Wie ernähren wir uns in Zukunft, angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und begrenzter Ressourcen? „Future Food – Essen für die Welt von Morgen“ im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden präsentiert viele Konzepte in einer umfangreichen Ausstellung.
Den Eingangsbereich der Sonderausstellung im neoklassizistischen Prachtbau des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden flankiert ein mit kunterbunten Leuchtgirlanden dekoriertes Partyzelt. Aus versteckten Lautsprechern tönen wispernd noch die Echos der angeregten Unterhaltungen des zauberhaften Abends. Auf dem Buffet finden sich übriggebliebene Essensreste. Die Gäste haben gut gespeist, für morgen bleibt kaum was übrig – was für eine Metapher für die Ausstellung über Essen für die Welt von morgen!
Seit Ende Mai öffnet das Deutsche Hygiene-Museum wieder seine Tore und präsentiert, leicht verspätet, seine Ausstellung „Future Food – Essen für die Welt von morgen“.
Die Party ist vorbei
Die an der Wand dargestellten Bilanzen und Prognosen nehmen die Frage auf, „wird es auch morgen noch genug zum Essen geben?“, bei Wachstum der Weltbevölkerung, Klimawandel, Ressourcenschwund und vielem mehr. Die Ausstellung setzt sich zu Beginn mit der Antwort des Biolandbaus auseinander, dessen anthroposophischen Wurzeln, sowie dessen Ausprägungen anhand von Beispielen. In dem Zusammenhang stolpert man nahezu über die Information, dass gegenwärtiger Biolandbau rund ein Fünftel bis ein Viertel weniger Ertrag leistet.
Die präsentierten alternativen Lösungsansätze bewegen sich daher zwischen Naturnähe auf der einen Seite, durch beispielsweise die Verringerung von Dünger und Pflanzenschutzmitteln, und höchster Technologisierung auf der anderen Seite, wie dem automatischen Ernteroboter Crops der Technischen Universität München, der multisensorisch die Früchte individuell und gezielt besprüht und erntet.
Alternativen zum konventionellen Acker zeigen Konzepte wie Aquaponik, der Pflanzen- und Fischzucht in ressourcenschonender Symbiose, oder Floating Farming, Viehzucht in schwimmenden Ställen. So etwas gibt es im Hafen von Rotterdam, wo die Tiere einerseits mit Abfällen gefüttert werden und andererseits ihre Milchprodukte in der Stadt vor Ort verkauft werden. Ein ähnlicher Ansatz, jedoch im ganz anderen Kontext, zeigt die Ausstellung über die Arbeit des palästinensischen Agraringenieurs Ahmed Saleh, der die Versorgungsdefizite im Gazastreifen beheben will, z. B. durch Ackerbau auf den Hausdächern mit Pflanzengefäßen aus Plastikmüll und Düngung per Lebensmittelabfällen.
Das Protein von morgen
Der erste Teil der Ausstellung endet mit alternativen Proteinquellen. Dass Konrad Adenauer britischer Patentinhaber einer Sojawurst ist, dürfte für Viele neu sein. Seidenspinnerlarven, eher bekannt als Rohstoffproduzenten luxuriöser Tuchwaren, dienen in einigen Ländern Asiens als Proteinquelle – ob sich das hier ähnlich wie Sushi durchsetzt? Die Reihe wissenschaftlich/wirtschaftlicher Ansätze zur Lösungsorientierung werden von künstlerischen Arbeiten, wie dem Video Raspberry Days von Wojtek Doroszuk, eine Apotheose der norwegischen Himbeerernte untermalt mit den Klängen von Mozarts Cosi fan tutte. Am Ende des ersten Teils der Ausstellung wird deutlich, dass es für die multikausalen Herausforderungen der Versorgungsgewährleistung nicht nur einen einzig richtigen Lösungsansatz geben kann.
– Welches Insektenfood es schon in deutschen Supermärkten gibt, liest du hier. –
Zeit zum Handeln
Der zweite Abschnitt thematisiert den Globalen Lebensmittelhandel. Gleich zu Beginn wird der Besucher in ein Logistikzentrum geführt, über dessen Lieferbänder Waren, stellvertretend für die wichtigsten Importrohstoffe, laufen. Auf einem riesigen, darüber schwebenden Display, erhalten die Besucher die Informationen über Importwege, Herkunftsländer, Umschlagplätze und vielem mehr. Im Zusammenhang mit den einzelnen Rohstoffen wie Soja, Zucker, Kaffee, Schokolade und Hähnchen werden die Zeitbögen von der Kolonialisierung und Sklavenarbeit hin zu den gegenwärtigen sozialen Herausforderungen des globalen Handels dem Besucher vor Augen geführt. Inwieweit die postkolonialen wirtschaftlichen Herausforderungen beispielsweise in den gesellschaftlichen Rassismusdiskurs reinstrahlen, zeigen die Fotoarbeiten Self Evident von Ingrid Pollard, die in ihren Porträts afrikanische Menschen mit Attributen wie einer Muschel, exotischen Blumen, aber auch Melonen, Hähnchen und Zuckerrohr zeigt – inzwischen rassistische Stereotype.
Ein Schwerpunkt der Ausstellung sind die Lösungsansätze fairen Handels, deren Ursprung bei der kirchlichen Verbandsarbeit liegt und spätestens mit dem Fairtrade-Siegel in den Neunzigerjahren im öffentlichen Diskurs steht. Deutlich wird aber auch, dass fairer Handel bislang vor allem aus vielen einzelnen Projekten besteht. Andererseits machen die Aussteller aber auch deutlich, dass fairer Handel selber nur ein Baustein innerhalb eines grundlegenden systemischen Paradigmenwechsels ist.
– Wie das Thema Klimaschutz die Lebensmittelbranche bewegt, liest du hier –
Jeder nach seiner Fasson?
In der letzten Halle richtet sich der Fokus in der als Supermarkt präsentierten Ausstellung auf den Verbraucher selber. Was sind Kriterien für die Lebensmittelwahl? Die Ausstellung benennt Geschmack, Gesundheit, Preis und Nachhaltigkeit als zentrale Elemente dabei und führt diesbezüglich mit interaktiven Displays selber Umfragen unter den Besuchern durch.Bei der Gesundheit stand vor allem Übergewicht im Fokus, sowie Bewusstseinsentwicklung beim Verbraucher für Nachhaltigkeit. Besonders denkwürdig ist die Darstellung des politischen Diskurses über Veganismus zwischen Klimaschutz und Tierwohl.
Nicht fehlen darf Ernährung als Ausdruck der Persönlichkeit und Teil des Lebensstils: Beispielsweise mit der Darstellung und Ästhetisierung von Nahrung in den sozialen Medien wie unter dem #cheatday bei Instagram. Über Instagram hinaus wurde der Rolle von Essen in der Kunst ein großer Raum eingeräumt, wie der skurillen Fotoreihe Taraco von Izumi Miyazaki, die mit ihren Porträts eine buchstäbliche Symbiose mit Essen einging.
Auch Foodtrends spielen in diesem Kontext eine wichtige Rolle. In dem schier unendlichen Wust an Strömungen zwischen Vollwertkost, Clean-Eating, Fusion, Asia und mexikanisch gelang es den Kuratoren beispielsweise anhand eines Schaubilds diese zeitlich und ideologisch einzusortieren und zu strukturieren. Zwischen Foodporn und Religionsersatz fällt der Blick des Besuchers auch auf ein Display mit Audio-Interviews von Menschen: Ein Frührentner, ein Student und eine alleinerziehende Mutter, für die Ernährung aus wirtschaftlichen Gründen nur den Hunger stillen muss, beschreiben ihre Kaufentscheidungen.
– Mehr zu Foodtrends gibt’s hier. –
Zukünftige Partys?
Großes Kompliment für den Abschluss, den Epilog: An einer überbordenden, fantasievollen Tafel, die quasi in einer Menüfolge noch mal die wesentlichen Ansätze der Zukunft unserer Ernährung darstellte, wurden die Besucher aufgefordert, sich selber in den Diskurs einzubringen, Phänomene zu bewerten, wie persönliche Ernährungsmissstände als „Sünden” unter Teller zu schreiben und „Vorsätze“ im Rahmen eines Gewinnspiels einzureichen.
Bis zum 21. Februar 2021 haben die Interessierte noch die Möglichkeit, sich die Sonderausstellung Future Food im Deutschen Hygiene-Museum anzuschauen.
Haupt-Artikelbild (oben): Fiedels – stock.adobe.com; Pressebild Deutsches Hygiene-Museum (mit Izumi Miyazaki, Sandwich, 2014)