Im Labor der Natur

Pflanzenstoffe, sogenannte Botanicals, in Nahrungsergänzungsmitteln können positive Effekte auf das allgemeine Wohlbefinden haben. Aber wie kommen von Artischocken bis Zitronenverbene die Pflanzen in die Kapseln? Lebensmittelmagazin.de besuchte den Pflanzenextrakt-Hersteller Finzelberg in Andernach am Rhein.

Ein kurzer Schrecken durchzuckt alle während der Werksbesichtigung der Firma Finzelberg, als das Geigerzähler-ähnliche Messgerät mit lautem Ton anschlägt. Umgehende Erleichterung nach der Erkenntnis: Die Sensoren haben die Aerosole des Handdesinfektionsmittels erfasst. Gut zu wissen, dass das Gerät zur Ermittlung explosiver Gase funktioniert. Das Risiko ist insofern gegeben, als dass unter Umständen Ethanol als Extraktionsmittel für die Pflanzenwirkstoffe eingesetzt wird. Dr. René Roth-Ehrang, Member of the Management Board Development and Quality, gibt aber nach einem Blick auf das Messgerät für den Rundgang und die Nutzung der mitgeführten elektronischen Geräte Entwarnung.

Kraut und Rüben

Es riecht in den Werkshallen wie in einer altmodischen Drogerie oder Apotheke. In riesigen Säcken, den sogenannten Big Bags, die bis zu 500 kg fassen (und für die 1700 Stellplätze bereitstehen), lagern die bereits getrockneten und geschnittenen Pflanzen wie Artischocken oder Johanniskraut bis zu ihrer Verarbeitung. 

Tatsächlich liegen auch die Ursprünge der Firma Finzelberg in der Apotheke, die Hermann Finzelberg Mitte des 19. Jahrhunderts betrieb. 1875 gründete er dann am heutigen Standort seine Firma zur Herstellung von Pflanzenextrakten. In den vergangenen fast 150 Jahren avancierte das Unternehmen zu einem weltweiten Player mit Standorten rund um den Globus.

„Big Bags“ im Lager der Firma Finzelberg, gefüllt mit getrockneten Pflanzen.
Foto: Juri – lebensmittelmagazin.de

Aber was versteht man eigentlich unter Botanicals? „Der Begriff Botanicals ist eigentlich gar nicht definiert, hat sich aber im Sprachgebrauch etabliert, wenn es um pflanzliche Zubereitungen geht, die zur Nahrungsergänzung verwendet werden. Botanicals gewinnen neben Vitaminen und Mineralstoffen zunehmend an Bedeutung”, erklärt Dr. Roth-Ehrang. Im Bereich der Lebensmittel kommen die Extrakte von Finzelberg vor allem in Nahrungsergänzungsmitteln vor. Auch wenn die wichtige Rolle von Pflanzen in der menschlichen Ernährung auf die Gesundheit grundsätzlich unstrittig sind, ist es hingegen regulatorisch bedingt in Deutschland und Europa derzeit schwierig bis unmöglich, positive Wirkungen von bestimmten Pflanzenextrakten gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu kommunizieren. Anders sieht die Situation oftmals außerhalb Europas aus, wo derartige Aussagen vielfach für Pflanzenwirkstoffe gemacht werden können. Denn es gibt zu vielen Botanicals inzwischen Studien an gesunden Probanden, die deren Nutzen belegen. „Finzelberg hat zum Beispiel gerade für einen Extrakt aus dem Quendelkraut die positive Wirkung auf die Darmgesundheit belegt. Die antientzündliche Wirkung war zwar bekannt, nicht aber die positive Wirkung auf das Darmmikrobiom, das durch den Extrakt positiv beeinflusst wird. Insofern stellt der Extrakt ein neues Präbiotikum dar. „Zu unserem Extrakt aus dem griechischen Bergtee haben wir eine Studie zur Steigerung der Konzentrations- und geistigen Leistungsfähigkeit erfolgreich durchgeführt. Es konnte in der Studie auch gezeigt werden, dass die Durchblutung des Gehirns und die Versorgung mit Sauerstoff gesteigert werden, auch das war vorher nicht bekannt. So gibt es mittlerweile zahlreiche Belege für einen Nutzen von Botanicals”, führt Dr. Roth-Ehrang aus.

Aus aller Welt

Finzelberg bezieht sein pflanzliches Rohmaterial vom Schwesterunternehmen MartinBauer. Das ermöglicht dem Unternehmen vor allem Einfluss auf die Qualität zu nehmen bei voller Transparenz der Lieferkette. Nachhaltiges Wirtschaften bedeutet für das Unternehmen, wie auch den Schwesterfirmen unter der Dachmarke „the nature network”, die langfristigen Beziehungen zu Lieferanten und Anbaubetrieben. Das gewährleistet für das Unternehmen die Qualität der Rohstoffe, ein entscheidender Faktor für die Qualität der Extrakte. 

Luftbild vom Hamburger Hafen.
Foto: diegograndi

Das fängt schon bei der Auswahl des Saatgutes an. Anbau, Erntezeitpunkt und die Weiterverarbeitung des Pflanzenmaterials sind Voraussetzung für die Qualität der daraus gewonnenen Extrakte. Entlang der gesamten Lieferkette und in der Herstellung erfolgen zahlreiche chemische Analysen, die sehr wichtig sind, um die Qualität zu beschreiben. Wichtig ist, dass es für Rohstoff, Zwischenprodukte und das Endprodukt Spezifikationen gibt, z. B. welche Pflanzenteile verwendet werden, Informationen zum Lösungsmittel, Zusammensetzung des Extrakts, analytische Parameter etc., die die Qualitätskriterien definieren.

Große Kessel in der Produktionshalle der Firma Finzelberg.
Foto: Juri – lebensmittelmagazin.de

Viele der von Finzelberg verarbeiteten Pflanzen kommen traditionell aus Europa. Einige Pflanzen wie beispielsweise der Ginseng kommen aber aus den Ländern, in denen sie traditionell verwendet werden. Pflanzen, die Grundlage eines Botanicals sind, müssen als Lebensmittel geeignet sein. Das bedeutet auch, dass im Zweifelsfall hier die sogenannte Novel Food-Verordnung greift für Lebensmittel, die als neuartig gelten, weil sie vor dem 15. Mai 1997 noch nicht in nennenswerten Mengen gegessen wurden. Darüber hinaus muss man auch genau hinschauen, inwieweit Pflanzen als Arzneipflanzen unter die Arzneimittelverordnung fallen oder wann ein Extrakt eine pharmakologische Wirkung aufweist. Denn Finzelberg verarbeitet mehr als 80 verschiedene Pflanzen. Nicht alle sind für die Verwendung als Nahrungsergänzungsmittel bestimmt. Wobei dies, ähnlich wie bei den Wirkaussagen außerhalb Europas, in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich reguliert ist.

Für Botanicals gilt außerdem wie für alle Lebensmittel auf dem europäischen Markt die Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit, dazu gehört auch, dass die strengen Anforderungen zum Beispiel an Pflanzenschutzmittel, Schwermetalle aber auch andere Kontaminanten eingehalten werden. Ein bekanntes Problem, dass vor einigen Jahren zu Kräutertee Rückrufen führte, sind Rückstände von Pyrrolizidinalkaloiden. Das sind beispielsweise Inhaltsstoffe des Jakobskreuzkrautes, die leberschädigend sein können und somit möglichst nicht verzehrt werden sollen. Hier sind heutzutage umfassende Maßnahmen für die Produktqualität und – sicherheit etabliert worden. So ergreifen einerseits die Anbauer Maßnahmen, um den unerwünschten Kräutern Herr zu werden, und von Herstellerseite wird zusätzlich durch engmaschige Laboranalysen sichergestellt, dass nicht doch Material verarbeitet wird, das durch Beikräuter verunreinigt ist.

Wie Kaffeekochen

In einer großen Halle stehen gewaltige Kessel, sogenannte Perkolatoren, in denen mittels Wasser und Hitze die Pflanzenextrakte aus dem Rohmaterial gewonnen werden. Perkolatoren kennt man sonst im kleinen Maßstab von Kaffeemaschinen, bei denen das heiße Wasser durch den Kaffeefilter fließt. „Prinzipiell muss man sich das Extraktionsverfahren ähnlich vorstellen wie Kaffee kochen”, erklärt Dr. Roth-Ehrang.

Dabei sind die Möglichkeiten der Extraktionsverfahren bei Finzelberg mannigfaltig. Ein anderes klassisches Auszugsverfahren wäre beispielsweise die Mazeration. Dabei werden, ähnlich dem Zubereiten von Tee, die Pflanzenteile im Extraktionsmittel wie Wasser, Öl oder Ethanol, überschichtet und „ziehen“ gelassen. „Wichtig dabei ist es, auf die Bedürfnisse und Wünsche des Kunden einzugehen, um letzten Endes ein Produkt zu erhalten, das deren Ansprüchen entspricht”, gibt der Experte zu bedenken. Nicht nur Extraktion, sondern auch die Verdampfung und Trocknung werden auf unterschiedliche Art und Weise dem jeweiligen Produkt angemessen durchgeführt. Je nach Bedarf kommt das Botanical in Pulverform unterschiedlicher Feinheit bis hin zum Granulat, aber auch in halbfester oder öliger Form dabei heraus. Aber unabhängig von Herstellungsprozess und Kundenwunsch: Qualität und Sicherheit stehen immer an erster Stelle! 

Aus der Natur, für die Natur

Wie man sich vorstellen kann, ist die Produktion von Pflanzenextrakten dabei sehr energieintensiv. The nature network hat sich zum Ziel gesetzt, spätestens ab 2030 keinen CO2e-Fußabdruck mehr zu hinterlassen. Finzelberg, als erstes Unternehmen in der Gruppe, plant bereits im kommenden Jahr mit seinem „Go Zero Programm“ die Klimaneutralität zu erreichen, und ist bereits seit vergangenem Jahr mit dem Europäischen Umweltsiegel EMAS ausgezeichnet. Die umgesetzten Maßnahmen reichen vom Ersatz alter Anlagen, über Dämmung, Isolierung, Wärmerückgewinnung und Abluftreinigung bis hin zum Einsatz energieeffizienter Technik. Seit 2020 bezieht Finzelberg zu 100 Prozent Ökostrom und erzeugte 2023 schon 30 Prozent seines Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen selbst. Sehr beeindruckend ist jetzt schon die Baustelle zum geplanten Biomasse-Heizkraftwerk, das ab 2025 circa 80 Prozent der Wärmeenergie zur Extraktproduktion und der Gebäudeheizung liefert. Befeuert wird es mit Hackschnitzeln, die aus Bruchholz oder Waldpflegeholz aus der Eifel, dem Hunsrück und dem Westerwald stammen. Dazu meint Dr. Roth-Ehrang: „Der schonende Umgang mit Ressourcen ist für die gesamte Unternehmensgruppe ein Herzensthema, schließlich verarbeiten wir das, was die Natur uns gibt. Wir wissen um die Begrenztheit unserer pflanzlichen Rohstoffe und kennen die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels. Beginnend bei unserer täglichen Arbeit achten wir darauf, unsere Umweltleistung durch Haltung, Bewusstsein und Innovation ständig zu verbessern.”

Abgesehen vom Klimawandel sieht der Botanicals-Experte noch eine andere Herausforderung für die Branche: Das regulatorische Umfeld in Europa ist bis heute mit Blick auf die Verwendung von Botanicals in Lebensmitteln noch nicht vollständig harmonisiert. „Außerdem ist es kaum möglich, auch bei guten Studien am gesunden Probanden die Zulassung für die Erlaubnis gesundheitsbezogener Aussagen zu erhalten. Das ist schade und hemmt die Entwicklung in Europa“, zumal es unstrittig ist, dass gerade die vielfältigen sekundären Pflanzeninhaltsstoffe einen wichtigen Beitrag zur Gesunderhaltung leisten. Insofern ist es zu wünschen, dass Pflanzenzubereitungen zunehmend Gegenstand der Forschung sind und einen festen Platz in der Ergänzung der täglichen Ernährung finden.

Artikel-Teaserbild (oben): photopopova

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert