Film trifft Wissenschaft als Inspiration einer nachhaltigen Zeitenwende. Lebensmittelmagazin.de schaute sich das Green Visions Festival aus dem Kinosessel an.
Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de
Vergangenes Wochenende stieg zum ersten Mal das Filmfestival Green Visions Potsdam im dortigen Filmmuseum, sowie im Thalia Kino und der Universität Potsdam, unter der Leitung vom Ex-Berlinale-Chef Dieter Kosslick. Von Donnerstag bis Sonntag wurden im Rahmen des Festivals 18 nationale, wie internationale Produktionen, TV-Serien, Spielfilme, Dokumentarfilme sowie Virtual-Reality-Formate präsentiert.
Kampf der Kulturen beim Green Visions Filmfestival
Inhaltlich drehte sich alles um zeitgeistige Fragen wie Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Landwirtschaft und Ernährung. Begleitet wurden die Filme mit einem anschließenden Gespräch mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Kultur, wie Professorin Dr. Maja Göbel, aber auch der Autor Frank Schätzing oder der Schauspieler und Umweltaktivist Hannes Jaenicke.
Den buchstäblichen Clash der Realitäten konnte man direkt vor dem Filmmuseum Potsdam erleben, eine Monster-Truck-Show oder wie Kosslick es nannte „900 PS Sinnlosigkeit”. Passenderweise demonstrierten eine durchaus beträchtliche Anzahl von Ökoaktivistinnen und -aktivisten vor Beginn des Filmfestivals gegen diese Alternativveranstaltung.
Trauerarbeit
Unter den Filmen beim Green Visions Festival war der aktuelle Dokumentarfilm „Send Kelp” des kanadischen Regisseurs Blake McWilliam. Im Rahmen des Films begleitete der Regisseur seine Frau Frances über zwei Jahre lang beim Versuch, an der Ostküste von Vancouver Island eine Algenfarm aufzubauen. Angesichts des Absterbens der Unterwasserfauna vor der Küste erfasste Frances sogenannte „Eco grief”, Ökotrauer. Insofern nachvollziehbar, denn im Film werden unter anderem verendende Seesterne gezeigt und gleichzeitig wohl damit einhergehend eine Seeigelpopulationsexplosion, die sämtliche Algenbestände ratzekahl frisst. Grund hierfür seien einerseits der Anstieg der Meerestemperatur und anderseits eine Versäuerung des Meerwassers.
Aus diesem Gefühl heraus entschließt sich die aus dem gebirgigen Alberta stammende Frances nach wissenschaftlicher Beratung Zuckertang anzubauen. Über große Teile des Films kann das Publikum mitverfolgen, wie die Kanadierin mit der Gesundheit und der Unbill der Arbeit unter und auf dem Wasser kämpft.
Der Film schafft es hervorragend, dass man mit Frances und ihren Wegbegleitern mitfiebert. Spannend ist beispielsweise der Moment, wenn sie auf Tauchgang gehen um Algenreste von regionalem Zuckertang zur Sporengewinnung zu sammeln, um kein fremdes Genmaterial einzuführen. Beim ersten Versuch entpuppten sich die Proben als grundverkehrtes „Sauerblatt”, das mit seinem Säuregehalt alles wegätzt. Die Proben nach dem folgenden Tauchgang waren bis kurz vor Filmende unbestimmbar. Der sogenannte „Mystery Kelp” wurde dennoch zur Sporengewinnung genommen und sie nahmen trotz fremder Gene sicherheitshalber noch Zuckertangsporen aus dem Meeresinstitut dazu.
Die Tücke des Objekts
Auch wenn die Konstruktion aus mit Zuckertang geimpften Tauen recht simpel schien, so war die Umsetzung dessen sowohl technisch mit Dieselboot, wie handwerklich insgesamt sehr aufwendig.
Natürlich konnten sich am Ende des Films alle über stattlichen Zuckertangertrag freuen und zwischen den einzelnen Makroalgenblättern findet Frances mit ihren Helferinnen und Helfern auch bereits Eigelege von Fischen. Auch die Mysteryalge stellt sich am Ende als Zuckertang in besonders außergewöhnlicher Ausprägung heraus.
Zwischendurch erfreut Blake McWilliam sein Publikum mit wunderschönen Unterwasseraufnahmen in Algenwäldern. Robben tummeln sich im Wasser und auf den Konstruktionen. Seevögel im Sonnenuntergang und vieles mehr zeigen den Zuschauenden, welchen Verlust der Fortschritt des Klimawandels mit sich brächte.
Und dann?
Bei aller Freude im Film über die erfolgreiche erste Algenzucht wider aller Entbehrung, dem Zeitdruck, den persönlichen Opfern bleibt trotzdem irgendwie ein schales Gefühl übrig. Im Film wird an einer Stelle gesagt, dass Braunalgen wie der Zuckertang vermutlich am ehesten als Dünger und Viehfutter sinnvolle Verwendung fänden. Bitte, soviel Aufwand für Viehfutter?
Dabei sind Zuckertang und Co. hervorragende Vitamin- und Mineralstoffquellen und gehören beispielsweise zum Sortiment des vom WWF und Knorr entwickelten Future 50 Food, also der Ernährungsempfehlung für die mittel- bis langfristige Zukunft. Aber wie bereits Kosslick vor Abspiel des Films bemerkte: „Beim Japaner oder als Spirulina-Pulver über dem Müsli, mögen Algen okay sein.“ Ansonsten hätten sie ein ähnliches Akzeptanzproblem wie Insekten. Der Regisseur bekannte ebenfalls im Anschlussgespräch, dass er nach dem Filmdreh genau so viel Algen essen würde wie vorher. Auch hängt die Farm nach wie vor im Experimentalstadium fest, in erster Linie aufgrund der bürokratischen Hürden mit Zulassungen, et cetera.
Vielfache Einsatzmöglichkeiten
Als Experte zu diesem Gespräch war der Mikrobiologe Dr. Stefan Sebök, Geschäftsführer des Algenprojekts in Potsdam, eingeladen. Seit fünf Jahren werden hier in Aquakulturen Makroalgen in Symbiose mit einer Fischzucht angebaut. In Bezug auf den Einsatz von Algen im Essen bleibt auch der Wissenschaftler ausgesprochen nüchtern: „Es kommt immer mal wieder zu Kollaborationen mit Startups, etwa Algen-Schokolade oder wir hatten auch schon mal einen, der Algenhonig herstellen wollte. Das ist aber alles sehr nischig und kurzlebig. Dabei sind Algen längst in unserem Essen oder beispielsweise auch in der Kosmetik. Man denke etwa an Knorpeltang, auch Karrageen genannt, dass man als Alternative zu Gelatine verwenden kann. Daraus könnte man beispielsweise Gummibärchen machen.” Auf Nachfrage, beziehungsweise Hinweis aus dem Publikum weist er auch auf das Potenzial als antibakterielles Hilfsmittel hin. Lachsfarmen etwa die bisweilen große Schwierigkeiten mit Fischläusen haben, reduzieren diese mit dem Anbau von Zuckertang innerhalb der Lachsgründe. Seit Corona gäbe es auch einen kanadischen Anbieter für antibakterielles Desinfektionsmittel auf Algenbasis.
Man verlässt den Kinosaal trotzdem mit einem zweifelnden Gefühl, inwieweit solche Maßnahmen erstens wirtschaftlich erfolgreich werden können und zweitens überhaupt einen nachweisbar positiven Einfluss für die Umwelt erbringen. Das alles so schön wird wie früher, ist eben nur der Schluss im Disney-Film, nicht unbedingt in der Realität eines Dokumentarfilms.
Mehr Mut zur Kreativität!
Draußen, außerhalb des Filmmuseums steht der „Markt für nachhaltiges Leben”. Oliver Baginski, Souschef in der Weinbar der Theaterklause in Potsdam sorgt hier an seinem Stand für das leibliche Wohl der Besuchenden und kann die trüben Gedanken nach dem Film doch ein wenig trösten. Viel mehr noch, mit dem Support und der Expertise von Algenexperte Sebök, zeigte er welche Richtung für Algen als Lebensmittel erfolgsversprechend sein könnte.
Sein Linsensalat mit Pfirsich und verschiedenen Algen sah nicht nur sehr appetitlich aus, sondern schmeckte auch hervorragend. Etwaiger Jod-Geschmack des Zucker- und Lappentangs war gut in das Gericht eingebunden und die Meerestrauben, kleine, hübsche hellgrüne Perlen machten mit ihrem saftigen Biss Spaß zu essen und den Mönchsbart, der auf küstennahen Salzwiesen wächst, wäre glatt als Schnittlauch durchgegangen. Mehr davon!
Artikel-Teaserbild (oben) aus dem Dokumentarfilm „Send Kelp!“ © Rise and Shine World Sales UG