Matjes mit Zwiebeln und Gewürzgurken

Zum Fest der fetten Jungfrauen: Glückstädter Matjes

Anfang Juni hat eine besondere maritime Spezialität Saison, Matjes. Ob zu Bratkartoffeln oder im Brötchen versprechen die saftigen Fischfilets einen Vorgeschmack auf den Strandurlaub. Lebensmittelmagazin.de war in Glückstadt, dem Matjes-Epizentrum, zum Auftakt der Saison.

Vor dem Biss ins Fischbrötchen empfiehlt die Fischbrötchenfachverkäuferin zur Feier des Tages einen Schluck Matjes-Aquavit aus dem Einweggläschen. Wer kann solchen kulinarischen Empfehlungen widerstehen, angesichts der alten Weisheit, dass Fisch „schwimmen muss“? Zart, rosig und kümmelig-sprittig kommt die Geschmackskombination aus Matjes und Aquavit daher! Norddeutschlands ältester Shanty-Chor „Molenkieker“ schmettert derweil maritimes Liedgut, wie das Matjeslied, mitten auf dem Glückstädter Marktplatz. Nach zwei Jahren Pandemie hat man in Sachen Feiern einiges nachzuholen.

Matjesbrötchen
Kulinarische Empfehlung in Glückstadt: Matjesbrötchen und Aquavit.
Foto: Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de

Probe aufs Exempel

Die Glückstädter Matjestage werden traditionell mit der Matjesprobe eröffnet. Bürgermeister Rolf Apfeld, Heike Püster vom Vorstand des Verkehrs- und Gewerbevereins und Dorit Kuhnt, Staatssekretärin im Umweltministerium beißen nacheinander in einen vom Matjesmeister Osman Sahingöz dargereichten Matjes und sollen über dessen Qualität befinden. Die Staatssekretärin meint: „Zart wie Marzipan!“ Alles wird mit Aquavit begossen, die Molenkieker liegen mittlerweile vor Madagaskar und die rauschenden Matjestage können über die kommenden vier Tage steigen. Im Hafen ankern über das Wochenende historische Schiffe, die Stadt feiert.

Hafen in Glückstadt
Königswetter beim „Fest der fetten Jungfrauen“ im Glückstädter Hafen.
Foto: Johannes S. – Lebensmittelverband.de

Alle auf einmal

Im Gewerbegebiet von Glückstadt liegt die Matjesmanufaktur von Henning Plotz. Er ist der einzige Produzent von Matjes in Deutschland mit einer geschützten geographischen Angabe (g. g. A.). Björn Krostewitz ist hier Produktionsleiter mit vierzig Mitarbeiter:innen. „Nur zwischen Mitte Mai und Mitte Juni können die Matjesheringe zwischen Island, Schottland und Norwegen gefangen werden. In diesem engen Zeitkorridor erreicht die Jahreslieferung von 100 bis 120 Tonnen die Glückstädter Matjesmanufaktur. Direkt auf dem Schiff werden sie auf minus zwei Grad runtergekühlt und im Dänischen Werk in Skagen schockgefroren. Die Fische sind bei ihrer Ankunft ganz, ‚runde‘ Heringe“, erklärt der Produktionsleiter. Jetzt tauen sie peu à peu in ihren 20-Kilogramm-Packungen auf Palettenwagen wieder auf.

gefrorene Heringe
20-Kilogramm-Packungen mit gefrorenen Heringen auf Palettenwagen in der Matjesmanufaktur Plotz.
Foto: Johannes S. – Lebensmittelverband.de

Auf die inneren Werte kommt es an

Was macht den Hering zum Matjeshering? „Jungfräulich sagt man. Das ist etwas missverständlich. Einmal gelaicht soll er schon haben, um die Reproduktion der Bestände zu gewährleisten. Wichtig ist der Körperfettanteil von 14 Prozent und dass er noch keinen Ansatz von Milch und Rogen entwickelt hat“, erklärt Björn Krostewitz. Mit einer handelsüblichen Küchenschere werden den Fischen auf Höhe der Kiemen die Köpfe abgeschnitten und zusammen mit den vorderen Innereien entsorgt. Pankreas, Magen und Darmtrakt bleiben in den Fischen. Ihre Enzyme sind wichtig für die Fermentation. Die Fische aus drei 20-Kilogramm-Packungen lagern eingesalzen über Nacht in Fässern im Kühlhaus. Das Salz zieht Wasser, Blut und Enzyme aus den Fischen, die sogenannte Mutterlake. Anschließend wird das Fass mit Wasser aufgefüllt und die Fische reifen je nach Fettgehalt fünf bis sechs Tage. Anschließend werden sie „gegrätet“, das heißt, die Mittelgräte wird manuell gezogen und der Fisch wird von restlichen Innereien gereinigt. „Jetzt kommt der schwierigste Teil“, kündigt der Produktionsleiter an, „das Feinfiletieren“. Die Mitarbeiterinnen ziehen dem Matjes mit einem schlichten Küchenmesser zuerst die Haut ab, dann werden die übrigen herausstehenden Gräten ebenfalls mittels Küchenmesser gezogen, „aber nur die Hartgräten, die Weichgräten halten die Filets zusammen“, erläutert Krostewitz. Bei den ebenfalls im Handel erhältlichen holländischen Matjesdoppelfilets, bei denen einfach nur die Mittelgräte bis knapp vorm Schwänzchen abgeschnitten wird, kann beim Verzehr durchaus die eine oder andere übriggebliebene Gräte in den Gaumen pieksen.

die Heringe werden geköpft
Mit einer handelsüblichen Küchenschere werden den Fischen auf Höhe der Kiemen die Köpfe abgeschnitten.
Foto: Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de

Nur mit spitzen Fingern

Durch massiven Wassereinsatz müssen die Matjesfilets über Nacht im Kühlhaus abtropfen, bevor sie anderntags verpackt werden. Die Versiegelungsmaschine ist der einzige Apparat in der Manufaktur. Mit Blick auf die feinfiletierenden Mitarbeiterinnen meint der Produktionsleiter: „Jede der Frauen bearbeitet 2.200 bis 2.400 Matjesfilets am Tag. Maschinen könnten die Qualität ihrer Arbeit nicht erreichen. Schlachten und Gräten ist im Vergleich zu dieser Arbeit einfach. Hierfür benötigt man im wahrsten Sinne des Wortes Fingerspitzengefühl.“

Handarbeit
Mitarbeiterinnen der Matjesmanufaktur von Henning Plotz beim Feinfiletieren.
Foto: Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de

Rebellion und Krieg

Inhaber Henning Plotz, der „Matjesrebell“, wie ihn die Glücksstädter nennen, hat sich mittlerweile aus der Geschäftsführung zurückgezogen, um seine weiteren Projekte zu verfolgen – z. B. sein Bistro „Nettchen“ am Hafen. „Ein Mann, der was auf die Beine stellt. Ohne ihn gäbe es keinen Glückstädter Matjes mehr“, feiert ihn der Taxifahrer auf der Fahrt zur Matjesmanufaktur. Ende der Achtziger Jahre gab es drei Matjes-Unternehmen vor Ort, die einen regelrechten „Matjeskrieg“ untereinander führten. Plotz, der zu diesem Zeitpunkt sein Restaurant am Marktplatz führte, begann aufgrund der Nachfrage seiner Gäste mit der Matjesherstellung in der heimischen Garage und baute Schritt für Schritt sein Unternehmen auf. Kerrin Callsen, die Geschäftsführerin von Plotz konstatiert: „Er sorgte dafür, dass unser Matjes bei Edeka gelistet wurde. Vorher wurde nur die Gastronomie beliefert und der Direktverkauf. Mit einem zeitgemäßen Marketing reifte die Erkenntnis, dass eine friedliche Kooperation zwischen den Mitbewerbern für alle fruchtbarer sei als Krieg. Inzwischen ist Plotz aber der einzige Hersteller von traditionellem Matjes in reiner Handarbeit. Die anderen beiden Unternehmen sind inzwischen aus Altersgründen geschlossen worden.“

Einzigartig

Seit 2015 ist der Glückstädter Matjes mit dem Siegel der geschützten geographischen Angabe (g. g. A.) zertifiziert. Aus gutem Grund: „Der Matjeshering ist im Deutschen Lebensmittelbuch unzureichend definiert. Sie finden im Handel sehr oft ‚Hering nach Matjesart‘. Das kann durchaus abgelaichter Hering sein, der aber mit zugesetzten statt mit eigenen Enzymen fermentiert wird. Das dauert dann auch nur ein bis zwei Tage statt fünf bis sechs, die wir bei der natürlichen Fermentation benötigen. Das Ergebnis hat dann als Produkt aber auch eine andere Qualität“, gibt die Geschäftsführerin zu bedenken. Als „Glückstädter Matjes“ dürfen nur jene Fische in den Handel, die den Arbeitsschritten der Manufaktur entsprechend verarbeitet werden.

Matjes mit Zwiebeln auf Holzbrettchen
Matjes nach Hausfrauen-Art.
Foto: Thomas Sixt

Mit Zwiebeln oder auch Christstollen

Kerrin Callsen freut sich, dass nach der langen Coronapause wieder die Matjestage losgehen: „Auch wenn der Termin immer ein bis zwei Wochen zu früh steht und wir schauen müssen, dass der Matjes bis dahin ausreichend gereift ist.“ Sie ist vor allem glücklich, dass die Spezialität wieder mehr Aufmerksamkeit dadurch bekommt. Dabei sei der Matjes besonders unkompliziert: „Den Fisch können Sie beispielsweise braten, müssen Sie aber nicht. Einfach so mit Pell- oder Bratkartoffeln, Stippe, ein paar Zwiebelringen oder zur Not auch pur auf Schwarzbrot oder im Brötchen haben Sie einen tollen Genuss.“ Tatsächlich gibt es aber auch waghalsige Kreationen ihrer Köche mit Christstollen und Schokolade im firmeneigenen Kochbuch. „Unsere Kundschaft ist bislang eher älter, es wird Zeit, dass auch die Jüngeren Matjes schätzen lernen.“ Zum Beispiel als German Sashimi? „Vielleicht“, lacht Kerrin Callsen.

Artikel-Teaserbild (oben): photocrew – stock.adobe.com

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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