„Bäh!“ – nicht nur kleine Kinder mäkeln oft am Essen herum, sondern auch viele Erwachsene pflegen lebhafte Abneigungen gegen Lebensmittel. Das Disgusting Food Museum Berlin präsentiert kulinarische Grenzen und lädt dazu ein, diese zu überwinden. Lebensmittelmagazin.de macht den Test.
In Berlin-Mitte, in den Räumlichkeiten des ehemaligen Currywurst-Museums, stellt das Disgusting Food Museum Berlin aus. „Ekel is coming home“, schmunzelt der Direktor, Dr. Martin A. Völker. Träger ist die Humanistische Vereinigung aus Nürnberg. Das Museum selbst ist ein Ableger des schwedischen Mutterhauses in Malmö. Sinnigerweise erhält man als Eintrittsticket eine Kotztüte. „Natürlich muss man sie in erster Linie symbolisch verstehen. Auf der anderen Seite ist die Triggerwarnung auf unserer Webseite durchaus ernst zu nehmen. Normalerweise ist es nicht so, dass ein bestimmtes Produkt die Besucher:innen zum Speien bringt. Es kann aber durchaus sein, dass die Akkumulation individuell überfordert. Es ist nicht Aufgabe des Ekel-Museums, mit ekelhaften, beispielsweise verdorbenen Speisen, die Besucher zu erschrecken, sondern internationale genießbare und verzehrfähige Lebensmittel darzustellen, die jenseits des Korridors unserer Essensgewohnheiten liegen.“
Pangolin vs. Fledermaus
Oftmals würde die Tüte beispielsweise an der Tasting Bar eingesetzt, weil Besucher:innen möglicherweise eine Probe nicht im Mund behalten möchten. Völker erläutert dazu: „Gerade hier bietet sich die Möglichkeit, sich zu überwinden, um beispielsweise Insekten zu probieren und damit dann im Idealfall ein neues, positives geschmackliches Erlebnis verbinden zu können“. Während des Umbaus der Museumsräume begann die Corona-Pandemie. Diesem Schicksal zollt das Museum Tribut mit einem Exponat, das die Zoonosen-Theorie aufgreift – die Übertragung des Corona-Erregers vom Tier auf den Menschen. Zunächst sieht man einen Pangolin-Eintopf, inklusive enthäutetem Pangolin am Stück. Der Verzehr dieses in Afrika und Asien verbreiteten, aber unter Artenschutz stehenden Schuppentieres, ist illegal. Trotzdem werden wohl jährlich ungefähr hunderttausend Tiere verspeist. Aus diesem Grund ist der Pangolin lediglich eine Nachbildung des Berliner Künstlers Christoph Dettmeier – im Gegensatz zu manch anderem Exponat. Ein Großteil der ausgestellten Lebensmittel sind nämlich authentisch und werden durch Pökelung und Kühlung frisch gehalten. Gleichzeitig vertritt das Disgusting Food Museum den Ethos, kein Tier extra für die Ausstellung zu töten. Hierfür hat Dettmeier realistische Nachbildungen geschaffen. Eines der echten Stücke ist die tote Fledermaus, die neben dem Pangolin liegt. Sie ist Grundlage einer populären chinesischen Suppe namens Fruit Bat Soup. Sowohl Pangolin als auch die Fledermaus stehen im Verdacht, Corona übertragen zu haben. Wohl mehr aus Scherz steht zwischen beiden Gerichten eine Flasche von Mampes bitteren Tropfen. Diese wurden seinerzeit als Heilmittel gegen Cholera erfunden, allerdings schon zu Entstehungszeiten von vielen aufgrund der Bitternis abgelehnt.
Hinter Glas
Die Ausstellung selber ist im Sinne eines Mehrgangmenüs konzipiert. Als „Aperitif“ wartet eine große Flasche mit chinesischem Mäusewein auf die Besucher:innen. Am Grunde einer großen Bügelverschlussflasche sammelt sich eine Schar toter, nackter Mäusewelpen. „Die Mäuse dürfen nur wenige Stunden alt sein, wenn sie in den Reiswein kommen, die ansonsten wachsenden Haare würden sich im Reiswein zersetzen“, erklärt der Ekel-Experte. Der Geschmack soll ins medizinische gehen und an Terpentin bzw. Tankstellen-Geruch erinnern, dabei aber durchaus genießbar sein – na denn, Prost! Um Geschmack alleine geht es aber nicht. „Viele dieser mit Tieren versetzten Spirituosen wird eine mythische medizinische Wirkung nachgesagt, meistens als Potenz- oder Haarwuchsmittel. Dies ist allerdings keinesfalls wissenschaftlich belegt“, gibt Martin Völker zu bedenken. Wer das für fragwürdige, exotische Genüsse aus Fernost hält, der sei an Tequila und Mezcal mit Made und Skorpion erinnert. Und, Überraschung, neben japanischem Grubenottern-Sake steht eine Flasche brandenburgischer Bibergeil: Kräuterschnaps, abgerundet mit Anusdrüsensekret vom Biber. „Der hat einen hervorragenden Geschmack nach Wald, wirklich sehr gut“, schwärmt der Museumsdirektor.
Die den Hals nicht vollkriegen
Die Produktion von Gänsestopfleber ist in Deutschland verboten, wenngleich sie hierzulande verkauft und genossen werden darf, eine sehr exklusive Delikatesse gerade zur Weihnachtszeit. Der Ekel-Experte gibt zu bedenken: „Wir stellen es hier aus, und woanders steht es auf der Karte“. Für Völker ist es wichtig, Bewusstsein für die qualvolle Produktion dessen zu schaffen. Über ein langes Rohr wird vor allem Mais durch den Hals der Gans direkt in den Magen gepumpt, die Leber des Tieres erkrankt zur Fettleber und schwillt auf ein vielfaches des ursprünglichen Gewichts an.
Lebendige Käseplatte
Beim Zwischengang an der Käsetheke scheiden sich die Geschmäcker: Während Martin Völker britischen Stinking Bishop bevorzugt, verzückte mich der französische Époisses mit seinem komplexen Aroma. Als Besonderheit mit lebenden Akteuren bietet der sardische Casu Marzu Heimstätte für die Maden der Käsefliege. Die kleinen Tierchen fressen sich durch den Käse und produzieren genussvolle, matschige Hinterlassenschaften. Seit 2015 sei die Produktion dieser Spezialität offiziell per EU-Recht aus Gründen der Lebensmittelhygiene verboten. Aber auch hier finden Kenner:innen ein bundesdeutsches Pendant: Aus dem sachsen-anhaltinischen Zeitzer Ortsteil Würchwitz stammt der Würchwitzer Milbenkäse. Abgetropfter Quark wird mit Käsemilben versetzt, die auch noch beim Verzehr drauf herumwuseln.
Fleischliche Genüsse
Beim Fleischgang besteht das Motto „Es muss nicht immer Filet sein“. Angesichts der Tatsache, dass Nutztiere wie Rinder und Schafe fast vollständig verwertet werden können, herrscht bei Hoden und Penis vom Rind, sowie Kuheuter die Übereinkunft, dass alles eine Frage der Zubereitung sei. Gerade bei letzterem findet man beispielsweise in einigen Berliner Eckkneipen das Berliner Schnitzel als regionale Spezialität. Das nächste und größte Exponat ist ein runder Tisch mit Loch in der Mitte, unter dem sich ein Käfig befindet – der Monkey Brain Table. Ein lebender Affe wird in dem Käfig in der Tischmitte eingesperrt. Daraufhin wird die Schädelplatte des herausragenden Kopfes aufgemeißelt und der „Feinschmecker“ genießt das Gehirn des noch lebenden Tieres. Es stirbt erst währenddessen. Der Reiz soll in der Dominanz und Überlegenheit über dieses menschenähnliche Tier liegen. Man sieht nur den Tisch und meint doch innerlich das Tier schreien zu hören. Einen ähnlichen Gedanken verfolgt auch eine Installation, die in der Ecke der Ausstellungsfläche Videos von Tiertransportern auf deutschen Autobahnen und Videos von einem indonesischen Markt mit Hundeschlachtungen gegenüberstellt. „Für den Konsumenten ist eine Wurstscheibe abstrakt. Er sollte aber wissen, dass dahinter ein lebendes Tier und sein Tod steht“, meint der Museumsdirektor.
Meerschweinchen beim letzten Abendmahl
Dem gegenüber war die Imitation eines gegrillten Meerschweinchens aus Peru geradezu sympathisch. Martin Völker ergänzt: „In der Kathedrale von Cusco gibt es ein Gemälde vom letzten Abendmahl in dessen Tischmitte ein gegrilltes Meerschweinchen liegt.“ Aus dem Bereich Fisch und Meeresfrüchte war der fermentierte Hai aus Island unter der Glasglocke bemerkenswert. Der Duft des Aquavit-Begleiters erinnerte entfernt an thailändische Fischsauce, es gibt wirklich schlimmeres. Ähnlich ist das bei den Früchten. Neben einer Imitation lag eine Duftprobe der legendären Durian, auch Kotzfrucht genannt. Sie erinnerte an überreife Ananas. Martin Völker spezifiziert: „Ananas und Zwiebel. Sie schmeckt hervorragend in Desserts, aber auch in Currys“. Die Ausstellung endet mit einer riesigen Collage „Overflow“ zum Verhältnis Mensch und Wasser. In überfordernder Vielzahl von Bildern demonstriert es den kulturellen Wert für Menschen. Andererseits aber auch den ekelerregenden Umgang mit dem Element Wasser, wie Vermüllung, Überfischung oder Ausbeutung durch Kreuzfahrttourismus.
Was kreucht und fleucht
Zu guter Letzt gibt es noch ein schönes Tasting fernab jeder Ekel-Dschungelprüfung: Die gefriergetrocknete Grille ist sehr knusprig und erinnert mit ihrem Umami-Geschmack an Krabbenbrot, eine Crouton-Alternative für Salate. Noch spektakulärer ist der Maikäfer, zwar etwas bröselig-trocken, aber ein umwerfendes Räucherspeckaroma. Den Abschluss bilden isländische Lakritze, die laut Völker von einigen Besucher:innen ausgespuckt werden. Komplett unverständlich, die Kombination aus Salmiak und Salz prickelt auf der Zunge, gefolgt von einem leckeren, sanften Lakritzgeschmack. Der Besuch fällt unter Grenzerfahrung, aber Angst und Ekel sollten eher Inspiration und Denkanstöße weichen. „Zum Kotzen“ waren weniger die Lebensmittel, als bisweilen die Hintergründe.
Artikel-Teaserbild (oben): Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de