Was prägt die bayerische Landeshauptstadt neben Weißbier und Brezeln kulinarisch mehr als die Weißwurst mit süßem Senf? Lebensmittelmagazin.de ist auf ein Paar Münchener gen Süden gefahren.
Vis-à-vis dem Schlachthof in der Münchener Isarvorstadt liegt die Metzgerei des Innungsobermeisters Andreas Gaßner. Wer könnte eine bessere Expertise zur Münchener Weißwurst geben als er?
Apropos Münchener Weißwurst, was stark nach geschützter geografischer Angabe (g. g. A.) klingt, entpuppt sich als Trugschluss. Während beispielsweise Münchener Bier geschützt ist, ist dies bei Weißwürsten nicht der Fall, auch nicht auf Landesebene, eindeutiger Klärungsbedarf.
Der Weißwurstkrimi
Die Geschichte von Andreas Gaßner zum Versuch den Schutz der geographischen Angabe für Weißwürste zu erlangen, klingt wie ein Krimi oder Schildbürgerstreich: „In den 90er Jahren kam das Thema der damaligen ‚Original Münchener Weißwurst‘ bei uns auf. Große Münchner Betriebe machten sich stark und wir gründeten einen Schutzverein der Marke. Das Projekt scheiterte am Landesinnungsmeister, der aus Holzkirchen stammte, dessen Interesse nachvollziehbarer Weise mehr beim Schutz auf Landesebene war, eben ‚Bayerische Weißwürste‘. Das Problem dabei liegt darin, dass beispielsweise Franken ebenfalls zu Bayern gehört, die aber mit Weißwürsten nichts zu schaffen haben. Kurzum, ein kostspieliger Prozess vor dem Patentgericht scheiterte krachend aufgrund von großem Gegenwind.“
Rezept für Qualität
Dabei wurde anlässlich der Olympischen Spiele 1972 eine Münchner Rezeptur festgeschrieben, die eben die Qualität der Münchener Weißwürste gewährleisten und vor allem verhindern sollte, dass etwaige minderwertige Ware als Münchener Weißwurst-Souvenir exportiert wird. So ist vorgesehen, dass der Kalbfleischanteil mehr als 50 Prozent des Magerfleischanteils ausmachen soll. Auch Schweinefleisch wird für die Weißwurst verarbeitet. Außerdem kommen Speck, Petersilie und Schwarte, das sogenannte „Häutelwerk“, ins Brät.
Eher Frankreich als Fasching
Der Legende nach wurde die Weißwurst Mitte des 19 Jahrhunderts im Wirtshaus zum ewigen Licht am Münchener Marienplatz in Ermangelung von Schafsdärmen vom Moser Sepp am Faschingssonntag erfunden, der die Würste mit Schweinsdarm vorsichtshalber kochte, aus Angst sie könnten beim Anbraten platzen. „Weitaus realistischer dürfte sein, dass die Weißwürste von der französischen ‚Boudin Blanc‘ abstammen, wobei die Würze der Münchener Weißwurst im Vergleich einzigartig ist. Die Verwendung von Petersilie, Zitrone und Gewürzen wie Macis unterstützt die Leichtigkeit der Wurst, die von der Struktur her eher fluffig sein sollte. Im Fall der Weißwurst kann man wirklich sagen, dass Frische das wichtigste Gewürz ist, denn die Zubereitung mit getrockneter Petersilie beispielsweise funktioniert nicht wirklich“, meint der Innungsobermeister.
Endlich kommen die Weißwürste auf den Tisch, im Kochwasser schwimmend, in der typischen Weißwurst-Terrine mit Löwenköpfen links und rechts. Für 5 bis 10 Minuten garen die Würstchen im schwach siedenden Kochwasser, pro Liter 20 Gramm Salz (ca. ein Esslöffel) für den Osmoseausgleich.
Ein Weißwurst-Knigge
Und jetzt dieses leicht befremdliche Zuzeln? Andreas Gaßner schüttelt den Kopf: „Früher fehlte den Weißwürsten bisweilen ihre Bindung, das Zuzeln direkt aus der Pelle wurde deshalb salonfähig, um zu verhindern, dass Fleischbrocken rausfallen. Es gibt aber eine Möglichkeit Weißwurst probat mit Messer und Gabel zu essen. Zuerst fixiert man die Weißwurst auf ihrem Rücken, die konvexe Seite auf dem Teller mit dem Messer und dann mit der Gabel auf zwei Uhr nicht zu tief einzustechen. Die Weißwurst wird zunächst halbiert und dann der Länge nach fast komplett aufgeschnitten. Entlang des Schnitts kann man die Weißwurst mühelos mit dem Messer von der Pelle befreien. Die andere Hälfte der Wurst bleibt auf diese Weise vorerst warm und kann sukzessive ebenso verzehrt werden.“ Natürlich könnte man den Darm auch problemlos mitessen, aber durch das Garen im Wasser statt dem Rösten auf dem Grill oder in der Pfanne, wäre es eine zähe Angelegenheit. Bevor die Wurst mit süßem Senf ertränkt wird, erbittet sich Gassner: „Es lohnt sich, zunächst ein Wurststück pur zur Nase zu führen, um die Petersilie, die Zitrone und die Gewürze zu ergründen. Auch im Mund kann man die Textur der Wurst ergründen. Das hat was mit Respekt gegenüber dem Metzger zu tun“. In diesem Zusammenhang sollte man erwähnen, dass die Weißwürste der Metzgerei Gaßner regelmäßig bei der alljährlichen Blindverkostung in der Stadt auf den vorderen Plätzen rangiert.
Senf dazugeben
Gaßner rät zum eher sparsamen Einsatz von Senf, den er als einziger Metzger sogar selber herstellt: „Gelegentlich bekommen wir die Rückmeldung, dass den Gästen unser Senf zu scharf sei. Ich empfehle dann reduzierten Einsatz, immerhin heißt es ‚Senf zur Wurst‘ und nicht andersrum“. Im Gegensatz zum süßen Senf aus dem Lebensmitteleinzelhandel ist sein Senf zwar nicht sonderlich scharf, dafür aber nicht so süß, sondern eher würzig. Warum aber serviert man überhaupt süßen Senf zur Weißwurst und nicht mittelscharfen oder Löwensenf wie im Rest der Republik? Gute Frage, über die er erst mal nachdenkt: „Scharfer Senf würde den zarten Geschmack der Weißwurst zerstören. Auf einer Wurstplatte würde ich die Reihenfolge Münchner Weißwurst, Wiener, Pfälzer und dann die kräftigen Debreziner empfehlen bzw. bei Bratwürsten nach den Münchnern dann weiße Bratwürste wie Nürnberger oder Thüringer und dann rote Bratwürste wie die Krakauer“.
Fotos: Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de
Nachts, wenn alles schläft
In der Metzgerei von Andreas Gaßner werden täglich Weißwürste hergestellt. Insgesamt 45 Mitarbeiter, inklusive Büro und Vertrieb, arbeiten für ihn, gegenwärtig haben sie eine Auszubildende. „Um 1 Uhr morgens fangen die Mitarbeiter in der Produktion mit Weißwürsten an, gefolgt von den Wienern, den anderen geräucherten Würstchen und dem Rest“, erklärt er. Im großen Cutter, der mit 130 Litern Volumen Platz für ca. 100 Kilogramm Brät hat, wird als erstes das Fleisch beim Trockenlaufen zusammen mit Salz für drei bis vier Runden geschnitten, damit sich das Eiweiß löst. Dann wird Eisschnee zugeführt. Fleisch kann nämlich ab einer Temperatur von 17 bis 18 Grad keine Emulsion mehr eingehen. Das imposante Messer des Cutters, eine Art Kreissäge, hat stumpfe Spitzen und die Schärfe beginnt erst am Bauch der Klinge. Die Spitzen werden zum Untermischen benötigt. Nach dem Einfüllen der fertigen Masse im Schweinedarm werden die Weißwürste noch 30 Minuten bei 72 Grad im Brühkessel gekocht und anschließend abgeschreckt, um die weiße Farbe zu erhalten.
Fotos: Gaßner Der Metzger & Gastromarkt GmbH / Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de
Für eingefleischte Veganer:innen
Nachdem während des Oktoberfestes die Diskussion um die Veggie-Weißwurst entbrannte, kommt diese im Gespräch noch auf den Tisch. Immerhin wird in diesem Zusammenhang die Kabarettistin Monika Gruber aus ihrem Programm zitiert, die dieses neue Lebensmittel als ‚mit Bauschaum gefülltes Kondom‘ in ihrem Programm beschrieb. Auch Andreas Gaßner hat nicht viel für dieses Produkt übrig und stellt auch dessen Sinnhaftigkeit in Frage: „Vegetarischen Gästen serviere ich beispielsweise Frischkäse mit Rucola oder Obatzda zur Brezel als fleischfreie Alternative. Warum sollte ein Vegetarier ein solch typisches Fleischattribut adaptieren? Entschuldigung, das kann man zwar machen, muss ich aber nicht“. Fleisch gehört für den Metzgermeister durchaus zu einer gesunden Ernährung und im Kontext von Milchproduktion und Ackerbau in den natürlichen, landwirtschaftlichen Kreislauf.
Foto: Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de
Es ist gar nicht so leicht in München ein Restaurant ausfindig zu machen, dass vegane Weißwurst auf der Karte führt. Aber schließlich im Paulander in der Nähe vom Viktualienmarkt, steht vegane Weißwurst von Greenforce mit Brezel und Bier auf dem Tisch. Erster optischer Eindruck: die Farbe stimmt, aber die Größe ist eher mickrig. Freunde des Zuzelns werden enttäuscht sein, die Wurst wird ohne Darm serviert. Der Geruch ist unspezifisch und erinnert an weißen Miso. Schade, Zitrone und Petersilie wären doch okay. Die Konsistenz erinnert an Surimi, oder besser noch an Fishcake, das man als pinkes Topping von Ramen kennt. Bei der Nachfrage des netten Kellners entpuppt sich dieser als Vegetarier, ihm schmecken die pflanzlichen Würste. Kann es sein, dass zwar der Vergleich zwischen dem Original und der Pflanzen-Alternative hinkt, aber so immerhin alle an dem kulinarisch-kulturellen Genuss, Weißwurst mit Brezel und Weißbier, partizipieren können? Man muss es nicht essen, aber man kann’s.
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