Ob der Tsukiji-Fischmarkt in Tokio oder der Suq Hamidiya in Damaskus – es gibt Märkte auf dieser Welt, die, abgesehen von der Lebensmittelversorgung, Geschichte und Kultur für die Besucher:innen bereithalten. So ein Markt ist auch der Münchener Viktualienmarkt. Lebensmittelmagazin.de war zu Besuch.
„Zur Weißwurst und Brezen darf es doch gleich ein Weißbier sein, oder?“ Klar doch. Während anderswo in Deutschland Menschen um halb zehn Uhr morgens in den berühmten Waffelkeks mit Schokofüllung beißen, gehört Bier in München zum klassischen Weißwurstfrühstück. Nicht irgendwo, sondern in einer Gaststätte auf dem Viktualienmarkt. Um den Weißwurstverzehr ranken sich etliche Traditionen und Verzehr-Rituale. Ob man die Wurst jetzt aus der Pelle „rauszuzelt“ oder aufschneidet und pellt – nach einer Kostprobe lässt sich feststellen, dass man sie auch problemlos mitessen kann. Traditionell soll man Weißwürste nur morgens essen, sie dürfen das Mittagsgeläut nicht hören. Klassenkamerad Matthias, der seit Jahren in München lebt, bewertet dies folgendermaßen: „Es gibt die Traditionalisten, die das so halten und auch einige Gast-/Wirtshäuser, die Weißwurst nur bis 12 Uhr mittags anbieten. Aber ich vermute, du bekommst sie bei dem ein oder anderen auch nach 12 Uhr.“
Das Beste vom Besten
Gegenüber der Gaststätte steht das Honighäusl. Biene Maja sitzt auf einem Met-Wagen und eine breite Auswahl an Honigbonbons und -Kosmetika liegen unter den Markisen. Innen empfängt einen der wohlig-süße Duft von Honig. Bis unter die Decke stapeln sich Honiggläser von nah und fern, Met, Honigwaben und Propolis-Präparate. Schnell fällt der Blick auf einen Bottich. Aus dem Hahn läuft ein satter dunkler Strahl Waldhonig aus dem Bayerischen Wald dickflüssig in einen Becher.
Nebenan zieht bei Käse Lindner ein Emmentaler groß wie ein Mühlrad die Aufmerksamkeit auf sich. Auslage und Tafeln quellen förmlich über von Angeboten aus der Region, wie Tegernseer Bergkäse in unterschiedlichen Reifegraden. Aber auch Käsespezialitäten aus Italien, der Schweiz oder Frankreich sind hier erhältlich. Die Bergkäsewürfel im Becher sorgen für den unmittelbaren Genuss.
Von nah und fern
Wie auf jedem anderen Markt, findet man allenthalben Obst und Gemüse. Die Pfifferling-Saison hat begonnen und an einem Stand türmen sich gewaltige Berge an „Reherl“, wie sie in Bayern heißen. Dabei dürften diese mitnichten aus dem Bayerischen Wald, sondern größtenteils aus Osteuropa stammen. Das Pilzesammeln ist zwar durch Artikel 141 der Bayerischen Verfassung – der berühmte Schwammerl-Paragraf – rechtmäßig, allerdings nur für den privaten Genuss.
Geschmack aus fernen Ländern verspricht der Stand von Exotik Müller. Unter bunten Lampions zwischen Buddha und dem Gott Vishnu liegen die schönsten exotischen Früchte aus. Da sich die Tochter eine Pitahaya, eine Drachenfrucht, wünschte, gab es vom Verkäufer noch ein bisschen Warenkunde zur dekorativen Obstsorte: „Wir haben die Drachenfrucht in der rot-weißen Variante, die wunderschön ausschaut, aber irgendwie nach verdünnter Limo schmeckt. Außerdem haben wir noch rot-rote Früchte und weiß-gelbe. Die sind am aromatischsten.“ Direkt noch was dazugelernt. Noch eine andere Frucht weckt Neugierde: augenscheinlich mit Schlangenhaut überzogene Dinosauriereier. Es handelt sich um Salak aus Indonesien, auch Schlangenfrucht genannt. „Diese Früchte müssen hart sein, wenn sie weich sind, sind sie verdorben. Sie werden geschält und gegessen wie Litschis.“
Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de
Für jeden Durst
Zentral auf dem Viktualienmarkt zwischen den Buden liegt ein Biergarten, in dessen Mitte ein hübsch dekorierter Maibaum über den gesamten Markt schaut. Dieser wird seit den 60er-Jahren von den sechs großen traditionellen Münchener Bierbrauereien gestiftet. Ob zum morgendlichen Weißwurstfrühstück oder der deftigen Haxe zur Mittagspause, bietet dieser Biergarten einen gemütlichen Ruhepol und ist gleichzeitig Zentrum des sozialen Lebens. Wer sich übrigens zwischendurch alkoholfrei erfrischen möchte, der hat die Gelegenheit an einem der zahlreichen Trinkbrunnen auf dem Viktualienmarkt, auf denen mit Blumen geschmückte Größen Münchens, wie Karl Valentin und Liesl Karlstadt, posieren.
Genuss in seiner Vielfalt erlebt man mit einer Tasse Kaffee bei der Kaffeerösterei Viktualienmarkt, sofern man die Muße hat vorher eine Viertelstunde anzustehen. Samstags um 11 Uhr reicht die Menschenschlange um die komplette Bude herum und droht benachbarte Stände mit zu vereinnahmen. Dafür bekommt man dann einen Kaffee, der die Stereotype bestätigt, dass Monaco di Baviera die nördlichste Stadt Italiens ist: Von grasigen Zitrusnoten einer skandinavisch-hellen Röstung nicht die Spur, sondern ein tiefschwarzer, viskos-anmutender Kaffee, wie man ihn in Florenz oder Mailand trinkt. Dazu ein handwerklich hergestellter Florentiner, fantastisch!
Fotos: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de
A bisserl was geht immer
Direkt nebenan steht die Münchener Suppenküche. „So a Soss‘, die bindet“, lobpreiste seinerzeit Monaco-Franze die Kontinuität der Kantinensoße. Beim Blick auf die Speisetafel fällt die Geschmacksvielfalt auf: klassische Eintöpfe aus Erbsen, Linsen und Kartoffeln, würzige Currys, farbenfrohe Kokos-Ingwer-Karotten-Suppe und natürlich klassisch-deftige Fleischküche, sei es bayerische Leberknödelsuppe oder Biergulasch. Und aus der sogenannten „Kronfleischküche“, mit einer bayerischen Tradition bis ins 16. Jahrhundert zurückreichend, Innereien-Gerichte – ganz im Sinne der „Nose to Tail“-Bewegung (Ganztiernutzung). Nach hervorragender Erbsensuppe und lecker-malzigem Biergulasch war die Neugierde auf „Saures Lungerl“ groß. Wo könnte man so etwas besser essen als hier? Nun, wahrscheinlich war es die Marzipan-ähnliche Konsistenz der gehackten Lunge, die nach langer Zeit mal wieder eine kulinarische Grenze markierte. Man muss ja nicht alles mögen.
Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de
Einen Überblick über die zahlreichen Stände des Viktualienmarkts bietet deren Website. Der Markt ist täglich außer sonntags geöffnet.
Artikel-Teaserbild (oben): Johannes S. – lebensmittelmagazin.de