Zum Jahresbeginn herrscht oft der Wunsch, sich körperlich zu optimieren. Ayurvedische Küche soll dabei helfen, sowohl generelles Unwohlsein als auch kleine Zipperlein zu beheben. Lebensmittelmagazin.de hat ein ayurvedisches Restaurant besucht.
Um Ayurveda zu erleben muss man nicht zwingend ins Retreat nach Indien reisen, man kann beispielsweise in Berlin-Charlottenburg im ayurvedischen Restaurant Satyam nicht nur essen gehen, sondern auch die Lehre im dortigen Kochkurs erlernen.
Drei Typen
Ruth Kuhn ist hier Geschäftsführerin. Durch ihren indischen Mann hatte sie bereits vor vielen Jahren die Möglichkeit, Indien und seine reichhaltige Kultur erleben zu können. Auch heute fliegt sie noch ein bis zweimal im Jahr zum Subkontinent. Auf dem Tisch stehen zwei Tassen Chai, Gewürztee mit Milch und Honig. Der Duft von Zimt, Kardamom und anderen Gewürzen steigt in die Nase und sorgt für ein wohliges Gefühl. Kuhn erläutert: „Ayurveda bedeutet die Lehre vom langen und gesunden Leben. Sie dient dazu, die individuellen Imbalancen auszugleichen. Neben Massagen und vielem mehr besteht die Lehre dabei zur Hälfte aus Regeln und Prinzipien zur gesunden Ernährung. Grundlage hierfür ist die Einteilung in drei unterschiedliche Typen, basierend auf Körper und Temperament, ähnlich der hippokratischen Temperamentenlehre. Diese sogenannten Doshas sind das luftige Vata, das feurige Pitta und das erdige Kapha.“
Essen als Medizin
Die Expertin erklärt weiter: „In Indien werden Speisen und Gewürze gleich auch als Medikament verstanden, sodass es für die jeweiligen Doshas individuelle Ernährungsempfehlungen gibt, um bestimmte Ungleichgewichte wieder auszubalancieren. Das kennen wir hier aus der traditionellen deutschen Küche auch, man denke beispielsweise an Hühnersuppe gegen Erkältung.” Auch die Gewürze werden als Medikamente im Essen eingesetzt, so helfe beispielsweise Ingwer bei Erkältung und Kurkuma wird zur Desinfektion eingesetzt. Dieser könne auch bei kleinen Verletzungen als Wundauflage hilfreich sein. Gleichzeitig soll die ayurvedische Küche alle Sinne ansprechen, also nicht nur bekömmlich sein, sondern auch schön aussehen und gut schmecken. „Dabei wird in der ayurvedischen Küche Wert darauf gelegt, dass die Gerichte mit allen Geschmacksrichtungen, also süß, salzig, Umami, sauer, bitter sowie scharf, harmonisch und ausgeglichen abgeschmeckt werden, eher mild.”
Ayurveda ≠ Indisch
Steht die indische Küche im Allgemeinen nicht eher für scharfes Essen? Man denke an ein ordentlich brennendes Vindaloo. Nach kurzer Recherche kommt allerdings heraus, dass ausgerechnet dieses scharfe Gericht portugiesische Kolonialwurzeln hat. „Viele Gerichte der populären indischen Küche stammen aus der muslimisch geprägten Mogulzeit und haben daher einen persischen Einfluss. Die ayurvedische Küche ist stattdessen hinduistisch geprägt und geht zurück auf den indoeuropäischen Kontext”, erklärt die Restaurantchefin.
Im Himalaya entwickelten vor über 5.000 Jahren weise Männer, sogenannte Rishis, durch Naturbeobachtungen und Grundlagenforschungen unter anderem eine Pflanzenkunde, die unmittelbaren Einfluss auf die Heilkunde und damit einhergehend auf die Küche nahm. Das Ziel war, ein kontinuierliches Gleichgewicht zu schaffen, d. h. nicht die Krankheit zu behandeln, sondern die Gesundheit dauerhaft zu erhalten. Die Ayurveda-Lehre war über mehrere Jahrtausende hinweg vergessen, bis sie 900 nach Christus von einem Priester wiederentdeckt wurde.
Dabei ist die ayurvedische Küche wider Erwarten keineswegs streng vegetarisch, wobei übermäßiger Fleischverzehr vermieden werden sollte. „Im Übrigen ist Rindfleisch in Indien auch nicht verboten, es ist nur verpönt, weil die Kuh im Hinduismus für das Mütterliche steht. Ich kenne jetzt auch keinen Inder oder hiesige Nachkommen von Indern, die Rindfleisch essen würden, aber im südindischen Kerala, wo viele Christen leben, wird auch Rind- und Schweinefleisch verzehrt.” Sie muss lachen: „In Indien gibt es so viele Gegensätze. In der Nähe von Kalkutta gab es eine Sekte, die sich unter anderem von Menschenfleisch ernährt haben soll, dass sie sich auf den Friedhöfen holten. Ich gehe stark davon aus, dass das heute nicht mehr praktiziert wird.”
Alles für die spirituelle Entwicklung
Da der Begriff Ayurveda hier nicht geschützt ist, findet man Ruth Kuhns Meinung nach auch viel Unstimmiges unter diesem Label: „Wenn in Rezepten beispielsweise viel Zwiebeln und Knoblauch vorkommen, die in der Ayurveda-Lehre sehr erden und üble Gerüche erzeugen, dann ist das nicht im Sinne der Balance. Auch wenn das Essen sehr scharf ist, reizt es zu sehr die Sinne, was die spirituelle Entwicklung beeinträchtigt, die ja bei allem angestrebt wird.” Grundsätzlich soll man in der ayurvedischen Küche Maß halten. Alkohol beispielsweise gilt als Gift, das vermieden werden soll. „Kleine Sünden kennt aber auch die Ayurveda Küche die dann allerdings wieder darauf bedacht ist, diese dann auszugleichen. Süße Desserts werden dabei allerdings zumeist vorab zur Einstimmung gereicht”, erklärt sie.
Die Ayurveda-Küche ist laut der Restaurantbesitzerin hervorragend mit hiesigen Produkten umsetzbar, da europäische Gemüse wie Möhren, Kohlrabi, Aubergine ihr Pendant beim indischen Gemüse finden. Tofu als vegetarischen Fleischersatz hingegen hat keinen Platz in der traditionellen Ayurveda-Küche. Stattdessen dienen Hülsenfrüchte wie beispielsweise Linsen oder Uridbohnen als pflanzliche Proteinquelle. Auch gegen Kuhmilch und dessen Produkte ist aus Sicht der Ayurveda-Küche nichts einzuwenden. Paneer, indischer Käse, besteht aus aufgekochter Milch, die anschließend mit Molke oder Zitronensaft geimpft wird, dann ausflockt und zu guter Letzt abgeseiht wird. Fermentation von Käse, wie beim Camembert beispielsweise, spielt beim Ayurveda hingegen keine Rolle, auch nicht im Fall von Gemüse, etwa als Sauerkraut oder Kimchi, weil Frische zentraler Aspekt der Ayurveda-Küche ist. Dasselbe gilt etwa bei den Hülsenfrüchten: Vorgekochte Bohnen aus der Dose sind tabu! Dafür empfiehlt die Ayurveda-Expertin einen Schnellkochtopf zur Zeitersparnis. „Außerdem können Sie Hülsenfrüchte ruhig auf Verdacht einweichen, diese halten sich dann im Kühlschrank bis zu drei Tagen, falls Sie es sich doch vor dem Kochen anders überlegt haben.” Ihrer Meinung nach hält sich das Vorurteil der aufwendigen Ayurveda Küche nicht: „In 20 Minuten können Sie durchaus schon leckere Ayurveda-Gerichte zaubern.”
Versteckter Tempel
Erfreulicherweise kann man im Charlottenburger Restaurant Satyam nicht nur diese ganzen Köstlichkeiten genießen, sondern sie bieten alle zwei Wochen einen Ayurveda-Kurs mit maximal vier Personen an. Zunächst als Zuschauerinnen und Zuschauer haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, nachdem sie für sich herausgefunden haben, welchen Typen sie entsprechen, den Ayurveda-Koch mit Fragen zu löchern. Dieser hat nicht nur eine Ausbildung zum Ayurveda Arzt in Indien abgeschlossen, sondern studiert obendrein Medizin an der Berliner Charité.
Im Innenhof hinter dem Restaurant findet man nicht direkt einsehbar einen Hindu-Tempel, bunt angemalt, mit Shiva-Statue und üppig mit Blüten dekoriert. Ein kleiner Leuchter brennt mit Senföl. Ruth Kuhns Mann, ein gläubiger Hindu ließ ihn von südindischen Baumeister direkt in Westberlin erbauen. An hinduistischen Feiertagen wie Durga Puja, der Ende September zu Ehren der Göttin Durga gefeiert wird, finden dann im Hinterhof zusammen mit Freunden und Bekannten Feuerzeremonien statt.
Wer bei den ganzen Köstlichkeiten und Eindrücken Fernweh bekommt – kein Problem, Ruth Kuhn besitzt auch ein Reisebüro, spezialisiert auf Indien und insbesondere Ayurveda-Retreats. Ansonsten kann man sich mit folgendem Rezept von Ruth Kuhn einen ersten kulinarischen Eindruck verschaffen, der für alle drei Doshas geeignet ist:
Tridosha-Gericht für 4 Personen
Ayurvedisches Kokos-Gemüse mit Basmatireis
- 1 Zucchini
- 2 mittelgroße Möhren
- 1 rote Paprika
- 1/2 kleiner Blumenkohl
- 500 ml Kokosmilch
- 200 ml Wasser
- 1/2 TL Koriander gemahlen
- 1/2 TL Kurkuma
- 1/2 TL Kumin gemahlen
- 1 1/2 TL schwarze Senfkörner
- 2 TL geriebenen frischen Ingwer
- 2 Stängel frischen Koriander
- 6 frische oder getrocknete Curryblätter
- 1 Messerspitze Cayennepfeffer
- 1 EL Ghee
- 1/2 TL Ursalz
Gemüse in zwei Zentimeter große Stücke, Blumenkohl in Röschen schneiden, in Wasser mit dem Salz dünsten, zur Seite stellen. Die Gewürze mit den Curryblättern im Ghee kurz anbraten, bis die Senfkörner anfangen zu springen, Feuer reduzieren, das gedünstete Gemüse zugeben, kurz in den Gewürzen wenden und die Kokosmilch angießen, mit dem Gemüse-Wasser auffüllen und durchziehen lassen. Mit Basmatireis servieren.
Artikel-Teaserbild (oben): Restaurant Satyam