Dresdner Christstollen gehört zur Advents- und Weihnachtszeit wie Hoppenstedts und Würstchen mit Kartoffelsalat. Lebensmittelmagazin.de ist in die sächsische Landeshauptstadt gefahren und hat dem Stollenbäcker über die Schulter geschaut.
„Willst du das Leben genießen, dann zieh nach Striesen“. Hier in diesem beschaulichen Ortsteil Dresdens liegt die Schaubäckerei von Bäckermeister Ralf Ullrich, Vorstand des Schutzverbandes Dresdner Stollen e. V. Seit 2005 führt er seinen Betrieb, der bereits seit 1900 hier ansässig ist. Mit ursprünglich 6 Angestellten, jetzt 18, produziert er pro Jahr 4.000 bis 5.000 Dresdner Christstollen. Christstollen gehört essentiell zur deutschen Weihnacht und unterscheidet sich doch fundamental von anderen Stollen wie Quark- oder Marzipan-Stollen.
Der Weg zur Saftigkeit
Ralf Ullrich holt einen Vorteig aus Mehl, Hefe und Milch hervor, der bereits eine Dreiviertelstunde geht. „Eine kleine Besonderheit gibt es bereits hier“, erklärt der Bäckermeister. „Mehl für Stollen wird im Vergleich zu herkömmlichem Weizenmehl etwas länger abgelagert, nämlich 13 Wochen“. Im nächsten Schritt werden Zitronat, Orangeat und gehackte Mandeln dem Teig zugeführt, welche zuvor in Milch eingeweicht wurden. Wer bei Zitronat und Orangeat an ganz schlimme trockene Kuchenfrüchte denkt, wird hier eines Besseren belehrt. Duftend-aromatische, saftig-glänzende Fruchtschalenstückchen laden zum Naschen ein. „Das ist eine der individuellen Besonderheiten meines Christstollens, die von der Satzung zugelassen wird. Ich möchte, dass der Stollen dadurch insgesamt saftiger wird.“
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Stollen nach strenger Satzung
Die Satzung des Schutzverbandes Dresdner Stollen e. V. ist streng gefasst und lässt wenig Spielraum bei Zutaten und Mengen zu. So ist beispielsweise das Verhältnis von Butter zu Mehl auf mindestens 1 zu 2 festgelegt. Ein ordentlicher Batzen an Butter landet in dem Teigrührer und wird von der Maschine in den Teig eingearbeitet. Dem folgen Bittermandeln, kleingehäckselte Zitrone, Schale, Pulpe und Saft sowie Macisblüte, die hocharomatischen Hüllblätter der Muskatnuss.
Zuletzt kommt eine gewaltige Menge köstlicher, in Rum eingelegter Sultaninen in den Teig, mindestens 65 Prozent in Bezug auf den Mehlanteil. „Das ist ein fehleranfälliger Moment! Wenn die Sultaninen zu lange im Rum liegen, laufen sie Gefahr, weich zu werden. Wenn sie dann zu lange im Teig geknetet werden, zermatschen sie und färben den Teig braun“, erläutert Ullrich. „Der gebackene Christstollen muss einen Kontrast zwischen dem weißen hellen Teig und den dunklen Sultaninen haben“.
Mindestens ein halbes Kilo
Der Hauptteig geht ein bis anderthalb Stunden bei 22 bis 24 Grad. Auf Frage nach den im Handel befindlichen Stollenformen kommt die Antwort: „Da würde jeder Sachse anfangen zu lachen.“ Dresdner Christstollen ist freigeschoben. Bäckermeister Ullrich teilt aus den 60 kg Teig 16 Zweikilo-, 8 Anderthalb- und 9 Kilolaibe. „Ein Dresdner Christstollen muss mindestens 500 Gramm haben“, weiß er.
Geschlagen oder gerissen?
Bevor die Laibe gebacken werden, müssen sie noch mal einzeln durchgeknetet und in Form gebracht werden. Dafür gibt es zwei unterschiedliche Methoden: Der Laib wird entweder geschlagen oder gerissen. Beim Reißen wird der Stollen einem Brötchen ähnlich oberflächlich mit einem Messer eingeschnitten. Geschlagener Stollen wiederum wird virtuos mit einem Nudelholz ausgerollt und dann übereinandergeschlagen, „allerdings müsste ich bei dieser doch sehr aufwändigen Variante den Kilopreis je Stollen wesentlich erhöhen“, meint Ralf Ullrich.
40 Arbeitsschritte
Für zehn Minuten werden die Stollen bei 200 Grad gebacken, die darauffolgenden 50 Minuten bei 175 Grad Celsius. Nach dem Backen werden die Stollen zunächst bis zum nächsten Tag abgelagert, bevor sie ordentlich gebuttert und gezuckert werden, um den 15-prozentigen Gewichtsverlust durchs Backen auszugleichen. Es vergehen weitere sechs Stunden bis die Butter erkaltet ist und der Stollen final sein Puderzuckerkleid erhält.
Noch der Hinweis: Die gebutterten Stollen dürfen nicht auf einem Holzbrett lagern, die Butter laufe Gefahr ins Holzbrett einzuziehen, um auf die Dauer dort ranzig zu werden und einen unangenehmen Geschmack zurück in den Stollen zu geben. Eine weitere Feinheit: Wenn die Stollen nicht ausreichend abgekühlt sind, drückt sich die Butter durch den Puderzucker.
„Ich habe mal gezählt: Bei jedem Stollen sind es 40 Arbeitsschritte und 4 Stunden Arbeit insgesamt plus Ruhezeiten. Der Kilopreis für Dresdner Christstollen liegt zwischen 7,99 und über 20 Euro, 40 Prozent des Preises sind Lohnkosten“, erklärt der Bäckermeister.
Stollen in den Kühlschrank?
Noch irgendwelche Tipps und Tricks für wagemutige Hausfrauen oder -männer? Ralf Ullrich lacht: „Abends ein Glas Wein trinken und am nächsten Morgen den Dresdner Stollen beim Bäcker kaufen.“ Doch, einen Hinweis hat er parat: Christstollen dürfen nicht im Kühlschrank gelagert werden, sondern am besten bei 15 Grad, nicht zu warm, nicht zu kalt bei 60 prozentiger Luftfeuchtigkeit. „Traditionell wird der Christstollen in einem kühlen Zimmer, meist ist es das Schlafzimmer gelagert. Das passt!“
Nur mit goldenem Siegel
Ralf Ullrich ist als Vorstandsmitglied des Schutzverbandes Dresdner Stollen e. V. für die alljährliche Güteprüfung der Dresdner Christstollens zuständig. Kriterien dabei sind die äußere wie innere Ansicht, sowie, am wichtigsten, Geschmack und Geruch. „Es geht um die Ausgewogenheit der Aromen, neben der zuckrigen Süße die Bitternis der Mandeln sowie die Säure der Zitrone.“ Sind alle Kriterien erfüllt, gibt es das goldene Siegel des Dresdner Schutzverbandes für die ca. 120 Bäcker desAltinnungskreis zwischen Radebeul, Moritzburg und Pirna. Anhand der dort befindlichen Kontrollnummer lässt sich die Provenienz auf der offiziellen Verpackung beim Verband der Dresdner Christstollen-Bäcker auf Nachfrage nachverfolgen. Ein echter Dresdner Christstollen wird immer von diesem Siegel ausgezeichnet.
Gebäck mit Geschichte
Der auf dem Siegel ebenfalls thronende August der Starke als goldener Reiter zu Pferde verweist auf die Christstollen-Historie. Bis ins 15. Jahrhundert hinein war der Stollen eine schlichte Fastenspeise, ein Weißbrot. Von Butter und opulenten Spezereien war nicht die Spur zu sehen. Auf Bitten des sächsischen Kurfürsten Ernst von Sachsen erließ Papst Innozenz VIII die Erlaubnis – der noch erhaltene „Butterbrief“ –, dem Gebäck Butter beizufügen, die übrigen köstlichen Zutaten folgten sukzessive.
Im 18. Jahrhundert sorgte August der Starke mit der PR-Aktion zu einem Rekordstollen von 1,8 Tonnen beim Zeithainer Lustlager, ein militärisches Woodstock für Europas Adelige, für die große Popularität des Dresdner Christstollen über die Grenzen Sachsens hinaus. Seit 2011 trägt der Dresdner Christstollen das Europäische Siegel der geschützten geografischen Angabe (g.g.A.) als größte sächsische Marke.
Auch heute verschickt die Bäckerei Ullrich 40 Prozent ihrer Produktion bundesweit. International sind die Vereinigten Staaten der größte Abnehmer. „Wir hatten aber auch schon eine Anfrage aus Nigeria“, berichtet Bäckermeister Ullrich.
[Wie eine Bäckerei in Berlin-Neukölln handwerklich backt, liest du hier.]
Beitragsbild (oben): Schaubäckerei Ullrich. Foto: Schutzverband Dresdner Stollen e.V./Michael Schmidt – schmidt.fm
Nice post!