Labskaus ist der Inbegriff hanseatischer Küche. Lebensmittelmagazin.de war in Hamburg und probierte im Old Commercial Room das offiziell beste Labskaus der Stadt.
Das Restaurant Old Commercial Room gilt als Hamburgs erste Adresse für Labskaus, ein Kartoffelgericht mit Rindfleisch, meist Corned Beef und Roter Bete, das vorwiegend in Norddeutschland, nordischen Ländern wie Dänemark und der Region um Liverpool verzehrt wird. Ein Originalrezept ist nicht bekannt, weshalb immer wieder darüber diskutiert wird, ob auch Fisch ein originaler Bestandteil von Labskaus ist oder nur eine Beilage. Deshalb kommt auch hier im Old Commercial Room direkt nach dem Hinsetzen an Tisch Nummer 1 die Frage auf: „Wird Hering in Labskaus reingehackt oder nicht?“ Wirt Reinhard „Butsche“ Rauch antwortet überraschend: „Hering hat da gar nichts drin zu suchen. Den Fischgeschmack haben die Seeleute jeden Tag, da sind sie froh, wenn es was Anderes gibt. Labskaus wird traditionell auf der Heimfahrt gekocht und wenn der Smutje (Anm. der Redaktion: der Schiffskoch) das nicht ordentlich macht, dann ist er bei der nächsten Fahrt nicht mehr dabei.“
Das Rezept
Auf die Frage wie viel Corned Beef denn bei ihm auf wie viele Kartoffeln käme, schüttelt er den Kopf: „In den 100-Liter-Kessel kommen 40 Kilogramm Rinderplatte und Nackenschier (Anm. der Redaktion: Teile von Rinderbrust und -nacken), die salzen wir selber ein. Zusammen mit zehn Kilogramm Zwiebeln sowie Wasser mit Pfeffer und Salz und drei Kilogramm Butter kocht das Ganze mindestens drei Stunden. Dann zerkleinern wir alles im Cutter und kochen dann noch für ungefähr eine halbe Stunde zehn Kilogramm festkochende Kartoffeln mit bis sie zerfallen.“ Das heißt, auch die in vielen Rezepten erwähnte Rote Bete, kommt bei Butsche nichts ins Labskaus, sondern wird lediglich dazu serviert.
Damals von der Insel
Der Old Commercial Room liegt vis-à-vis dem Hamburger Michel, der Hauptkirche St. Michaelis. Es ist eines der ältesten Restaurants der Stadt. Ein britischer Reeder gründete das Etablissement 1795 für seine Offiziere der britischen Handelsmarine. Ursprünglich stand das Restaurant jedoch unweit der Landungsbrücken. „Die erste Fliegerbombe über Hamburg im zweiten Weltkrieg fiel direkt auf das Gebäude des alten Old Commercial Rooms und zerstörte diesen“, berichtet Butsche. Sein Vater etablierte den Old Commercial Room an seinem heutigen Platz an der Englischen Planke. 1971 übernahm Butsche das Traditionsrestaurant, wie auch das Labskaus-Rezept: „Mein Vater meinte, das Rezept stamme aus Liverpool und sei seinerzeit vom Gründermitgebracht worden.“ Das würde bedeuten, dass zwischen der Einführung der Kartoffel in Deutschland, Mitte des 18. Jahrhunderts, und der Einführung des Labskaus kaum 50 Jahre vergangen sind. „Ich habe mal gehört, dass vor der Kartoffel Labskaus mit eingeweichtem Schiffszwieback gemacht wurde. Darunter darf man sich aber keinen normalen Zwieback vorstellen, wie man ihn für Kinder einweicht. Das sind mehr so Hartkekse wie aus dem EPA-Paket der Bundeswehr„, überlegt Butsche.
Ob es stimmt, dass die Rezeptur darauf zurückzuführen sei, dass Seemänner aufgrund von Skorbut, also Vitamin-C-Mangel, häufig Probleme mit ausgefallenen Zähnen hatten und die breiige Konsistenz des Labskaus ihnen das Kauen erleichtern sollte? Der nun auch schon etwas ältere Butsche ist sich diesbezüglich nicht sicher, muss aber schmunzeln: „Einem der Walfänger, die früher bei uns regelmäßig einkehrten, hatte man im Krieg das Gesicht zerschossen, überall Narben. Er bestellte sich Labskaus etwas flüssiger, damit er ihn so wegschlürfen konnte.“ 1956 löste sich die erste deutschen Walfang-Gesellschaft auf. Bis dahin war das Restaurant Anlaufstelle der Walfänger.
Das Who‘s Who des Labskaus
Während man auf die Portion Labskaus wartet, schweift der Blick durch das gemütliche holzvertäfelte, aber auch verwinkelt, enge Restaurant. Porträts an den Wänden beschreiben wie in einer Retrospektive die Hautevolee des Nachkriegs-Deutschlands bis heute. Ein gern gesehener Gast im Haus war der „Seeteufel“ Felix Graf von Luckner, eben jener Kapitän, Schriftsteller und Haudegen, der Telefonbücher mit bloßen Händen zerreißen konnte. Aber nicht nur dieser: „Helmut Schmidt aß hier gerne und oft Labskaus. Er saß hier mit seiner jeweiligen Begleitung“, Butsche deutet in eine Ecke, „und seine drei Personenschützer dort drüben.“ Außer ihm sollten noch viele weitere Bundeskanzler (jedoch nicht die aus Hamburg stammende Bundeskanzlerin) und nationale, wie internationale Staatsmänner und -frauen hier einkehren, von großen Künstler:innen, Stars und Sternchen ganz zu schweigen. Ganz spannend: Irgendwann im Gespräch holt Butsche die Kopie eines Vertrags mit dem Beatles-Manager hervor, die vier Jungs hatten vor ihrem Durchbruch im Star Club auf der Reeperbahn bereits ein Engagement im Old Commercial Room.
Endlich kommt dampfend der Teller Labskaus: flankiert mit Salzgurken und frischer Roter Bete, sowie dem Spiegeleier-Topping. Beim Zerschneiden läuft goldgelber Eidotter über das Labskaus. Die Kruste des Spiegeleis und die frische Säure des Gemüses kontrastieren den Kartoffelfleischbrei, der durch die Butter und die zarten Fleischfasern eine nahezu seidige Konsistenz hat. Großes Kompliment an die Pfefferqualität, die neben der angenehmen Schärfe noch ein schönes Aroma beisteuert. „Das Geheimnis ist Butter, viel Butter, bloß keine Margarine“, zwinkert Anna, Butsches liebenswürdige Ehefrau, die sich zwischenzeitig dazu setzte.
Im Vergleich dazu sorgt Corned Beef dafür, dass man auf den Fleischstückchen wesentlich mehr zu kauen hat. Butsche erklärt dazu: „Labskaus ist zu Hause ein prima Gericht zur Resteverwertung. Wir haben auch mal Labskaus als vegetarische Variante mit Gemüse statt Fleisch gemacht. Es schmeckte hervorragend, ich bin mir sicher, wenn ich es auf die Karte nähme, würde es gut laufen.“
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