Die Meisten verbinden mit dem Iran nicht unbedingt Genuss und Sinnenfreude, dabei hat die persische Kultur so viel zu bieten. Lebensmittelmagazin.de hat zwei Perserinnen in Berlin besucht, um den kulinarischen Reichtum zu ergründen.
Pistazien mit Safran, Pralinen mit Blausalz, Rosenlikör – exklusive Köstlichkeiten, die en Passant im Sommer diesen Jahres zum Interview über Blütenküche serviert wurden, erregten damals schon große Aufmerksamkeit. Schnell war deshalb klar: Diesem außergewöhnlichen Aromen-Spektrum muss man sich gesondert widmen. Martina Göldner vom Berliner Feinkost-Unternehmen Shatoh, dessen persisches Vermächtnis schon im Namen liegt, hat beim Telefonat im Rahmen der Interviewanfrage eine noch bessere Idee: Sie verweist auf die Kochschule „Dr & Dr Middle Eastern Culture and Food Lab“ der Zwillingsschwestern Forough und Sahar Sodoudi. Die beiden Perserinnen beraten Shatoh mit kreativen Rezepten und sind prädestiniert als Interviewpartnerinnen über persische Küche.
Genuss und Kultur statt Physik
Im Fenster prangt in Alefba, dem persischen Alphabet, das Emblem des Ladens, darunter stehen Einmachgläser mit Torshi, eingelegtem Gemüse, sowie der deutsche Gastro-Gründerpreis. Der Name „Dr & Dr“ kommt nicht von ungefähr: beide Schwestern haben Physik studiert und an der Freien Universität Berlin promoviert, Sahar in Meteorologie, Forough in Seismologie. Man könnte meinen, dass Klimawandel, Stadtklima, Bodenerosion, Nachhaltigkeit etc. als Aufgabenfeld Herausforderung genug darstellen könnten. Trotz alledem entschieden sich die Schwestern, ihre akademischen Jobs ruhen zu lassen. „Wir haben das Gefühl, dass hier ein falsches Bild unserer Kultur vorherrscht. In dem Sinne ist es wichtiger für unsere Seele, Essen als wesentlichen Aspekt der persischen Kultur den Menschen in Deutschland nahezubringen, um ein alternatives Bild vom Nahen Osten zu schaffen, allein schon was unsere Gastfreundschaft bedeutet“, erklärt Sahar, während sie Tee zubereitet. Heißes Wasser und Teebeutel rein – weit gefehlt! Aus der Teekanne duftet schwarzer Tee mit Kardamom, den sie im hohen Bogen in eine glasierte Teeschale eingießt. Sie nimmt Pfefferminzzweige, die sie andrückt und behutsam in den Tee legt. Zu guter Letzt greift Sahar nach getrockneten Rosenknospen und zerkrümelt diese zwischen den Fingerspitzen über der Teeschale, ein Fest für die Augen und die Nase. Den deutschen Gastro-Gründerpreis erhielten sie übrigens vor über zwei Jahren, nachdem sie gerade erst ein paar Monate ihre Kochschule eröffnet hatten.
Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de
Mehr als Bitte und Danke
Mit einem Minimum an Kenntnis der persischen Kultur weiß man um die Besonderheiten des Taroof, eine elaborierte und ritualisierte Rhetorik der Gastfreundschaft. Sie besteht in erster Linie aus wechselseitigen Komplimenten und Schmeicheleien zwischen Gast und Gastgeber. Ein Satz beispielsweise, der in Erinnerung geblieben ist: „Möge deine Hand nicht schmerzen – Daste shoma dard nakone“. „Möge dein Kopf nicht schmerzen“, lacht Sahar als Antwort. Weitere essenzielle Übung des Taroof: Bloß nicht auf den Tee stürzen, sondern ein bisschen zieren, bis die Gastgeberinnen offensiv zum Trinken auffordern. Diese zelebrierten Formen der Höflichkeit, die weit über Bitte und Danke hinausgehen, prägen zum einen zwar das gesamte persische Sozialleben, sind andererseits aber gerade bei Essenseinladungen nicht wegzudenken.
An der persischen Tafel
Bereits beim Eintreten fällt der Blick auf die üppige, reich gedeckte Tafel, ein wirklich gewordenes Stillleben, das auf die Gäste wartet. Ähnlich eindrucksvoll ist der florale und farbenfrohe Fliesenspiegel oberhalb der Arbeitsfläche. „Das Motiv haben wir von den Kacheln aus dem Golestanpalast kopiert“, erklären die Kochlehrerinnen. „Was auf keiner persischer Tafel fehlen darf, ist bereits vor dem Essen frisches, knackiges Gemüse, wie Radieschen und Rettich, dazu Kräuter (Sabzi auf farsi) und Salat. Dazu servieren wir gerne unseren Masto khiar, das ist Joghurt mit Kräutern und Gurke, ähnlich wie Zaziki, aber ohne Knoblauch. Die persische Tafel ist immer farbenfroh, dafür nehmen wir als farblichen Akzent gerne Torshi, das ist in Essig eingelegtes Gemüse“, erklärt Forough. Sie zeigt auf die großen Einmachgläser im Fenster: „Das ist unser persönliches Zero-waste-Konzept, Gemüsereste von unseren Kochkursen werden nicht entsorgt, sondern werden abends zu Torshi, persisches Mixed Pickles mit Essig und ohne Zucker, eingelegt, oder landen im Fall von Gurken im Masto khiar.“
Fotos: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de
Unter die Nase gerieben
Viele Zutaten, wie das Gemüse beispielsweise, stammen aus der Region Berlin-Brandenburg, während die persischen Zutaten vom iranischen Importeur aus Hamburg kommen. Um die Unterschiede zu demonstrieren, holt Forough zwei Deckelgläser mit getrockneten Limonen (Limoo Amani) aus dem Schrank. In dem einen Glas sind sie dunkelgrün, fast schwarz. In dem anderen sind sie blassgrün. Das ist aber nicht der entscheidende Unterschied: Beim Öffnen der hellen Limonen aus dem Iran steigt ein Duft empor, den man sich gut als Teil eines Parfums vorstellen könnte. „Vor dem Kochen werden sie mehrfach eingestochen und dann geben sie langsam ihr Aroma und ihre Säure ab. Eigentlich holt man sie zum Ende der Kochzeit aus dem Essen heraus, aber viele unserer Kochschüler sind begeistert von dem Geschmack“, erklärt Sahar. Ähnlich spannend ist Musir, persischer Soloknoblauch, dessen Aromen-Spektrum vom gängigen Knoblauch abweicht: weniger beißend-frisch und streng, dafür süße Karamellnoten. Forough erklärt wie man ihn selber machen kann: „Im Supermarkt gibt es bisweilen Soloknoblauch zu kaufen, dessen Knollen nicht in einzelne Zehen, sondern kompakt sind. Diesen lässt man auf der Heizung trocknen und zerstößt ihn dann im Mörser zum Granulat, das trocken im Glas gelagert lange vorhält.“
Direkt aus der Frucht
Der hintere Teil der Kochschule ist abgeteilt durch ein kunstvolles Gartengittertor. „Du musst dir vorstellen, dass in Teheran hinter einem solchen Tor ein mit Obstbäumen schattenverhangener Garten liegt, in dessen Mitte ein Springbrunnen für Erfrischung sorgt. Im Wasser dieses Brunnens liegen Früchte zur Kühlung, wie Wassermelonen oder Granatäpfel. Wenn Gäste kommen, reicht man ihnen einen Granatapfel. Das Ritual nennt sich Ab lamboo. Vorsichtig zerdrückt man mit beiden Daumen die Kerne im Inneren der Frucht und achtet darauf, nicht die lederige Schale des Granatapfels zu verletzen. Dann beißt man ein kleines Loch hinein und trinkt den köstlichen Saft direkt aus der Schale, so wohltuend an einem heißen Sommertag im Iran.“ Ein Rezept käme bei den Kochschüler:innen besonders gut an: Babyspinat mit in Safran angerösteten Mandeln und Granatapfelkernen mit Granatapfel-Dressing. Bei Getränken sei die Frage gestattet: Ist es Zufall, dass die populäre Rebsorte Shiraz denselben Namen trägt wie die iranische Großstadt? „Bereits im Werk von Hafez, dem persischen Nationaldichter, ist die Rede von Sharab Shiraz, Shiraz Wein. Es ließ sich durch einen DNA-Test ermitteln, dass die Trauben aus dem Iran stammen. Noch zu Shah-Zeiten wurde Wein angebaut“, sind die Schwestern überzeugt.
Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de
Warm und kalt
Beim Granatapfel müsse man aufpassen, zu viel könne für Magenbeschwerden sorgen, weil es ein kaltes Lebensmittel sei. Eine kulinarische Tradition aus dem Iran, ähnlich dem indischen Ayurveda, unterteilt Lebensmittel in kalte und warme Speisen. Ziel ist es, aus kalten und warmen Lebensmitteln harmonische Gerichte zu schaffen. Über die rubinroten Granatapfelkerne streut Forough Golpar, iranischen Bärenklau. Dieser soll die Kälte des Granatapfels ausgleichen; das Gewürz schmeckt ein bisschen wie getrockneter Waldmeister, mit intensiver Heunote. Auch das populäre Gericht Fasenjan, ein Schmorgericht aus Hühnchen mit einer Granatapfel-Walnuss-Soße, entspricht diesem Prinzip. So ganz nachvollziehbar ist es für den Außenstehenden nicht: Lammfleisch ist warm, weswegen es mit kaltem Joghurt serviert wird, dafür ist Rindfleisch sehr kalt. Orangen sind kalt, während Mandarinen warm sind. „Dieses Wissen über persische Lebensmittel wurde uns von klein auf beigebracht und überliefert“, erklärt Sahar. Und was passiert, wenn man zu viele warme Lebensmittel isst? „Dann bekommt man Pickel“, sagt sie. Zitronen sind kalt, aber Ingwer warm, also eigentlich gar nicht gut bei Halsschmerzen. „Ingwer verwendet ihr hier vollkommen falsch“, schmunzelt die Perserin.
Es gibt Reis!
Ebenfalls typische Beeren aus dem Iran sind Berberitzen, welche die Schüler:innen der Kochschule kennen- und schätzen lernen, wenn sie Zereshk Polo (Beberitzen-Reis) kochen. „Für Zereshk Polo werden die Berberitzen in Butter mit etwas Zucker angeschwitzt, bevor sie zum Reis kommen“, erklärt Sahar. „Persischer Reis wird mit Tahdig serviert, das bedeutet, dass der Reis unten am Topf bräunt und dadurch eine extrem leckere Kruste entsteht. Das kann man auf dem Herd bei kleiner Flamme machen, die persische Hausfrau hat dafür ihren Parskhazar, den original iranischen Reiskocher, in dem die Kruste automatisch gelingt. Am Tahdig erkennt man hausfrauliche Qualitäten“, zwinkern die Schwestern.
Fotos: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de
Das Kostbarste aller Gewürze
Was ebenfalls zum Persischen Reis gehört, ist Safran, der für die goldgelbe Farbe sorgt. Forough hat eine Überraschung parat: Damit der Safran bestmöglich Duft und Farbe an die Speisen abgibt, muss dieser zunächst gemörsert und dann in Eiswasser aufgelöst werden. Dafür legt man einen Eiswürfel in den Mörser und lässt ihn schmelzen. Sie erklärt, wie man gute Safranqualität von potentiellen Fälschungen erkennt: „Der Safran muss duften, die Fäden müssen dunkelrot und trocken sein. Wie lang die Fäden sind, ist egal. Nach dem Mörsern färbt sich der Safran orange durch Oxidation. Wenn er feucht ist, lässt er sich nicht mörsern.“ Der beste Safran stamme aus dem Grenzgebiet zu Afghanistan. Ursprünglich kommt er jedoch aus dem Südosten, Richtung Pakistan. Der Name Safran leitet sich von Sar paran (goldene Flügel) ab und wurde laut Sahar beim Blümchen pflücken vor über 2.500 Jahren während der Herrschaft von König Kyros entdeckt. Zunächst fand er Einsatz zur Wundheilung. Verletzte Soldaten nahmen Bäder in aufgelöstem Safran. Später wurde seine aufmunternde Wirkung entdeckt und gegen Depressionen eingesetzt.
Zu guter Letzt: „Im Frühling haben frische Pistazien eine weiche, rosige Haut statt der harten Schale“, schwärmen die beiden Perserinnen. Zusammen mit Safran prägen Pistazien auch den Geschmack des subjektiv köstlichsten Eis der Welt: Bastani Akbar Mashti, das ist ein cremig-sahniges Safran-Eis, mit gehackten Pistazien, etwas Rosenwasser und Sahlap (eine bestimmte gemahlene Orchideenwurzel). Serviert wird Bastani Sonati, wie es auch genannt wird, zwischen zwei Eiswaffeln.
Beitragsbild (oben): Johannes S. – lebensmittelmagazin.de
Hallo, trotz der ansprechenden kulinarischen Spezialitäten die im Artikel beschrieben werden spiegelt er nicht die verschiedenen Kulturen des Irans wieder. Es wird hier immer persisch mit iranisch gleichgesetzt, das sind aber zwei verschiedene Dinge. Es gibt auch Türken, Kurden, Baludj usw. die viele kulturelle Güter mit der persischsprachigen Bevölkerung teilen. Auch ist durch DNA widerlegt worden das der Shiraz Wein aus Shiraz kommt. Er wurde zuerst in Frankreich angebaut. Bitte aufpassen bei „persischem Patriotismus“.
Trotz der kulturellen Vielfalt des Irans soll der Artikel das Land und seine Kultur als Einheit darstellen, dazu gehört auch die Verwendung des metaethnischen Begriffs Perser, der einfach überordnend und selbstverständlich nicht diskriminierend gemeint ist.