Zum Ende der Berlin Food Week präsentieren Berliner Start-ups ihre kulinarischen Beiträge zum Klimaschutz im „House of Food“. Lebensmittelmagazin.de ist über das Festival geschlendert und hat sich mit den Produzierenden unterhalten.
Ende September öffnete im Bikini-Haus das House of Food seine Pforten und zeigte Berliner Lebensmittel-Start-ups, die sich Gedanken um die Klimakrise machen. Ziel des Festivals an die Verbraucher:innen ist, mit vielfältigen Produkten zu zeigen, wie lecker nachhaltiger Konsum sein kann. Alexandra Laubrinus und Michael Hetzinger veranstalten die Berlin Food Week. Bevor das House of Food bezugsfertig war, gab es in derselben Woche das Stadtmenü zur Berlin Food Week. „50 Restaurants hatten die Gelegenheit unter dem Motto ‚Kulinarische Klimakampagne‘, zu ihrer sonstigen Karte ein klimafreundliches Menü, also beispielsweise saisonal und regional, mit wenig Fisch und Fleisch, anzubieten. „Das kann dann auch mal der brandenburgische Hirsch statt dem neuseeländischen Lamm sein. Einige Restaurants, wie das Spindler z. B. boten das Stadtmenü ausschließlich vegan an“, erklärt Michael Hetzinger. Ein Prozent des Gewinns spendeten die Restaurants dann an Zero Foodprint für regenerative landwirtschaftliche Projekte. Jetzt soll das House of Food die Berlin Food Week abschließen. Der Veranstalter meint: „Für mich ist das House of Food weniger eine Messe als eine Plattform für unser Anliegen. Wir haben keine Stände verkauft, sondern die ausstellenden Start-ups kuratiert, weswegen die Stände auch alle einheitlich sind.“
Ich wollt, ich wär’ kein Huhn…
Direkt am Haupteingang gibt es am Stand vom Schweizer Unternehmen Planted knuspriges BBQ- oder Kräuter-Zitrone-Grillhähnchen, mit dem kleinen Unterschied, dass dieses „Hühnchen“ pflanzenbasiert ist und aus Erbsen besteht. Die fleischähnliche Faserstruktur ist ein Produkt der Extrudertechnologie, also dasselbe Herstellungsverfahren wie z. B. bei Erdnussflips.
Sinnenfreude statt Verzicht
Direkte daneben schmurgelt es in etlichen Pfannen. Das Start-up Every präsentiert seine Bowls als eine Art Öko-Lieferdienst für Fertiggerichte mit klimaneutralem Kühltransport. Auf dem Teller dampft „Velvet Crunch“, knackige Wasserkastanien, würzige Auberginen und Muerrpilze. Das Portfolio von Every, in Form eines stimmungsvollen Magazins anstelle eines Katalogs, lässt das Millenial-Herz höherschlagen: Eine Vielzahl von Bowls, vier verschiedene Brote, Smoothies und Raw Cakes. Große Klasse ist die Aufmachung des Magazins mit einem überdimensionierten Poster vom trinkfreudigen ehemaligen Britischen Premierminister Winston Churchill für ein Erfrischungsgetränk mit gleichem Namen – Churchill. Umso überraschender war das Getränk: angesichts der Minze- und Zitronen-Deko konnte man von einer Limonade ausgehen, um dann festzustellen, dass „Churchill“ eine leicht salzige Note hatte. Sei es drum, sehr erfrischend, nach dem Sport bestimmt ideal. Interessant ist auch die Geschichte zum Namen: Während des ersten Weltkriegs waren die Briten im Osmanischen Reich. Nachdem einigen der Klimawechsel nicht bekam, verlangten sie von den türkischen Kellnern ein Getränk zur Rekonstituierung ihrer Verfassung. Man servierte ein altes Hausmittel, Zitronensaft mit einer Prise Salz. Da der einzige Brite, den der Kellner wohl kannte Winston Churchill war, kam das Getränk so zu seinem Namen.
Haferdrink, geschüttelt nicht gerührt
Ein bisschen wie auf der Säuglingsstation schaute es bei Blue Farm aus, mit Milchfläschchen, und Pulver, aber mitnichten ging es hier um Babynahrung, sondern um Hafermilch. Genauer gesagt Hafermilchpulver. Auf den ersten Blick bedingt spannend, ist der Gedanke dahinter doch ganz gut: Ohne den zeitlichen Aufwand, Haferdrink selber aus Haferflocken herstellen zu müssen, bietet die Oat Base von Blue Farm mit pulverisiertem, fermentierten Hafer eine gute Alternative und man spart so die Milchkartons ein und die Portionierungsoption ist noch ein zusätzlicher Benefit. Trotz des Kaffeeweißer-/Babymilch-Appeals, kann der Haferdrink geschmacklich überzeugen.
Einmal Tonno, ohne Thunfisch, bitte!
Genug getrunken! Hinter der Marke Bettaf!sh entpuppen sich alte Bekannte, die mit Nordic Oceanfruits bereits Algen in Form von Feinkostsalaten den Verbraucher:innen näher gebracht haben. Jetzt ist ihnen mit Bettaf!sh ein ganz cooler Coup gelungen – thunfischfreier Thunfisch, der tatsächlich Dosenthunfisch in nichts nachsteht. Warum sollte für Thunfischsalat, Vitello tonnato oder Pizza Tonno echter Thunfisch verwendet werden, in Anbetracht der Diskussion um Überfischung?! Ähnlich wie beim „Hühnchen“ von Planted wird hier die Struktur von Dosenthunfisch durch den Extruder simuliert, auf Grundlage von Haferfasern und Flügeltang, einer Braunalge, die in Norwegen angebaut wird. Gründer Jacob von Manteuffel ist überzeugt: „Für das Tier aus dem Meer, nehmen wir die Pflanze aus dem Meer. Außerdem nehmen wir so die Fischer:innen mit, um den regenerativen Anbau von Algen auszubauen.“ Im gläsernen Kühlschrank stehen riesige Pötte mit Tu-nah: „Diesen haben bereits einige Berliner Gastronomen bei uns bestellt.“ Noch ein Grund zur Freude: Das Start-up konnte einen Deal mit Aldi abschließen, sodass Ende Oktober in jeder Aldi-Filiale Tu-nah-Sandwiches käuflich zu erwerben sind, die hier bereits jetzt schon zur Verkostung bereitstehen. Wirklich, kann sich neben konventionellen Thunfisch-Sandwiches in bundesdeutschen Kühlauslagen sehen lassen. Jetzt gibt es aber auch Thunfisch in Dosen in der Luxusversion mit großem appetitlichen Segmenten, sauber geschnitten in hervorragendem Olivenöl, die viel zu schade z. B. für eine Thunfischpizza wären. Von Manteuffel grinst: „Ja, eine solche Option ist Aufgabe für 2022, die wir bis dahin realisiert haben möchten.“
Sauer macht lustig
Eine regionale Antwort auf die riesigen Mengen am Zitronen und Limetten bietet der Stand von Avaa Verjus. Bislang kennt man den sauren Saft unreifer Trauben aus der französischen Küche. Dank deutschem Weinbau bietet sich diese Option aber natürlich auch hier an. Die Verkostung pur rollt einem die Fußnägel auf – perfekte fruchtige Säure! Mit Minze und Tonic ist es sehr erfrischend – auch ohne Alkohol! Die Verjus-Trauben des Start-ups stammen aus Rheinhessen, dort werden sie bereits im August geerntet und kommen als Cuvée von Spätburgunder, Kerner und Riesling in die Flasche. Als Alternative zur Zitrone beim Kochen durchaus überzeugend.
Doch noch Schwein gehabt
Zwischen den ganzen köstlichen pflanzlichen Fleisch- und Fisch-Alternativen steht auf dem Stand von Ibérico Westfalia eine imposante Schweinekeule umringt von Schmalzbroten und Schinkenscheibchen. Fettig-cremig, köstliches tierisches Umami! Und nein, Bauer Christian Vincke hat sich nicht bei der Messe vertan. Im münsterländischen Everswinkel züchtet er Ibérico-Schweine in Freilandhaltung, insgesamt 350 Tiere mit 50 Muttersauen. Die edlen Tiere kommen bei ihm auch nicht einfach auf einen Schlachthof, sondern werden einzeln zum nahegelegenen Schlachter des Vertrauens gefahren. „Mir wäre auch sonst das Risiko zu hoch, das Stress den Tieren das Fleisch verdirbt“, erklärt der Bauer. Von der konventionellen, seit Generationen dauernden Schweinezucht hat der Bauer seinen Bestand von über 3.000 Hausschweinen 2017 auf ein Zehntel dieser besonderen Schweinerasse reduziert. Dies rechnet sich für ihn durch den hohen Preis des Fleisches im Vergleich zum normalen Hausschwein. Damit folgt er genau der Empfehlung „seltener aber dafür besseres“ Fleisch zu konsumieren. Auch so kann man einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Haupt-Artikelbild (oben): © Ulf Büschleb Fotografie