Seit 2014 gehört die deutsche Brotkultur zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe. Unter den mannigfaltigen Broten gehört das Roggenbrot aus Sauerteig vielleicht zu den typischsten für Deutschland. Lebensmittelmagazin.de lässt es gären.
Wasser, Mehl, Wärme und Zeit – mehr braucht es nicht, um durch die bei der Fermentation gebildeten CO2-Gärgase ein Brot aufzulockern. „Außerdem bekommt das Brot einen intensiveren Geschmack durch die entstehende Säure und es wird besser verdaulich“, erklärt Thomas Muschelknautz, stellvertretender Leiter der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk in Weinheim.
Milchsäure und wilde Hefe
Die für die Säure verantwortlichen Mikroorganismen gibt es frei Haus: Milchsäurebakterien und wilde Hefen, die überall, wie z. B. auch in der Luft, zu finden sind. Die Kunst dabei ist es, die Faktoren so zu regulieren, dass ein wohlschmeckendes Ergebnis dabei entsteht. „Jeder Teig, der zu lange steht, wird irgendwann zum Sauerteig, oftmals aber ungenießbar“, meint der Brot-Experte. Beim Stichwort gesäuertes Brot denkt man möglicherweise auch an das jüdische Pessachfest, dass den Auszug aus Ägypten in die Wüste feiert und an dem es nur ungesäuertes Brot gibt. Thomas Muschelknautz meint dazu: „Das ist insofern nachvollziehbar, als das Sauerteig viel Vorbereitungszeit benötigt, die man bei so einem hastigen Aufbruch nicht mehr hatte, sodass man darauf angewiesen war, Brot ohne Treibmittel herzustellen.“
Spontan oder geimpft
Für den eigenen Sauerteig zu Hause gibt es zwei Möglichkeiten: Bei jedem Handwerksbäcker, den man beim Bäckerfinder beispielsweise ermitteln kann, bekommt man auf Vorbestellung ein Stück Sauerteig, das bereits mit den richtigen Bakterienstämmen geimpft ist. „Daraus kann man im Zweifelsfall auch kürzest möglich innerhalb von drei Stunden seinen eigenen Sauerteig gewinnen. Bei einer so kurzen Führung wäre das dann ein sehr milder Sauerteig“, erklärt Muschelknautz. Alternativ für das „Anstellstück“ wird Roggenmehl mit Wasser in etwa zu gleichen Teilen in einem hohen, abdeckbaren Gefäß, verrührt. „Am besten nimmt man hierfür Roggenvollkornmehl, da die im Mehl befindlichen Mineralstoffe, vor allem aus den Außenschichten des Korns, eine optimale Grundlage für die erwünschten Mikroben bilden. Im Zweifelsfall empfiehlt es sich also, dass leere Glas vorab abzuwiegen, um die jeweilige Bedarfsmenge ermitteln zu können“, kleiner Life-Hack am Rande vom Experten. „Am Anfang findet noch nicht viel Gärung statt, dafür kann es aber sein, dass der Ansatz ganz furchtbar riecht, das mag dann an den Bakterienstämmen liegen, die nicht erwünscht sind. Normalerweise reguliert sich das im Laufe der Zeit von selbst. Ich empfehle, einfach erstmal weiter zu füttern, bis ein angenehmer, fruchtiger Duft hervortritt. Das Ganze dauert ungefähr eine Woche. Dann kann der Sauerteig wie im jeweiligen Rezept vorgesehen verarbeitet werden. Allerdings sollte man sich immer einen Rest als Anstellgut im Kühlschrank aufheben, bis man ihn wieder benötigt.“ Dieser sollte dann einmal die Woche mit Wasser und Mehl gefüttert werden. Die Eigenschaften des Sauerteigs reguliert man über die Faktoren Anstellgut, Mehl-Wasser-Verhältnis, Wärme und Gärzeit.
Nicht nur Roggen
Weizenmehl kann nur mit Hefe verarbeitet werden, Roggenmehl nur mit Sauerteig – richtig? Falsch! Der Fachmann klärt auf: „Wenn man Roggenmehl nur mit Hefe und ohne Sauerteig backt können tennisballgroße Löcher entstehen, die Krume des Brotes ist dann abgebacken. Das liegt an der hohen Enzymaktivität im Roggenmehl, welche die Stärke in Zucker umwandelt. Allerdings ist es so, dass im Laufe der vergangenen zehn bis 15 Jahre der Roggen immer weniger Enzymaktivität aufweist. Die Verbraucherinnen und Verbraucher schätzen aber beim Roggenbrot die Säure des Sauerteigs und erwarten diese auch. Insofern ist die Säure des Sauerteigs beim Roggenbrot inzwischen in erster Linie wichtige Geschmackskomponente.“ Umgekehrt ist es so, dass man aus jedem Getreide einen Sauerteig herstellen kann, nicht nur als Weizen- oder Dinkelsauer, sondern auch aus Reis oder Mais. Das ist beispielsweise relevant im Zusammenhang mit glutenfreiem Brot. Und die Backwaren profitieren durch den intensiveren Geschmack aufgrund von mehr Abbauprodukten bei der Fermentation. „Ein positiver Effekt ist die verbesserte Haltbarkeit, im sauren Milieu siedeln sich Schimmelpilze beispielsweise schwerer an. Darüber hinaus ist ein Sauerteigbrot besser bekömmlich, da unverträgliche Bestandteile, wie die sogenannten FODMAPs, fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole, während des längeren Fermentationsprozess abgebaut werden.“ Warum wird Roggenbrot mit Sauerteig eigentlich nur bei uns in Nordeuropa gegessen? Thomas Muschelknautz überlegt: „Das liegt in erster Linie daran, dass Roggen hier bei uns am besten wächst, während südlich der Alpen Weizen populär ist. Im hebräischen und arabischen Raum gab es ursprünglich auch kein Wort für Roggen.“ Aber dass man sich nicht täuscht, auch in Italien kennt man beispielsweise lievito madre, Mutterteig. Das traditionelle Weihnachtsgebäck Panettone beispielsweise fermentiert unglaublich lange. Nicht erst seit der Coronakrise erlebt Sauerteig einen großen Boom. International findet man in hippen Cafés Gebäck wie Waffeln auf Sauerteig-Basis. „Sauerteig bietet dem Gebäck eben diesen intensiveren Geschmack, der sich vom konventionellen abhebt und zusätzliche Geschmacksdimension verleiht.“
Brioche mit Sauerteig
Auch in seiner Akademie in Weinheim wird in den Seminaren das traditionelle Brioche-Rezept der französischen Nachbarn mit Sauerteig verfeinert, das Thomas Muschelknautz hier zur Verfügung stellt:
Zutaten:
Weizensauerteig 110 g:
Weizenmehl 55 g
Wasser 55 g
Anstellgut 2,75 g
Teigtemperatur: 26 Grad
Reifezeit: 16 Stunden bei ca. 25 Grad
500 g Weizenmehl Type 550
55 g Zucker
5 g Salz
einen Würfel Hefe
4 Eier plus 2 Eier zum Einstreichen
50 g Butter (geschmolzen)
Zubereitung:
Alle Zutaten bis auf die Butter in eine Rührschüssel geben, dann sechs Minuten auf Stufe 1, danach fünf Minuten auf Stufe 2 kneten. Die Butter dabei zuletzt einlaufen lassen. Die Teigtemperatur sollte max. 24 Grad haben. Der Teig muss nach dem Kneten 15 Minuten ruhen. Danach in zwei gleich große Stücke (je ca. 550 g) teilen und formen. Anschließend nochmals 80 Minuten gehen lassen, dann mit dem verquirlten Ei bestreichen.
Backzeit:
Für die Brioche mit einem Teiggewicht von 550 g gilt: Bei 190 Grad (Ober-/Unterhitze) ca. 26 Minuten backen.
© Akademie Deutsches Bäckerhandwerk Weinheim
Artikel-Teaserbild (oben): innazagorulko – stock.adobe.com
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie reden von Brotkultur und geben dann ein Brioche-Rezept, in dem ein ganzer (!) Würfel Hefe verwendet wird? Seien Sie bitte nicht böse, aber das hat mit Brotkultur gar nichts zu tun. Es steht vielmehr stellvertretend für die schlimme Entwicklung, die in den letzten Jahrzehnten Eingang in das Backhandwerk gefunden hat. Alles muss schnell gehen – hoher Durchsatz ist inzwischen das primäre Ziel.
Versuchen Sie doch einfach mal die lange Teigführung über ~24 Stunden. Dafür brauchen Sie gerade mal ein halbes Gramm Hefe. Das Brot wird viel bekömmlicher und schlägt geschmacklich jedes Fließband-Brot um Klassen.
Gerade ein Lebensmittelmagazin sollte Wert auf traditionelle Backkunst legen.
Das sagt Ihnen ein Hobby-Bäcker, der schon lange genug hat von den Fließband-Produkten, die sich Brot oder Brötchen nennen, und dem ein Lutz Geißler die Augen geöffnet hat.
Herzlichen Dank für Ihren Kommentar. Schaut man sich übliche Rezepte aus Koch- und Back- Büchern an, so wird man feststellen, dass bei 500 g Mehl in der Regel entweder ein halber oder ein ganzer Würfel Hefe verwendet werden. Nimmt man einen ganzen Würfel Hefe, ist der Hefegeschmack intensiver und der Teig geht schneller auf. Nimmt man weniger Hefe, haben Sie natürlich vollkommen recht, dauert es länger. Wenn man die Zeit hat, dann kann man diese Variante des Briochebackens sehr gerne probieren. Sicherlich hat man dann auch ein entsprechendes Geschmackserlebnis. In der Regel haben die Menschen heutzutage aber nicht mehr diese Zeit beziehungsweise nehmen sie sich nicht. Deshalb ist unser Interviewpartner von einem üblichen Rezept ausgegangen.