Im Supermarkt der Zukunft, eigentlich ein Marktforschungsinstitut, gibt es die Produkte, die schon morgen im heimischen Einkaufsregal stehen könnten. Lebensmittelmagazin.de war in Köln im go2market.
Jenseits vom Melaten-Friedhof wartet die Zukunft des Einkaufens. In Köln-Braunsfeld befindet sich seit Sommer letzten Jahres die deutsche Dependance des Forschungssupermarkts „go2market“, eine originär Wiener Besonderheit. Shop Manager André Priess erklärt: „In- und ausländische, bislang aber vornehmlich europäische Unternehmen, haben hier die Möglichkeit, ihre Produkte vorab testen zu lassen – worauf, das hängt von den individuellen Wünschen unserer Business-Kunden, also den Lebensmittelherstellern, ab.“ Wie reagieren die Verbraucher:innen auf den Geschmack? Spricht sie das Design an? Wie schlägt sich das Produkt gegen die Mitbewerber? Das sind alles Fragen, die die Marktforscher:innen vorab mit ihrer Industriekundschaft abklären und präzise formulieren. Ziel ist es, im go2market eben nicht Forschung unter Laborbedingungen zu generieren, sondern sich bestmöglich der Realität anzunähern.
Forschung am realen Beispiel
Anders als im Supermarkt um die Ecke können die Kundinnen und Kunden, in diesem Fall eher die Testpersonen, allerdings nicht mit Einkaufszetteln, ihren Wocheneinkauf erledigen, sondern erhalten gegen einen monatlichen Beitrag von 14,95 Euro ein Budget von 55,- Euro, das beispielsweise durch die freiwillige Teilnahme an zusätzlichen Umfragen optimiert werden kann. Dafür gehen die rund 2.600 Kölner Mitglieder in den Supermarkt der Zukunft und lassen sich von den dortigen Produkten inspirieren, ihre Wahl innerhalb des festen Budgets zu treffen. Zuhause geben sie dann ihre Eindrücke und Erfahrungen im Rahmen der Umfragen zu Protokoll, aus der dann die Daten zur weiteren Analyse erhoben werden. Bereits im Geschäft, bei dessen Eintritt sich die Mitglieder einchecken, filmen Kameras die Personen und registrieren die Reaktionen. Wie lange ruht beispielsweise der Blick auf einem Produkt? Man könnte also sagen, die Mitglieder sind mitverantwortlich dafür, was mittelfristig in deutschen Regalen landet. Letztendlich bedeutet die Expertise des go2markets auch ein handfestes Argument für die Hersteller bei der Listung im Lebensmitteleinzelhandel.
Technogedudel und Illumination
Die technischen Gimmicks dienen aber nicht nur der Messung. Am Eingang wartet Temi, ein kleiner Roboter, der durch den Supermarkt führt, Produktinformationen gibt und das Prozedere erklärt. Es geht aber auch wesentlich subtiler. Mit dem Einchecken erfasst ein Soundkonzept Alter und Präferenzen der Kundinnen und Kunden und modifiziert dementsprechend die zum Einkauf animierende Beschallung, die sogenannte Sound-DNA. Weniger subtil, dafür umso eindrucksvoller, ist die Sounddusche. Wenn man vor einem bestimmten Regal, zum Beispiel mit Erfrischungsgetränkedosen mit Maracuja-Geschmack steht, ergießt sich buchstäblich der akustische Moment des Öffnens einer prickelnden Dose, Sound-Stimulation vom Feinsten! „Die Beleuchtung des Geschäfts startet morgens bei 50 Prozent und steigert sich mit wachsender Anzahl der Mitglieder. Je mehr Menschen im Geschäft sind, umso mehr Schatten werfen diese“, erklärt der Shop Manager.
Hot und Schrott
Was für Produkte landen aber im Geschäft? André Priess erläutert: „Das sind zum einen ausländische Firmen, die schauen möchten, wie ihre Produkte, sowohl von der Aufmachung als auch vom Inhalt, bei den deutschen Verbraucherinnen und Verbrauchern ankommen. Die machen rund 25 Prozent der B2B-Kunden aus.“ Die Unternehmen stellen im Idealfall 600 Stück des Produkts zur Verfügung. Er zeigt auf eine Wand, in der ein skandinavisches Unternehmen seine Müsliriegel und Knusperflocken in pastelligen Farben anbietet, so erstreckt sich ein riesiger Regenbogen über mehrere Meter, schaut hübsch aus. Zum anderen seien es Produktneuheiten, die hier ausprobiert werden. Verschmitzt grinst der Shop Manager und greift zu einer blauen poppigen Tüte mit einem Alien drauf, das ausschaut wie Mr. Crabs von Spongebob. Schokolade mit Zuckerperlen und einem alles dominierenden Kaugummigeschmack, wie widerlich ist das denn? Angst kommt auf, dass der Geschmack nie wieder von der Zunge runtergeht. Ebenso sicher: Die Kinder würden es lieben. Gott sei Dank gibt es zum Herunterspülen im benachbarten Regal stilles Wasser mit Ingwer-Zitronengeschmack und Koffein. Subjektiv gesehen ist das jetzt ein rundum perfektes Produkt. Mit ein bisschen Stolz präsentiert André Priess Maniokpommes, die im Rahmen eines gemeinsamen Projekts mit der Wirtschaftsförderung KölnBusiness hier Einzug gehalten haben. Der südamerikanische Maniok sei als Pflanze komplett verwertbar und böte somit möglicherweise eine interessante Alternative zu Kartoffeln.
Immer wieder donnerstags
Die jeweiligen Testreihen starten donnerstags und es kann durchaus sein, dass die einzelnen Produkte über das Wochenende bereits ausverkauft sind. Die Zuckerstreuselauswahl in einem Regal liegt allerdings auch schon etwas länger, aber bald ist ja wieder Weihnachten. Ganz cool, sozusagen die Königsdisziplin, sind die Challenges, bei denen die neuen Produkte neben den etablierten Vergleichsprodukten im Regal liegen: Ein österreichisches Räucherwürstchen-Unternehmen möchte beispielsweise wissen, wie es sich gegen den deutschen Marktführer schlägt und will dies mit Hilfe von go2market herausfinden.
Foto: Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de
Neun von zehn Produktneuheiten verschwinden wieder vom Markt, ist André Priess überzeugt: „Möglicherweise wären die Bestrebungen der Herstellenden mehr von Erfolg gekrönt, wenn sie einen Bruchteil des Budgets für die Produktentwicklung auch in die Marktforschung investieren würden, um herauszufinden, was die Verbraucherinnen und Verbraucher wirklich wünschen.“
Artikel-Teaserbild (oben): ©go2market GmbH