Zu den Wurzeln unserer Kultur gehört mit 500 Jahren Geschichte die römische Herrschaft über Europa. Welche Spuren die Römer bei uns hinterlassen haben, möchte Lebensmittelmagazin.de im Archäologischen Park Xanten erfahren.
Colonia Ulpia Traiana hieß die linksrheinische Stadt zur Zeit der Römer vor rund 2.000 Jahren; heute bekannt unter dem Namen Xanten. Ingo Martell ist Archäologe und Pressereferent des hiesigen archäologischen Parks. Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) ist Träger dieses archäologischen Freilichtmuseums nördlich der Alpen: „Gegenüber anderen Orten wie Köln oder Trier hatte Xanten den Vorteil, dass die mittelalterliche Stadt nicht direkt auf der römischen gebaut wurde, sondern ein Stück südlich davon, die Ruinen dienten dafür allerdings als Steinbruch.“ 1977 wurde der Park gegründet und die Gebäude wurden auf ihren Fundamenten im Rahmen experimenteller Archäologie mit römischen Baumethoden errichtet. So findet man hier beispielsweise eine Handwerkerhauszeile als größten Stampflehmbau Europas.
Römische Hausmannskost?
Dem gegenüber steht die römische Herberge. Zum Gebäudekomplex gehört als museale Einheit eine römische Küche. „Tatsächlich wird diese Küche bisweilen benutzt, etwa für Filmaufnahmen und Veranstaltungen“, erklärt der Archäologe. Im römischen Restaurant, ebenfalls Teil des Gebäudekomplexes, sowie in der Taverne arbeitet der italienische Pächter in einer hochmodernen Küche und serviert unter anderem römische Rezepte. „Dabei haben wir nur in wenigen Wohnungen eher kleine Feuerstellen und kaum große Küchen gefunden. Das hing in erster Linie mit potenzieller Brandgefahr in den Häusern zusammen. Vor nicht allzu langer Zeit entdeckten wir in einem Portikus (Säulengang) eine gemauerte Feuerstelle. Wir machten unsere Witze, dass dies eine römische Dönerbude gewesen sei müsse, denn tatsächlich ist es so, dass sich in den römischen Häusern Werkstätten und Geschäfte im Erdgeschoss lagen und die Familien lebten darüber. Der Verkauf und auch der Verzehr fanden aber auf der Straße statt.“ Lebensmittelreste sucht man hier allerdings vergeblich.
Abfallfundgrube für Archäologen
Wesentlich größere Rückschlüsse lassen sich laut Martell aus Abfällen ziehen: „Wir haben mal einen 6 bis 7 Meter tiefen Brunnen bei Grabungen gefunden, dessen Wand abgesackt war. Dieser wurde dann von der römischen Bevölkerung in Ermangelung einer regulären Müllabfuhr zur Müllgrube umfunktioniert, große Mengen an Knochen, Muscheln, Gräten, aber auch Pollen und Körnern ließen sich mittels Archäobotanik und -zoologie dann bestimmen.“ So fanden die Wissenschaftler Knochenresten von Schweinen, Ziegen und Schafen, aber auch von Geflügel. Bei Letzteren gab es nicht nur Gänse, Hühner und Enten, sondern auch Singvögel oder beispielsweise Kraniche. Anhand der Knochenfunde ließ sich darauf rückschließen, dass auch Wild gejagt wurde und das recht vielseitig, vom Rotwild bis zum Hasen.
Interessanterweise spielt Rindfleisch kaum eine Rolle in der römischen Küche: „Das liegt in erster Linie daran, dass Rinder hauptsächlich als Arbeitstiere beispielsweise beim Ackerbau dienten, dementsprechend zäh war ihr Fleisch. Ihre Knochen wiederum dienten als Rohmaterial für Beinarbeiten, dem Plastik der Antike“, erklärt der Archäologe. Anhand der Spuren des Fischverzehrs, Gräten und Schuppen, lässt sich ermitteln, dass damals im Rhein wohl Fische wie Störe, Weißfische, Schleien, Barben und Lachse lebten, andererseits importierten die Römer auch Köstlichkeiten wie Mittelmeermakrele und Meeresfrüchte aus dem mediterranen Raum, die sie, mit Salz und Honig konserviert und in großen Amphoren transportierten. „Viele Tausende von Amphoren sind auf dem Schiffsweg über den Rhein hierher gelangt“, weiß Martell.
Foto: Axel Thünker DGPh
De Crucis et transversi – Römisches Crossover
Beim Stichwort „Fisch in Amphore“ wird sich möglicherweise der ein oder andere Lateinschüler an Garum erinnern, das „Maggi der Antike“. „Man muss aber direkt sagen, es gibt nicht das eine Garum. Im Laufe eines fast halben Jahrtausends römischer Herrschaft haben sich die verschiedensten Rezepte dafür entwickelt. Grundlage von Garum bleibt dabei, dass kleine Fische zusammen mit Öl, Salz und Gewürzen in der Sonne vor sich hin gären. Das Ganze wurde dann abgeseiht, der Sud aufgefangen und als Garum verwendet. Eine Übersicht der Rezepte oder wie lange beispielsweise die Gärung dauert, ist nicht überliefert.“ Mit Garum ist man bei einem der zentralen Elemente römischer Küche, den Gewürzen und Würzstoffen. „Besonders beliebt war die Kombination komplementärer Geschmackskomponenten, was wir heute als Crossover oder Foodpairing bezeichnen würden. In den Rezepten herzhafter Speisen finden wir Datteln als Zutat. Süßes wurde mit Bitterem oder Scharfem kombiniert. Erdbeeren mit Pfeffer genoss man schon damals.“ Überhaupt sei Pfeffer damals das häufigste und beliebteste Gewürz gewesen, das über lange und beschwerliche Handelswege aus Indien ins römische Reich gelangte. Dazu informiert Ingo Martell: „Pfeffer blieb halbwegs erschwinglich, wir wissen aus Aufzeichnungen, dass 40 g Pfeffer zwei Denare kosteten, das entsprach ungefähr dem Tagessold eines Legionärs.“ Gewürze wurden vielfach eingesetzt, darunter auch Kräuter, die man heutzutage überhaupt nicht mehr kennt, wie Raute oder Silphium. Ebenso verwendet wurden auch heute noch beliebte Gewürze wie Kreuzkümmel, Koriander, Knoblauch und Zwiebeln, Minze, Oregano, Sellerie, Porree, Bohnenkraut, Fenchel, Ingwer und Kardamom sowie Zimt. Auch auf Salz und parfümiertes Salz wurde zurückgegriffen.
Ebenso gehörten Wein und Most als Gewürz ans Essen, gesüßt wurde neben Datteln mit Honig. Zucker als Kandis war zwar bekannt, wurde aber eher im medizinischen Bereich genutzt. „Auch, wenn wir keine konkreten Mengenangaben aus den Texten erfahren, bis auf gelegentlich ‚man nehme reichlich vom …‘, so können wir davon ausgehen, dass die Römer ihre Speisen, natürlich je nach Geldbeutel, grundsätzlich gerne kräftig gewürzt haben. Gewürze dienten damals als Statussymbol.“
Römische Orgien?
Der Pressereferent des archäologischen Parks mahnt aber zur Vorsicht, was die kulinarischen Darstellungen in lateinischen Texten wie dem überlieferten Werk „Gastmahl des Trimalchio“ aus dem „Satyricon“ von Petron betrifft: „Das sind oftmals Satiren, welche die herrschende Dekadenz in der reichen Bevölkerung hemmungslos überspitzen. Es ist irrig anzunehmen, dass damals beispielsweise lebende Singvögel beim Aufschneiden eines gebratenen Schwans herausflogen. Solche Eskapaden mögen vereinzelt bei den reichsten Bürgern Roms vorgekommen sein, mit der allgemeinen Realität hatte dies aber wenig zu tun.“ Auch der berühmt-berüchtigte Gänsefederkiel, der dem römischen Orgiasten durch Speien Erleichterung verschaffen soll, gehöre ins Reich der Überzeichnungen. Weitaus üblicher war in weiten Teilen der Bevölkerung als tagtägliche Mahlzeit die Puls, ein Getreidebrei auf Basis von Hafer, Dinkel, Emmer, Gerste oder Einkorn. Martell meint dazu: „Brot backen wurde tatsächlich erst im Lauf der Jahrhunderte üblich. Für die Puls wurde Getreide mit Wasser aufgekocht und mit dem verfeinert, was man so gerade da hatte. Das konnte beispielsweise Porree sein oder vielleicht auch ein bisschen Käse. Heute würde man das als herzhaftes Porridge bezeichnen.“ Käse habe es auch gegeben, z. B. als Handkäse aus Ziegenmilch. „Oder auch ausgesprochen köstlich – Moretum aus Schafs- oder Ziegenmilch mit Kräutern, das servieren wir auch in unserer Taverne mit Brot, kann ich nur empfehlen!“, schwärmt der Archäologe.
Foto: Armin Fischer
Kulinarisches Erbe der Römer
Kuhmilch gab es auch, aber diese diente eher in der Kälberzucht. Das bevorzugte Getränk war Wein, der allerdings gewässert wurde, und hier im Norden Cervisia, Bier. Und jetzt passend zur Weihnachtszeit: „Wein haben die Römer übrigens auch mit Honig gesüßt und beispielsweise mit Nelken gewürzt, unserem Glühwein nicht unähnlich.“
Dabei verdeutlicht der Archäologe: „Die überlieferten Rezepte, die wir von den Römern haben, stammen überwiegend aus Italien, wie beispielsweise das Kochbuch des Apicius. Wobei wir mit eben diesem unsere Schwierigkeiten haben, denn das berühmte Kochbuch aus dem 4. Jahrhundert wurde über mehrere Generationen verfasst. In der Geschichte kennen wir drei Apicius mit kulinarischem Interesse, und wer davon ausgerechnet der eine ist, bleibt unbekannt.“
Von kulinarisch ebenfalls großer Bedeutung ist der römische Feldherr und Gourmet Lucius Licinius Lucullus, von dem überliefert wird, dass er die Kirschen aus Kleinasien ins römische Reich brachte. Ingo Martell resümiert: „Als Erben des Lucullus brachten uns die Römer außerdem Obstsorten wie Äpfel, Aprikosen und Quitten und hinterließen uns insofern ein kulinarisches Kulturerbe, seien es Erdbeeren mit Pfeffer oder Schweineragout mit Aprikosen. Andererseits muss betont werden, dass es über mehr als 500 Jahre hinweg und über ein so großes Gebiet wie dem römischen Reich nicht die eine römische Küche gegeben hat, sondern sie sich den jeweiligen Gegebenheiten und örtlichen Nahrungsmitteln anpasste.“
Beitragsbild (oben): Armin Fischer – Die länglichen Lucaniae (Räucherwürste) bestanden aus Schweinehack mit etwas Speck und Pinienkernen, gehackten Lorbeeren, Pfefferkörnern, Kreuzkümmel, Petersilie, Bohnenkraut, Weinraute und Liquamen (Fischsauce).