Kein Flachs: Leinöl, das regionale Superfood

Leinöl, obwohl bundesweit angebaut, gilt als hiesige Spezialität und soll sehr gesund sein aufgrund seiner Fettsäurezusammensetzung. Lebensmittelmagazin.de war bei der Ölmühle an der Havel – in Berlin-Kreuzberg.

Auf die Frage nach dem Lieblingsgericht als Kind hatte meine Großmutter, die aus der Nähe des heutigen Poznan im westlichen Polen stammte, eine als Kind schwer nachvollziehbare Antwort parat: „Eine dicke Scheibe Graubrot, die mit Leinöl bestrichen und dann noch gezuckert wurde.“ Bei der Recherche zum Leinöl tauchte das merkwürdige Rezept wieder auf – als sogenannte Leinölstippe.

Mitten im Bergmannstraßen-Kiez in Berlin-Kreuzberg steht die „Ölmühle an der Havel“.
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Kreuzberger Ölquelle

Im lebhaften Epizentrum Kreuzbergs in der Bergmannstraße steht die „Ölmühle an der Havel“. „Unsere Ursprünge reichen etwa zehn Jahre zurück in den Bezirk Kladow an der Havel. Daher stammt der Name für unsere Öle, der mittlerweile auch einen gewissen Wiedererkennungswert hat“, sagt Justus, Geschäftsführer und verantwortlich für die Speiseöle der Manufaktur, in der er mit vier weiteren Mitarbeitern Speiseöle aus lokalem Anbau produziert. Gerade schiebt er die mobile Ölmühle aus der Werkstätte der Manufaktur in den Verkaufsraum: „Vor Corona haben wir oft an Wochenenden und in der Weihnachtszeit direkt vor den Kunden Öl gepresst und diese kosten lassen.“ Während der Blick über das Sortiment der Ölmühle schweift, kommt die Erinnerung, dass dieses Leinöl im Cook-it-yourself-Paket des Kreuzberger Sternerestaurants Nobelhart & Schmutzig mit enthalten war und als Amuse-Bouche zusammen mit Frischkäse und Vinschgauer serviert wurde. Justus wuchtet einen 25 Kilogramm schweren Sack mit Bio-Leinsamen zur Ölmühle und befüllt den Trichter. Ein würziger Müsliduft steigt auf. Die Leinsamen stammen großenteils aus der Region Brandenburg, bisweilen auch aus Sachsen. „Weil die Bauern aufgrund des Fruchtwechsels nicht immer Leinen anbauen, ist es schwierig zu sagen, mit wie vielen Bauern wir zusammenarbeiten, momentan sind es zwei bis drei.“

Der Trichter der Ölmühle wird mit Leinsamen befüllt – ein würziger Müsliduft steigt auf.
Foto: Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de

Gesunder Allrounder

„Leinanbau findet man vereinzelt in der gesamten Bundesrepublik. Zusammen mit Mohn gehört es zu den ältesten Ölpflanzen in Europa. Außerdem sollte erwähnt werden, dass die zartblau blühenden Pflanzen nicht nur für den Verzehr angebaut werden, neben dem Öl, kann man die Kerne direkt ins Müsli geben oder im Brot verbacken, sondern auch als Träger für Farben dienen und nicht zuletzt die Pflanzenfasern zu Textilien verarbeitet werden. Ein richtiger Allrounder!“, erklärt der Ölexperte. Dabei sind Leinsamen reich an Ballaststoffen und besonders das Leinöl gleichzeitig eine hervorragende Omega-3-Fettsäuren-Quelle. Der Experte stimmt zu, dass dieses traditionsreiche Öl durchaus die Kriterien eines Superfoods erfüllt, aber auch ein kleines Manko hat: Der Geschmack, wird aufgrund der Oxidation schnell bitter. „Wir sagen vier bis sechs Monate hält sich der Geschmack“, meint der Geschäftsführer. Er reicht einen Probierbecher mit frisch gepresstem Leinöl herüber. Es schmeckt nicht bitter, aber durchaus intensiv nach Haferflocken. Um den Geschmack besser zu konservieren empfiehlt der Fachmann die Verwahrung im Kühlschrank, besser noch im Eisfach, am Omega 3-Gehalt würde sich trotz Geschmacksveränderung jedoch nichts ändern. Die Kunden in seinem Geschäft können davon ausgehen, dass das hier angebotene Öl nicht älter als zwei Wochen ist. Vorher werden die Leinsamen beim Bauer eingelagert und getrocknet und anschließend maschinell gereinigt.

Bittere Tatsache

Da beispielsweise in der Familie sowohl Ehefrau und Kinder bislang den Leinöl-Genuss, etwa beim Klassiker Pellkartoffeln mit Quark und Leinöl verweigern, stellt sich die Frage, welche Tipps es gibt, um Leinöl im Essen zu verarbeiten. Zum Braten und Backen ist es aufgrund seines niedrigen Rauchpunkts ungeeignet. Stattdessen verwendet man es in Salatsaucen, zum Abschmecken von Gemüse und Suppen, allerdings erst nach dem Garen. Justus kennt das Problem: „Es gibt allerdings eine hervorragende Alternative – Goldlein, schmeckt mir auch besser als das konventionelle Leinöl. Dieser entspricht eher der ursprünglichen Leinpflanze, hat bei einer ähnlichen Zusammensetzung der Inhaltsstoffe, einen wesentlich vollmundigeren Geschmack, was nach der Probe nur bestätigt werden kann, fast buttrig, außerdem halte es wesentlich länger. Hier wiederum ist das Manko, dass er seltener angebaut wird.

Während aus dem Löchern der Presse das Leinöl in dicken Tropfen in einen Krug quillt, kommt am Ende ein Presskuchen heraus, der in einen Sack fällt. Der Ölexperte erklärt: „Der Presskuchen wird zu Mehl vermahlen und anschließend in Bäckereien für Low-Carb-Gebäck als Mehlalternative verwendet. Darüber hinaus wird der Presskuchen als Tierfutter verwendet, im Sinne der Nachhaltigkeit wird hier nichts entsorgt. Der Ölanteil liegt ungefähr bei einem Drittel der Gesamtmasse. „Aus solch einem 25 kg Sack Leinsamen erhalten wir neun Liter Leinöl“, gibt Justus zu bedenken.

Während aus den Löchern der Presse das Leinöl in dicken Tropfen in einen Krug quillt, kommt am Ende ein Presskuchen heraus.
Foto: Tillo Spezialitäten GmbH

Noch einen Irrtum gilt es zu bereinigen – Leindotteröl, wo wächst denn der zu pressende Dotter der Leinpflanze? Schnell klärt der Experte auf: „Hierbei handelt es sich um eine vollkommen andere Pflanze, ein Kreuzblütler im Vergleich zur Leinpflanze, die eine eigene Gattung der Leingewächse bildet. Der Name stammt vermutlich daher, dass sich der Leindotter zusammen mit den Leinkulturen zunächst als Unkraut verbreitet hat. Im Gegensatz zu den Leinpflanzen, blüht der Leindotter allerdings gelb.“ Der Geschmack ist wesentlich kräutriger als der des Leinöls. Der Experte empfiehlt: „Es passt hervorragend zu Spargel mit Kartoffeln.“

Haupt-Artikelbild (oben): Julia Beckel – stock.adobe.com

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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