eiweiße können zu einer unechten Pilzvergiftung führen. Das bedeutet, dass man nicht wegen eines Pilzgiftes erkrankt, sondern eine Lebensmittelvergiftung bekommt. Also Vorsicht vor zu alten Pilzen!“
Kann man Pilze nochmal aufwärmen?
Was in dem Zusammenhang nicht stimmt, ist, dass zubereitete Pilze nicht noch mal erhitzt werden dürfen. „Das stammt aus einer Zeit, in der man keine vernünftige Kühlung hatte. Wenn das Pilzgericht schnell genug in den Kühlschrank kommt, kann man es ruhig am nächsten Tag noch essen. Es sollte allerdings noch mal über 70 Grad erhitzt werden.“
Bewusster Genuss
Auch die Empfehlung nur einmal pro Woche Pilze zu genießen, relativiert Wolfgang Bivour. „So lange ist die Saison nicht. Wenn das Angebot da ist, kann es auch schon zweimal pro Woche sein.“ Befürchtungen bezüglich Strahlenverseuchung zerstreut der Experte: „Hier in der Region war es nicht so problematisch. Jedes Jahr schicken wir Proben ins Labor, inzwischen ist die Halbwertszeit herum. Die strahlenden Partikel scheinen inzwischen ins tiefere Erdreich erodiert zu sein, unterhalb des Myzels.“
Augen auf beim Pilzekauf
Bei gekauften Wildpilzen empfiehlt der Pilzfachmann höchste Aufmerksamkeit, beispielsweise bei Pfifferlingen, die es vor allem im Sommer gibt. „Angesichts der Pfifferlinge, die ich auf dem Wochenmarkt sehe, bekomme ich bisweilen das kalte Grausen. Die leicht verderbliche Ware kommt oft aus Serbien oder Weißrussland. Verbraucher sollten sich die Pilze vor dem Einkauf genau anschauen, denn Händler oder die Marktaufsicht haben oftmals keine Produktkenntnisse darüber“, erklärt Wolfgang Bivour. Auch vorm Kauf getrockneter Ware, wie Steinpilze, rät der Fachmann zur Wachsamkeit: „Die können schon mal aus China stammen, da lässt sich dann in den Proben sogar teilweise Nikotin nachweisen.“
Bestimmen mit allen Sinnen
Selbersammeln kann eine Alternative sein. „Aber nur Pilze sammeln, die man einwandfrei als essbar bestimmen kann, alles andere muss der Pfanne fernbleiben!“ Zur Bestimmung kann, neben der Betrachtung des ganzen Pilzes beispielsweise der Geruch und der Geschmack sehr wichtig sein. „In der Familie der Täublinge gibt es einige gute Speisepilze, aber eben auch ungenießbare.“ Diese können sehr scharf und bitter sein.
„Dafür zerkaut man dann ein kleines Stück des Pilzfleisches und spuckt es dann aus. Die Schärfe betäubt die Zunge. Der Name bezieht sich möglicherweise darauf, ist aber vielleicht auch auf die taubenblaue Färbung einiger Arten zurückzuführen“, erklärt Wolfgang Bivour. Tatsächlich taucht ein Täubling auf, einer von den ungenießbaren. Der Pilzexperte bietet ein Stück zum Probieren an. Zunächst ist der Geschmack gar nicht so unangenehm scharf, erinnert ein bisschen an Kapuzinerkresse, allerdings ist der Geschmack sehr nachhaltig und tatsächlich wird die Zunge davon taub.
Deutsche Trüffel
Am Wegrand stehen ein paar Rotfußröhrlinge, teilweise mit Goldschimmel befallen und deshalb unbrauchbar, „jung ganz okay als Mischpilz, allein genommen sagt mir der Geschmack nicht zu.“ Auf die Frage warum eigentlich in Deutschland keine Trüffel wachsen, überrascht der Experte: „Natürlich gibt es in Deutschland Trüffel, sogar essbare, die Sommer-Trüffel zum Beispiel, sie sind aber streng geschützt und dürfen deswegen nicht gesammelt werden. Dasselbe gilt generell fürs Pilzesammeln im Naturschutzgebiet.“
Die Farbe der Blätter
Die Pilzexperten und -freunde dokumentieren ihre Funde in einer bundesweiten Datenbank. Hier und da findet man große Ansammlungen von Grünblättrigen Schwefelköpfen, mit leuchtend orange Hüten. „Der ist giftig, wohingegen ein Verwandter von ihm, der Graublättrige Schwefelkopf ein guter Speisepilz ist.“
Am Rande einer Wiese stehen Parasolpilze, groß und weit ausladend. „Kann man wunderbar wie ein Schnitzel braten, allerdings verwendet man hier nur den Schirm, der Stiel ist zu zäh.“
Zum Gelben Knollenblätterpilz, der hier ebenfalls wächst, hat Wolfgang Bivour auch interessantes parat: „Vorsichtig formuliert ist er wahrscheinlich nicht giftig. Nach dem zweiten Weltkrieg, als die Leute nichts zu essen hatten, gibt es dokumentierte Fälle in denen schadlos Gelbe Knollenblätterpilze verzehrt wurden. Man erkennt sie unter anderem an ihrem Duft nach keimenden Kartoffeln. Man kann sie aber schon deutlich vom Grünen Knollenblätterpilz unterscheiden. Den verwechselt man mit dem Grünen Birken-Täubling.“
Wenn es tödlich endet
Ähnlich, wenngleich nicht ganz so fatal, besteht Verwechslungsgefahr zwischen Perlpilz, der auch Rötender Wulstling genannt wird, und dem Pantherpilz. Beide tauchen in diesem Wald auf. „Damals zu DDR-Zeiten hatten die sächsischen Betriebe ihre Erholungsheime hier in Brandenburg. Was die sächsischen Urlauber als erstes taten, wenn sie hier ankamen, war in die Pilze zu gehen. Perlpilze, die sie Schälpilze nannten, kannten sie alle. Was es aber im bergigen Sachsen nicht überall gibt, sind Pantherpilze“, erinnert sich Bivour. „90 Prozent aller Pilzvergiftungen waren damals nach diesem Schema, weswegen sie im Volksmund Sachsenmörder hießen. Der Perlpilz ist nichts für Anfänger, weil er in seinem Erscheinen sehr variabel sein kann.“
Wolfgang Bivour ist überzeugt: „Pilzvergiftungen basieren oft auf Selbstüberschätzung, Leichtfertigkeit und purer Unkenntnis.“ Er erinnert sich an einen besonders tragischen Fall, Anfang der Neunziger Jahre, als eine ganze Familie mit Vergiftungserscheinungen im Krankenhaus lag. Bei der Anamnese wurde Pilzvergiftung direkt ausgeschlossen, weil sie von ihrer Expertise überzeugt waren und leider haben die Ärzte ihnen geglaubt. „Als sich die Blutwerte verschlechterten und ich schließlich angerufen wurde, die Symptomatik erfuhr und Birkentäublinge als die vermeintliche Pilzart erwähnt wurde, war der Fall eigentlich klar. Das Problem ist, dass das Gift des Grünen Knollenblätterpilzes nicht ausgeschieden wird und immer wieder die Organe passiert und dabei die Leber schädigt. Der zehnjährige Junge ist daran gestorben, seine Teenager-Schwester war bereits vor dem Abendessen zu einer Party getürmt und wurde nicht vergiftet.“
Namen sind nicht nur Schall und Rauch
Fast wären wir über Waldfreund-Rüblinge gestolpert. Auf die Frage nach den teilweise skurrilen Namen weiß der Pilzexperte: „Oft sind sie aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Eigenschaften Dingen des täglichen Lebens entlehnt, zum Beispiel Kuhmaul, Ziegenlippe oder Krause Glucke. Die Namen sind sehr alt, eine Systematik gibt es für die deutschen Namen nicht, zumal es regionale Unterschiede gibt. Man denke nur an Pfifferlinge, die in Süddeutschland Eierschwämme genannt werden.“
Apropos, in einer Birkenschonung hofft Wolfgang Bivour darauf, noch mal Pfifferlinge zu finden, leider vergeblich, „mit Birkenlaub auf dem Boden leuchtet hier alles gelb.“ Dafür finden wir ganz zum Schluss tatsächlich leuchtend-rote Fliegenpilze. „Also das mit dem Fliegenvergiften funktioniert wohl nicht, nach einer Weile sollen sie wieder aufwachen. Der Name kommt eher daher, dass man wohl ziemlich high wird. Ich wollte es mal probieren, aber meine Frau meinte, dass sie nicht auf mich aufpasst“, erklärt der Vorsitzende der brandenburgischen Pilzberater.
Neue Pilze?
War es den Vormittag über grau und bedeckt, scheint jetzt golden die Herbstsonne. Der Pilzsammler freut sich: „Das perfekte Wetter für Pilze, zuerst feucht, kein Wind und Temperaturen an die 20 Grad.“
Zuletzt kommt die Frage nach Beobachtungen vom Wandel bei Pilzen, beispielsweise Neomyzeten: „Ja, seit 100 Jahren haben wir den Tintenfischpilz aus Australien in Europa, der sich immer mehr auch bei uns ausbreitet. Und seit 3, 4 Jahren haben wir aus Nordamerika in der Lausitz die so genannte Falsche Rotkappe, auch Großporiger Röhrling genannt, der auch für Speisezwecke infrage kommt. Es bleibt spannend, die Auswirkungen des Klimawandels zu beobachten. Wenn sich der Baumbestand verändert, verändert sich auch das Pilzartenspektrum. Wärme liebende Arten, zum Beispiel aus dem Mittelmeerraum, werden sich mehr und mehr auch bei uns etablieren.“