Da entpuppt sich die Erzieherin der eigenen Kinder als Autorin eines prämierten Kochbuchs. Darüber, dass Essen nicht nur Politik, sondern auch Kultur ist, unterhält sich lebensmittelmagazin.de mit ihr bei einem leckeren kurdischen Frühstück.
Auf der Herdplatte in der Küche des Familienzentrums einer Kreuzberger Kita köcheln in der Pfanne kleingeschnittene Trockenfrüchte, Aprikosen und Maulbeeren in ein wenig Wasser, in dem sie zuvor eingelegt waren. Die Erzieherin Hülya Baba gibt einen üppigen Klacks Butter hinzu, verkleppert drei Eier und rührt diese zu einem fruchtig-cremigen Rührei. „Am besten wäre dazu jetzt ein Stückchen Brot“, meint sie. In Kurdistan essen die Menschen bis zu sechsmal am Tag, vor allem im Sommer, wenn die Männer auf dem Feld arbeiten. „Da beginnt der Arbeitstag dann um 5 Uhr morgens, es gibt nur eine Kleinigkeit, die Mahlzeit wird Xurini genannt, wie Brot mit Butter um etwas im Magen zu haben. Ein ordentliches Frühstück, Taste genannt, gibt es ab 9 Uhr. Da isst man beispielsweise dieses Rührei mit Aprikosen und Maulbeeren. Mittagessen (Fravin) und nachmittägliche Mahlzeit (Esir) kennt man hier auch, ebenso Abendessen (Sir). Außerdem gibt es danach ebenfalls noch eine Mahlzeit (Pasiv).“ Die Arbeit sei hart, deswegen der hohe Kalorienbedarf. „Im Winter, wenn nur für die Familie mit den Kindern gekocht wurde, gibt es auch nur drei Mahlzeiten.“
Kultur ohne Nation
Ihre Familie stammt aus der Region Serhed in der Provinz Gimgim in der Nähe der Stadt Varto in Ostanatolien, im nördlichen Teil des von Kurden besiedelten Gebiets. Dieses ca. 500.000 Quadratkilometer großes Gebiet entspricht in etwa der Größe Frankreichs, in dem 30 bis 35 Millionen Kurden leben, die weltweite größte staatenlose Ethnie, die zur Urbevölkerung Mesopotamiens, das Land zwischen Euphrat und Tigris gehört. Über vier Länder erstreckt sich das Gebiet: vom westlichen Iran, Nordirak, Nordsyrien bis tief ins türkische Anatolien hinein. Weite Teile des Gebiets sind gebirgig und unwegsam. Hülya Baba zeigt ein Foto von grünen Bergen: „Die Leute in den Dörfern bringen im Sommer ihre Tiere hoch ins Gebirge, wo die Witterung und das Klima optimaler für Kräuter als Futter sind. Dort oben gibt es kleine, schlichte Hütten, in denen die Menschen leben. „Als mein Sohn ein Baby war, sind wir zu diesen Hütten hochgestiegen und sind so herzlich willkommen geheißen worden. Da war eine alte Frau, die darauf bestand, dass ich mit dem Kleinen auf ihrer Matratze schlafe, obwohl sie selber gebrechlich war“, erzählt die Erzieherin. 1982 nach dem Putsch in der Türkei ist Hülya Baba ihrem Vater nach Deutschland gefolgt. „Ich möchte gar nicht irgendwelche Teilungen des Landes, aber was ich möchte ist die Anerkennung der Kultur und Identität als Kurde und nicht wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt zu werden“, fordert Hülya Baba.
Unser täglich Brot
Die Lebensmittel im Sommer mussten für den Winter haltbar gemacht werden, Frischmilch wurde nicht großartig verzehrt, man verarbeitet sie zu Käse oder Joghurt, der zur Haltbarmachung auch noch gesalzen wird. „Natürlich hat sich die kurdische Küche dem Zeitgeist angepasst, allerdings gibt es inzwischen auch den Trend zu den Ursprüngen zurückzukehren“, berichtet Hülya Baba. Als Mädchen habe sie beim Kochen der Mutter zugeschaut. „Gelernt habe ich das Kochen aber bei meiner Schwiegermutter, denn ich habe jung geheiratet mit 17 und mit 19 war ich Mutter.“ Brot beispielsweise wird hauchdünn auf einem Saj, einem Kuppelofen, gebacken. Sie zeigt Fotos von der Mutter, die neben einem Deckel sitzt. „Das ist ein in die Erde gearbeiteter Ofen aus Lehm, ein sogenannter Tandur. An dessen Innenwände wird der Brotteig geklatscht und dann ausgebacken. Den hat meine Mutter selber gebaut aus einem besonderen roten erdigen Lehm in den Ziegenhaare rein gemischt wurden, damit das hält.“ In Kreuzberg gibt es einen Bäcker, der mit einem Tandur Brot bäckt. „Sein Ofen wird mit Gas betrieben. In meiner Kindheit wurde dafür Holz und getrockneter Tierkot verfeuert, Kuhfladen brannten wie Holz, schnell und leicht brennbar, während Schafdung wie Kohle war. Im Winter mussten wir als Schüler jeder einmal in der Woche eine getrocknete Kachel davon mit in die Schule zum Heizen nehmen.“ Für das Brot selber wurde Weizen- oder Dinkelmehl genommen. Hülya Baba präzisiert: „Es gab auch Roggenmehl, aber normalerweise hatten wir Weizenvollkornmehl, so ein richtig dunkles, das ganz helle feine Mehl war bei uns sehr begehrt. Das muss man sich mal vorstellen. Das gab es bei uns nie, außer jemand brachte so etwas aus der Stadt mit. So ein Brot, nur mit Butter, Honig und Joghurt, das macht satt und gibt Kraft. Und es wurde nichts weggeschmissen, denn man hatte nicht viel.“
Das erste kurdische Kochbuch überhaupt
Hülya Baba erklärt ihre Absicht, warum sie ein Kochbuch geschrieben hat: „Zum einen ging es mir darum, das Bild der Kurden zu erweitern, mit denen man in Deutschland oft verbindet, dass sie auf die Straße zum demonstrieren gehen. Über die Küche kann man zeigen, was für ein Kulturvolk die Kurden sind. Die andere Sache war, dass ich in der Kita häufiger gekocht habe oder den Kolleginnen und Kollegen etwas mitgebracht habe. Da ich die klassische Küche meiner Mutter und Schwiegermutter übernommen habe, fragten viele nach den Rezepten. Ich habe recherchiert und festgestellt, dass es bislang kein kurdisches Kochbuch gibt, in keiner Sprache. Ich habe lediglich Preislisten auf Türkisch gefunden. Mir war auch wichtig, dass dieses traditionelle Essen nicht verloren geht. Es sind Gerichte, die es bereits vor hundert Jahren gab. Die meisten Gerichte im Buch sind vegetarisch. Inzwischen gibt es auch hier über die kurdische Küche Entwicklungen, über die ich mich sehr freue.“ Seit 2005 habe sie Rezepte gesammelt, vor allem traditionelle Rezepte aus der Region Serhed. Teilweise kenne man diese auch in Diyarbakir. Aber in den übrigen Teilen Kurdistans kochen sie wiederum ganz anders. 2009 wurde ihr Kochbuch als „bestes deutsches Kochbuch, asiatische Küche“ von den Gourmand World Cookbook Awards ausgezeichnet.
Kreativ mit wenigen Zutaten
Die Zutaten ihrer Küche sind sehr reduziert: „So etwas wie Auberginen und Zucchini beispielsweise gab es bei uns früher nicht. Fleisch gab es vielleicht zweimal im Jahr, an Feiertagen oder wenn hoher Besuch anstand.“ Äpfel und Birnen gab es im Garten der Nachbarn. Maulbeeren sammelten sie wild. Dafür hatte ihre Familie Kühe und Büffel. Auf die Frage nach selbstgemachten Mozzarella, lacht sie: „Nein wir haben normalen Käse aus der Milch gemacht.“ Als Kinder wären sie für das Hüten der Tiere verantwortlich gewesen, die Büffel hätte man im Gegensatz zu den Kühen wenigstens reiten können. Sie erinnert sich: „Zum Mittagessen mussten die Kühe ja zum Melken wieder ins Dorf getrieben werden, aber wir hatten keine Uhr. Wir haben die Zeit mit dem Schatten gemessen, wenn unser Schatten drei Füße lang war, wussten wir, es ist Zeit. Ansonsten wuchsen im Garten Gurken, Tomaten, sowie Kürbis. Es gab getrocknete Hülsenfrüchte wie Linsen, Bohnen und Kichererbsen und im Gebirge sammelten wir wilde Kräuter, wie Minze. Der Geschmack ist einzigartig, kein Vergleich zu hiesiger auf dem Markt.“ Neben Salz und den Bergkräutern, würzen sie mit süßem und scharfen Paprika „und natürlich Knoblauch, der im Joghurt besonders toll schmeckt“, schwärmt sie. Auf die Frage nach ihrem Lieblingsrezept im Buch zeigt sie die vegetarischen Kohlrouladen. Auch wenn Kohlrouladen in Deutschland doch durchaus ebenfalls populär sind, Leibspeise der Kanzlerin, so weichen die Zutaten mit Bulgur und Minze als Füllung deutlich davon ab, nur der Arbeitsaufwand dürfte ähnlich sein. Eine Besonderheit war es, wenn der Besuch beispielsweise Äpfel oder Orangen mitbrachte. „Meine Großmutter schälte Äpfel und meine Geschwister und ich saßen davor wie die Welpen und futterten die Schale“, berichtet die Erzieherin.
Für das Kochbuch hat sie sich mit den neun Frauen aus ihrer Familie getroffen und sechs Tage lang gekocht. Eine Profifotografin hielt den Prozess für das Kochbuch fest. Ihre Schwiegermutter war die Chefköchin und machte die Ansagen. Hülya Baba zeigt die Fotos im Kochbuch. Viel vom Gemüse dort ist aus ihrem Garten, nur weniges davon habe sie in Berlin gekauft. Die getrockneten Früchte und Kräuter stammen aus ihrem Dorf. Auch die Aprikosen und Maulbeeren, die eben im Frühstück waren, stammen aus Serhed, ihr Mann habe sie vorletzte Woche von dort mitgebracht.
Hülya Baba – Die traditionelle kurdische Küche, erschienen bei Edition Orient, ISBN 978-3-922825-11-1 (https://www.edition-orient.de/product_info.php?products_id=511).
Haupt-Artikelbild (oben): © Hülya-Baba – Edition-Orient