Weltweit feiern Muslime gerade 30 Tage lang Ramadan. Was das Fasten bedeutet und wie das Fastenbrechen nach Sonnenuntergang gefeiert wird – ein Einblick.
Der Abend neigt sich der Dämmerung. Das Licht der untergehenden Sonne färbt den Himmel in spektakuläres Türkis, während gegenüber schon Dunkelheit herrscht. Auf der riesigen Terrasse über den Dächern von Berlin haben sich 20 Männer eingefunden. Es ist 20:30 Uhr durch, in wenigen Minuten wird die Sonne untergegangen sein. Die Gespräche werden jäh unterbrochen, als Gastgeber Baha Amouri und sein Freund mit riesigen, in Alufolie gehüllten Platten auf die Terrasse kommt. Kurze Abstimmung untereinander – ja, die Sonne ist jetzt untergegangen. Dann werden die Wasserflaschen geöffnet, kräftige Schlucke und die ersten Datteln werden gegessen – für heute ist das Fasten gebrochen. In zwei Wochen ist das Fest des Fastenbrechens, Eid al-Fitr. Jetzt ist also Halbzeit des für die Muslime heiligen Monats Ramadan.
Jemenitische Köstlichkeiten
Das Essen stammt aus einem jemenitischen Restaurant. Auf rot, gelb und weiß gefärbtem Reis liegt jeweils die Hälfte eines gegrillten Lamms. „Madfoun, in Jordanien nennen wir das Sarb“, erklärt der frischgebackene Vater. „Dafür wird in die Erde ein großes Loch gegraben. Dann wird unten ein Feuer entfacht, auf das Eintopf mit Reis gestellt wird. Das Fleisch wird drüber gehängt und dann wird oben die Öffnung mit Lehm abgedichtet für mehrere Stunden. Der Fleischsaft tropft dann in den Reis. Das Loch hält dann die Hitze und die Aromen haben Zeit sich zu verbinden“.“
Zur Geburt seines zweiten Sohnes Yazan hat er zwei Lämmer geopfert. Das eine wird gerade hier zum Iftar von Familie und Freunden verzehrt, das andere wird in Jordanien an Arme verteilt. Mit bloßen Händen greift der Vater des Gastgebers ins Fleisch und sucht für die umliegenden Teller die köstlichen Einzelteile heraus. Gegessen wird traditionell mit der Hand und Hubs jamani, jemenitischem Brot.
Feinstes zum Nachtisch
Zum Nachtisch wartet eine große Platte mit den besten arabischen Desserts: Namoura (in Sirup getränkte Grießplätzchen), Harissa Moloukhia (königliche Harissa mit Nüssen), Halawat bil jibn (Röllchen aus gesüßtem Käse mit Rosenwasser parfümiert), sowie Knafeh (in Sirup getränkte, feine Nudelnester) und feinblättrige Baklava. Dazu gibt es duftenden Qahwe saudiyya, saudischen Kaffee, „aus grünen Kaffeebohnen, mit Kardamom, Nelken, Ingwer und Mastix, einem Harz“, erklärt der Gastgeber.
Fasten: 16 Stunden und mehr
Die Mahlzeit ist nicht nur köstlich, sondern auch langanhaltend sättigend. „Ich frühstücke gegen 3:15 Uhr als letzte Mahlzeit vor Sonnenaufgang“, berichtet Baha Amouri. Es gebe die Empfehlung einiger Imame, nicht länger als 16 Stunden zu fasten. Er winkt ab: „Nach drei Tagen hat man sich daran gewöhnt, am sechsten Tag haben meine Freunde und ich noch mal so ein kleines Tief.“ Zwischen Sonnenauf- und -untergang darf nichts gegessen, geraucht oder getrunken werden. Auch Sex ist verboten. „Eigentlich die ganze Zeit … aber wenn man es tun sollte, natürlich nur mit seiner Ehefrau, dann muss man hinterher duschen und sich rein waschen, bevor die Sonne wieder aufgeht“, erklärt Baha Amouri.
Demut und Läuterung
Ursula Spuler-Stegemann ist Professorin für Orientwissenschaft und Türkisch am Centrum für Nah- und Mittelost-Studien der Philipps-Universität in Marburg: „Das Fasten im heiligen Monat Ramadan ist Ausdruck der Demut vor Gott und rückt das Leben aus dem Alltag in eine Spiritualität, in der die religiösen Werte an Bedeutung gewinnen. In diesem Sinne bedeutet das reibungslose Durchleben des Ramadan eine Läuterung für den gläubigen Muslim“, erklärt die Professorin.
„Es ist aber auch eine Zeit der abendlichen Zusammenkünfte, der Freude und Unterhaltung. Mir bleibt eine Situation in einem ägyptischen Wirtshaus unvergessen, der Raum war voller Menschen, die vor den dampfenden Schüsseln ausharrten, bis der Gastwirt auf ein Podest stieg und über die Köpfe der Menschen hinweg ‚Das Fasten ist beendet‘ rief. Was dann passierte, war buchstäbliches Fastenbrechen, es brach aus den Menschen heraus“, lacht die Orientwissenschaftlerin.
Fasten im Ramadan: Klare Regeln?
Das Fasten im Ramadan als religiöse Pflicht im Islam – die sogenannte vierte Säule neben Glaubensbekenntnis, Gebet, Almosen, Pilgerfahrt – ist durch viele Ge- und Verbote reglementiert. So ist Ramadan der einzige Monat, der im Koran Erwähnung findet als der Monat, in dem der Koran selber Mohammed überbracht wurde. In der zweiten Sure „die Kuh“, al-Baqara, stehen zwischen den Koranversen 183 bis 188 die Bedingungen für das Fasten im Ramadan. Kinder, Kranke, Reisende sowie Schwangere, stillende Mütter und Menstruierende sind beispielsweise vom Fasten ausgenommen und müssen dies nachholen oder ein Speiseopfer für Bedürftige darbringen. Besonders reizvoll ist auch die Beschreibung der Zeitangabe zum Wiedereinsatz des Fastens: „und eßt und trinkt, bis sich für euch der weiße vom schwarzen Faden der Morgendämmerung klar unterscheidet!“
„Es gibt nur das kleine Problem, das es in vielen Punkten keine einheitliche Regelung gibt“, sagt Ursula Spuler-Stegemann. So stünden die Muslime in Europa, besonders in den skandinavischen Ländern, vor dem Problem, dass die Sonne im Sommer wesentlich später untergeht als beispielsweise in Mekka. „Oberhalb des Polarkreises geht sie ja gar nicht unter. Viele Islamverbände empfehlen, sich am nächsten muslimischen Land zu orientieren, das ist normalerweise die Türkei. Aber für Muslime in Spanien zum Beispiel ist die Türkei keinesfalls das nächste muslimische Land. Das wird besonders relevant bei bestimmten Inseln. Meinem Eindruck nach, setzt es sich aber immer mehr durch, sich an der Mekkazeit zu orientieren“, erklärt die Professorin.
Auch die koranischen Texte werden unterschiedlich interpretiert und die Gruppe der Ausgenommenen beispielsweise um Kämpfer und Schwerstarbeiter erweitert. Die Bedeutung des Nachfastens wurde relativiert und sogar ausgesetzt. „Ich habe mal die Situation erlebt, dass in der sommerlichen Mittagshitze während des Ramadan bei einer Straßenbaustelle ein arabischer Mann am Presslufthammer unter der Belastung sehr litt, aber sich weigerte sich durch einen Schluck Wasser zu erholen. Ich bin dann zu ihm hingegangen und habe ihm dargelegt, dass er als Schwerstarbeiter vom Fasten befreit sei, sogar ohne Ersatz. Später kam er zu mir und bedankte sich mit einer gepflückten Blume“, erinnert sich die Orientwissenschaftlerin, „Immerhin steht zum Ramadan in Sure 2, 184: ‚Gott will es euch leicht und nicht schwer machen‘.“
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