Beim letzten Tee-Interview schwärmte der „Paper & Tea“-Sommelier von der deutschen Teeplantage Tschanara im Bergischen Land. Das klang so spannend, dass sich Lebensmittelmagazin.de auf den Weg machte und auf mehr als ein Tässchen vorbeischaute.
Die letzten Nieselschwaden haben sich verzogen, doch die Luft ist kühl und klamm im Bergischen Land. Wie warm und willkommend ist das prasselnde Feuer in der Ecke des Zeltes auf der Teeplantage Tschanara-Teeland von Wolfgang Bucher und seiner Frau Haeng ok Kim. Tschanara ist Mitglied der Association „Tea Grown in Europe” (EuT), denn inzwischen wird Tee an immer mehr Orten in Europa, wie Schottland, Georgien, den Azoren und Italien angebaut. Der Teebauer gießt grünen Tee in traditioneller Keramik auf und Schluck für Schluck fällt der Stress des Alltags ab. Nachdem der Tee von innen wärmt, offenbart er mit jedem Aufguss seinen delikaten Geschmack. Das Ehepaar diskutiert über die Wassertemperatur des Tees. Bei den professionellen Teeverkostungen würde generell bei allen Tees zur Vergleichbarkeit 100 Grad heißes Wasser genommen. „Es werden zwar mehr unerwünschte Bitterstoffe herausgelöst, aber Expertinnen und Experten können trotzdem die Qualität so beurteilen“, sagt Wolfgang Bucher.
Erinnerungen des Teebauern
Wolfgang Bucher erzählt: „Mein Interesse für Tee begann während der Lehre zum Biologielaborant 1976. In der Berufsschule lag der Paul-Schrader-Katalog eines Tee-Versandhandels herum und weckte meine Neugier mit 16 Jahren. Ein Teegeschirr aus dieser Zeit, das ich aus diesem Katalog bestellt habe, besitze ich immer noch. Als Biologe hatte ich ein ausgeprägtes Interesse für die Teepflanze Camellia sinensis. Durch meine Arbeit bei Bayer Crop Science hatte ich den Zugang zur Kekulé-Bibliothek, denn das Internet mit Google gab es ja noch nicht. Dadurch nahm ich Kontakt auf zu botanischen Gärten unter anderem in Japan und China. Die ersten Samen von Teesträuchern kamen aus dem Himalaya. Bei Teesamen muss man drauf achten, dass sie feucht gehalten werden und nicht austrocknen.“ Mit dem Interesse an Tee wuchs auch das Interesse an den Kulturen dieser Länder. Erste Einblicke gab es so beispielsweise in der Düsseldorfer Immermannstraße mit seinen vielen asiatischen Geschäften. Er erinnert sich: „1990 sah ich den Film ‚Warum Bodhi-dharma in den Orient ging‘, der im Übrigen das Leben in Korea ziemlich authentisch wiedergibt. 1994 ergriff ich endlich die Gelegenheit, mit meinem Fahrrad in Leverkusen in den Zug nach Köln zu steigen, um von dort aus nach Frankfurt am Main zu fahren. Dort stieg ich in den Flieger nach Seoul, wo ich die ersten paar Tage verbrachte. Anlaufstelle war für mich das International Zen Center. Von dort aus bin ich mit dem Fahrrad, Zelt und Kartenmaterial eines Reiseführers durch Korea gefahren.“ Wolfgang Bucher gerät ins Schwärmen: „Die dortige Natur hat mich beeindruckt – goldgelbe Reisfelder zur Erntezeit, wild blühende Cosmeen und roter Berg-Ahorn. Abends habe ich beispielsweise am See gezeltet, Sicherheitsbedenken gab es überhaupt keine. Mein Ziel war der Beobjusa-Tempel mit seinem riesigen Tempel im Sogni-san Nationalpark. Dort überredete mich ein Händler, einen kleinen alten Tempel ein kleines Stück entfernt anzuschauen. Meine jetzige Frau befand sich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls dort. Zusammen mit einem Mönch und einem Kalligraphiekünstler machten wir von dort aus Ausflüge in die Umgebung. Viele der Teeplantagen dort gehören zu Tempeln. Das Fahrrad dieser Reise steht übrigens dort hinten in der Ecke.“ 1995 flog Wolfgang Bucher wieder dorthin und hatte bis dahin den Kontakt zu seiner zukünftigen Frau aufrecht gehalten, die er 1997 in Korea heiratete, bevor beide nach Deutschland zurückkamen. Und die Teeplantage? „Nebenbei zu meiner Arbeit bei Bayer arbeitete ich schon seit 1990 hier in der Bonsaischule Schneider, bis wir das Gelände der Baumschule 2013 kauften. Das gesamte Areal umfasst insgesamt 5.000 Quadratmeter, 1.000 davon bewirtschaftet die Bonsaischule Schneider, auf den übrigen 4.000 wachsen unsere Teesträucher. Der Boden hier hat einen pH-Wert von 4,5 bis 5,9. Für Tee ideal ist ein pH-Wert unterhalb von 6. Der Startschuss des Teeanbaus war 1999, als wir linksunten am Hang ein paar Camellia sinensis pflanzen durften. Dieser Versuch erwies sich als erfolgreich“, erklärt Wolfgang Bucher.
Aus aller Herren Länder
Die Teeplantage betreibt das Paar mehr als Hobby, aus persönlicher Liebhaberei. „Damit blieben wir immer unter dem Radar der allgemeinen Aufmerksamkeit“. Das hat sich aber inzwischen geändert und der Fokus liegt auf der Teeplantage im Bergischen Land, Anfragen gibt es mehr als genug. Wer aber auf der Internetseite den Online-Shop sucht, wird enttäuscht, bislang gibt es den Tee von Tschanara nicht käuflich zu erwerben. „Wir tauschen uns aber mit Teebauern aus der ganzen Welt aus, verschicken Proben unserer Badges für Feedback und züchten Teesträucher von Sämlingen aus den Samen unterschiedlicher Varietäten, die wir wiederum aus aller Welt erhielten.“ Er käme bei der Herkunft seiner Sträucher auf 13 bis 15 Länder. Viele seiner Sträucher entstammen solcher Sämlinge. „Vom Sämling bis zur ersten Ernte dauert es fünf Jahre“, gibt Bucher zu bedenken. Die alternative Vervielfältigungsmethode erfolgt über die Anzucht von Stecklingen. Aus den Ästen einer Mutterpflanze zieht man eine Vielzahl identischer Büsche heran. „Dies ist eine in Japan gängige Methode, um Reihen mit identischen Pflanzen zu schaffen, ideal für die maschinelle Ernte“, erläutert der Teebauer. Allerdings sind nicht alle Pflanzen Camellia sinensis: „Per Zufall wurden im Urwald von britischen Forschern in der Kolonialzeit Camellia assamica, wildwachsende Assam-Tees entdeckt, die kurzerhand ebenfalls zu Teepflanzen erklärt wurden, eher baumartig, und wurden als robuste Zuchtpflanzen in den britischen Kolonien angebaut.“ Man sollte sich allerdings nicht täuschen lassen, wildwachsende Assam-Tees, wie der von Siamtee gehören zu den exquisitesten Teesorten. In Folientunneln zieht er Teesträucher aus Samen solcher besonders empfindlichen Varietäten heran. Allerdings gibt Wolfgang Bucher auch zu bedenken: „Wichtiger als die Teepflanzen ist prägend für den Geschmack des Tees das Terroir.“
Versuch macht klug
Beim Blick über den idyllischen Hang herab fallen bei aller Ebenmäßigkeit der Reihen tatsächlich individuelle Eigenheiten, wie Blatt, Form und Farbe auf. Alle Reihen sind nummeriert, mit Schildern ihrer Unterart und Herkunft gekennzeichnet. Wolfgang Bucher freut sich, dieses Jahr hatten sie das erste Mal keine Schwierigkeiten mit Spätfrost, was ihnen eine frische erste Ernte ermöglichte. Für die Ernte und Verarbeitung ist Haeng ok Kim verantwortlich, die von Hand jede Teesträucherreihe einzeln aberntet, „two leaves and the bud“, die ersten beiden Blätter sowie die Blattknospe, wie Wolfgang Bucher erklärt. Direkt auf dem Feld verarbeitet sie den Tee, wie beispielsweise beim grünen Tee, den sie im 300 Grad heißen Wok schonend röstet. Bisweilen wird die Ernte sogar auf einen einzelnen Busch beschränkt. Die einzelnen Pflanzen werden beobachtet, verglichen und herumprobiert.
Beim köstlichen Mittagessen, einem Salat aus Gemüsen, die ebenfalls hier wachsen, mit selbstgemachtem Rosenblüten-Essig kommt die Frage auf, woher ihre Expertise stamme, immerhin hat sie in Korea als Krankenschwester gearbeitet. Gehört das Wissen zum Teeanbau zum allgemeinen Volkswissen, wie hierzulande vielleicht Erdbeerpflanzen oder Tomaten? Die Koreanerin schmunzelt: „Als Mitte Zwanzigjährige hatte ich die Gelegenheit während des Aufenthalts bei einem Tempel den Anbau und die Verarbeitung von Tee kennenzulernen, quasi im Praktikum.“ Dieses Wissen hatte sie lange vergessen, bis sie hier wieder damit konfrontiert wurde. Grüntee, den sie aus Korea kannte, war das eine, irgendwann kam ihr Mann aber mit der Anfrage, ob sie nicht auch schwarzen Tee herstellen könne. Inzwischen findet man neben grünem Tee, schwarzen, weißen und Oolong eben auch jenen legendären, geheimnisumwitterten gelben Tee. Aber auch sie hüllt sich auf Nachfrage der Herstellung in verschmitztes Schweigen. Gerne würde das Paar die Verarbeitung professionalisieren, wie beispielsweise mit der Anschaffung einer Blattrollmaschine. Das Problem: Das Gelände der ehemaligen Baumschule liegt im Landschaftsschutzgebiet. Bislang darf hier nicht gebaut werden.
Geschmackliche Vielfalt
Zurück im Zelt stellt Wolfgang Bucher Schalen, Porzellanlöffel und besondere Tassen mit gezahnter Stelle in der Kante auf den Tisch in Reihe und Glied auf, als Vorbereitung zum Cupping, der Teeverkostung. Sortiert nach Intensität des Geschmacks werden insgesamt zehn Tees, je zwei Mal weiß, gelb, grün, Oolong, sowie schwarz, in einer Waagschale gegen ein Centstück, exakt 2,1 Gramm, gewogen. Nacheinander werden sie mit 80 Grad heißem Wasser aufgegossen und nach kurzer Zeit in die Schalen abgegossen. Jeder gießt mit eigenem Porzellanlöffel ein paar Schlucke in seine Trinkschale. Zwischendurch werden Porzellanlöffel und Trinkschale im Wasserschälchen gereinigt, die Verkostung kann beginnen! Der Erste ist ein Highland Select White, feinste, kaum behandelte Blattknospen von koreanischen Teesträuchern aus Gimhae. Gemeinsam wird über den Geschmack diskutiert. Dieser hat eine angenehme Säure und schmeckt nach Mandeln. Im Vergleich dazu hat der weiße Tee mit japanischer Provenienz aus Sayamakaori einen süßlichen Geschmack mit schwacher mineralischer Note. Den weißen Tees folgen die gelben, die Spannung darauf ist groß, ein exklusiver Tee der geheimnisvollen Verarbeitung wegen. Wolfgang Bucher zeigt die gelblich verfärbten Teeblätter: „Soviel sei gesagt, nach dem Rösten werden die Teeblätter für einen enzymatischen Prozess auf bestimmte Weise eingepackt.“ Der erste stammt aus Korea mit kräftigem, blumigen Geschmack, der an Tagetes erinnert. Der andere gelbe Tee wiederum hat einen dezenten fruchtigen Geschmack nach Papaya. Es muss nicht erwähnt werden, wie viel Spaß das gemeinsame schmecken und definieren macht. Mitunter sind die Beschreibungen auch herausfordernd, wie bei einem Grüntee mit angenehmen maritimen Geschmacksnoten nach Algen. Eine Besonderheit ist der Frosttee „Servatius“, ein Oolong, den Haeng ok Kim aus geretteten Blattknospen nach Frosteinfall am dritten Tag der Eisheiligen (13. Mai 2020) machte. Ein toller, intensiver Rosengeschmack. „Keine Ahnung was, aber irgendetwas hat der Frost mit den Teeblättern gemacht“, bemerkt Wolfgang Bucher.
Haupt-Artikelbild (oben): Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de