Nudel ist nicht gleich Nudel. Einen ganz besonderen Genuss, aber auch besonders viel Arbeit beschert frische Pasta. Gut, dass man diese im Zweifelsfall auch direkt kaufen kann, z. B. in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg.
„Wenn es wie heute regnet, müssen wir die Luftfeuchtigkeit beim Teig machen ebenfalls berücksichtigen“, meint Lorenzo Corisi, Miteigentümer von „Mani in Pasta„. Pastateig, häufig zu Hause verunglückt, egal ob zu klebrig oder zu bröckelig, scheint also ein wahres Sensibelchen zu sein. Man benötigt jenes buchstäbliche Fingerspitzengefühl, wenn man wie aus dem Italienischen hier übersetzt „die Hände im Teig“ hat. Hinter dem sinnlichen Namen steht die Pasta-Manufaktur der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg.
Wenn Bronze Gold ist
Ursprünglich kommt Lorenzo Corisi aus der Nähe von Bari in Apulien, am italienischen Stiefelabsatz sozusagen. Über Mailand zog es den jungen hoffnungsvollen Toningenieur nach Berlin, wo er zunächst in der Gastronomie jobbte und dort auch seine späteren Mitbegründer Angelo und Joaquino kennenlernte. Zunächst gründete er einen Catering Service, 2015 kam das Angebot der Markthalle Neun, einen eigenen Stand mit Manufaktur zu eröffnen. Dem folgte dann noch das Restaurant, ebenfalls in Kreuzberg.
Inwiefern unterscheidet sich denn frische Pasta von der getrockneten Pasta aus dem Supermarkt? „Das kann man so genau gar nicht sagen. Es gibt sehr gute Trockenpasta, wie beispielsweise Gragnano, die Marke ist sehr beliebt in ganz Italien. Die Oberfläche der Nudeln ist aufgeraut und nimmt dadurch hervorragend Soße auf; das liegt an den Bronzematrizen der Maschinen“, meint Corisi.
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen frischer Pasta, die drei Tage hält und pasteurisierter Pasta, die kurz heiß bedampft wird. Diese findet man beispielsweise eingeschweißt in Supermärkten. Sie ist drei bis sechs Monate haltbar. Getrocknete Pasta, ist de facto bis in alle Ewigkeit haltbar und eignet sich prima als Vorrat.
Mehl, Ei, Wasser
Frische Pasta von Hand gemacht ist eine zeitaufwändige Spezialität. „Meine Mutter hat für uns sonntags, wenn die ganze Familie zusammengekommen ist, Pasta selber gemacht und mit Bolognese-Soße serviert, das ist durchaus kostspielig und zeitintensiv, eben was Besonderes“, schwärmt Lorenzo Corisi. Übrigens heißt die Bolognese-Soße in Bologna selber Ragù. Für seine Pasta verwendet Corisi grundsätzlich drei unterschiedliche Teige, einen traditionellen Pastateig mit Ei, einen veganen Pastateig ohne Ei sowie einen Pastateig auf Dinkelbasis. Welchen Sinn und Zweck haben Eier im Teig? „Eier stabilisieren die Pasta und machen sie elastisch. Pasta ohne Ei können unter Umständen zu porös sein. Für die eher feinen Tagliolino verwenden wir auf jeden Fall Eier, ebenso bei Tagliatelle und Busciati, eine sizilianische Variante der Makkaroni. Orecchiette, Penne und Pappardelle benötigen beispielsweise kein Ei. Der Teig selber besteht grundsätzlich bei uns aus Mehl, Wasser und optional Eiern. Wobei „Mehl“ missverständlich ist: „Wir nehmen Hartweizen- bzw. Dinkelgrieß. Unsere Maschinen benötigen ein etwas griffigeres Mehl. Wir lassen ihn ungefähr eine halbe Stunde durchkneten und verarbeiten ihn direkt im Anschluss weiter. Andere verwenden unter Umständen noch Salz, aber wir nicht.“ Damit die Nudeln nicht zusammenkleben empfiehlt der Fachmann sie mit Reismehl zu bestäuben.
Welche qualitativen Vorteile für die Pasta hat Hartweizen gegenüber Weichweizen und warum Grieß statt Mehl? Anne-Kristin Barth, Pressereferentin des Verbandes der Getreide-, Mühlen und Stärkewirtschaft weiß: „Der gelbkörnige Hartweizen ist proteinreicher und gleichzeitig stärkeärmer als Weichweizen. Aus ihm lassen sich besonders gut Grieße herstellen. Die groben Grießpartikel sowie der hohe Eiweißgehalt sorgen für eine nachhaltige Wasseraufnahme und -bindung im Teig und damit für die gewünschte Kochstabilität der Nudeln im Wasser: So gelingt die gewünschte Bissfestigkeit ‚al dente‘.“ Profis nutzen deshalb für Nudeln auf Weichweizenbasis wie für Spätzle ebenfalls proteinreiche, (doppel)griffige Mehle. Natürlich klappen Spätzle, Nudeln und Co auch mit herkömmlichem Weichweizenmehl, dann sind die Nudeln aber weicher im Biss.
Mehr als 14
Nudeln, die zu Hause von Hand geschnitten werden, können auch nur aus Mehl und Eiern bestehen. „Wir benötigen einen höheren Gehalt an Wasser, damit die Pasta aus der Bronze- und Teflon-Matrize nicht porös wird“, erklärt der Pastaexperte, „Tatsächlich ist es so, dass wir die Teige an die jeweiligen Matrizen unserer 14 Pastasorten anpassen müssen. Das Verhältnis von Wasser und Mehl ist abhängig von der Witterung und der Jahreszeit. In der Weihnachtszeit stellen wir auch unsere eigenen handgemachten Tortellini her.“
Welche Pasta genießt man dann am besten mit welcher Form von Soße? Für den Barese Lorenzo Corisi dürfen es am liebsten Orecchiette mit Cime di Rapa (Stängelkohl) sein, das apulische Nationalgericht: „In den Gassen von Bari sitzen unzählige Nonnas vor ihren Häusern und formen mit ihren Händen die charakteristischen Öhrchen-Nudeln, die man von ihnen direkt käuflich erwerben kann“, schwärmt er. Grundsätzlich schätzt er Pasta und Soßen als frei kombinierbar ein: „Jede Region hat seine eigene Pasta-Spezialität, bisweilen haben auch dieselben Nudeln unterschiedliche Namen in verschiedenen Regionen.“ So heißen etwa die Busciati aus Sizilien, der Heimat von Kollege Angelo, in Apulien Strascinati.
Fotos: Mani in Pasta (links, Mitte), Johannes S. – lebensmittelmagazin.de (rechts)
Der Koch war‘s
Allerdings wären die international populären Spaghetti Bolognese in Italien selber unüblich: „Wir würden vermutlich eher Tagliatelle dazu essen. Zu Spaghetti selber passt besser Tomatensoße oder beispielsweise Meeresfrüchte als Spaghetti Vongole.”
Über die Diskrepanzen zwischen der italienischen Küche im In- und Ausland hat Lorenzo Corisi seine eigene Theorie: „Das ist vermutlich auf die italienischen Gastronomen hier in Deutschland in den 90er Jahren zurückzuführen, die Spaghetti Bolognese serviert haben oder auch beispielsweise Penne all‘ arrabbiata, mit Tomatensoße plus Petersilie, Knoblauch und Chili, die auch hervorragend zu anderen Pastasorten geht. Das hat sich dann in den deutschen Köpfen so festgesetzt.“
Ob auch diese Gastronomen wohl verantwortlich sind für die von Italienern verhasste deutsche Variante der Spaghetti Carbonara mit Sahne und Kochschinken, statt wie in Italien eigentlich üblich mit Guanciale (Schweinespeck), Parmesan und Ei?
Artikel-Teaserbild (oben): Johannes S. – lebensmittelmagazin.de