Schäferstündchen im Havelland

Lebensmittelmagazin.de hat Osterlämmer in Berlin-Brandenburg auf den Frühlingswiesen besucht und sich mit dem Schäfer unterhalten.

Auf die Frage nach dem letzten Urlaub lacht Schäfer Björn Hagge: „Tatsächlich war ich vor drei Wochen mit meiner Frau auf Usedom für ein paar Tage, das erste Mal seit fünf Jahren. Sie hatte diesbezüglich Anspruch angemeldet. Das geht auch, man muss nur rechtzeitig für Vertretung sorgen. Aber ganz ehrlich“, er zeigt auf die Wiese mit blühenden Bäumen und grasenden Schafen unter einem strahlend blauen Himmel im Havelland, „wer braucht denn hier Urlaub?“

Eine Schafherde auf der Weide vor strahlend blauem Himmel

Unter Strom

Zusammen mit den Border Collies Julie, die mit 14 Jahren zwar den Hirten noch begleiten darf, aber nicht mehr aktiv mitarbeiten muss, und dem aufgeweckten fünfjährigen Rüden Jamie, geht es zu den Mutterschafen, die entweder jüngst gelammt haben oder kurz davorstehen. Bei er Ankunft schauen elf Muttertiere von ihren kleinen Lämmchen auf und blicken recht argwöhnisch drein. Zum Schutz der Tiere sind diese auf einem separaten Teil des Feldes, abgesperrt mit einem Elektrozaun, untergebracht. Aber es handelt sich nicht etwa um einen Elektrozaun, wie man ihn von der Koppel kennt. Björn Hagge zeigt auf einen besonders dicken Draht unten am Zaun: „Wölfe versuchen für gewöhnlich sich unter solchen Zäunen durch zu buddeln. Wenn der Wolf bei dem Versuch an den untersten Draht kommt, bekommt er einen elektrischen Schlag, sodass er von weiteren Plänen absieht. Normale Elektrozäune benötigen Erdung, was beispielsweise von der Luftfeuchtigkeit abhängt. Füchse sind da cleverer, die klettern flink auf einen Baum und sind im Nu drüben. Nur bei einer Wildschweinrotte hilft alles nichts. Pech für den ersten, der den Stromschlag abbekommt – aber der Rest rennt einfach durch.“ In einigem Abstand grasen und kauen trächtige Tiere, die aber noch ein bisschen Zeit bis zum „lammen“ haben.

Drei Muttertiere mit ihren Lämmern auf der Weide
Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de

Männlein und Weiblein

Björn Hagges 430 Tiere grasen in Parks und sonstigen Grünflächen in und um Berlin herum das gesamte Jahr über, Sommer wie Winter. „Im Winter versuche ich alle Tiere zusammenzuführen. Von Frühling bis Herbst werden die Tiere nach den Geschlechtern voneinander getrennt, um unkontrollierte Paarungen zu unterbinden.“ Die Böcke tragen untereinander ihre Rivalitäten aus, indem sie mit gesenktem Haupt, Hörner voran, aufeinander zu rasen und gegeneinanderstoßen. „Bei den Böcken ist das biologisch und physisch so vorgesehen, da sollte aber kein anderer dazwischen stehen“, meint der Schäfer. Der Großteil seiner Herde sind Tiere der schwedischen Rasse Guteschaf, deren Name sich von der schwedischen Insel Gotland ableitet. Sie sind die älteste Landschaftsschaf-Rasse und gelten als schwedisches Kulturgut. Anders als andere Schafrassen schieben sie die Wolle eigenständig ab. Der Schäfer erklärt: „Früher haben die Schweden die Tiere in der Ostsee gebadet, um das Fell zu reinigen und eine Woche später abzukämmen.“ Ein weiterer Unterschied: Die meisten Schafrassen können rund ums Jahr trächtig werden Hagges Tiere nur saisonal. Er erläutert dazu: „In den Herbstmonaten nehmen die Mutterschafe auf, das heißt, sie werden vom Bock geschwängert und tragen insgesamt fünf Monate, rund 150 Tage, bevor sie im Frühjahr lammen, die Osterlämmer eben.“ Die im Handel befindlichen Fleischlämmer, die jetzt zum Osterfest verzehrt werden, sind um Weihnachten herum geboren worden und haben in den vergangenen Wochen 40 bis 45 Kilogramm zugelegt. Hier in der Region sind die vorrangigen Schafrassen das aus Ostpreußen stammende Skudde-Schaf sowie das Rauhwollige Pommersche Landschaf.

Im Herbst lässt Björn Hagge vornehmlich die Bocklämmer schlachten, die bis dahin 12 bis 20 kg wiegen. Ihr Fleisch hat einen intensiveren Geschmack, der an Wildbret erinnert. Die weiblichen Jungtiere dienen der Verjüngung der Herde. Der Schäfer empfiehlt grundsätzlich Lammfleisch beim lokalen Direktvermarkter zu erwerben, da der Großteil der Ware aus dem deutschen Lebensmitteleinzelhandel aus Neuseeland stamme.

Schäfer, Beruf mit Zukunft?

Haupterwerb des Schäfers bleibt die Landschaftspflege. „Seit einem Jahr gibt es dafür zusätzlich eine Prämie der Europäischen Union.“ Gleichzeitig wachsen mit allgemeinem Wunsch nach Begrünung die Aufgaben für die Schafe. „Die Tiere halten die Grasnarbe kurz und fressen auch Kräuter, die andere Tiere vermeiden, wie das Jakobskreuzkraut oder den gefleckten Schierling. Durch die Fermentation beim Wiederkäuen werden die Gifte dieser Beikräuter ein wenig gemildert, sodass die Schafe anders als etwa Pferde nicht daran erkranken. Allerdings lagern sie Gifte durchaus ein.“ Durch die Vielfalt der Kräuter, welche die Tiere fressen, fördern sie gleichzeitig die Biodiversität. Wissenschaftler:innen konnten in einem Schaffell mehr als 20.000 Samen nachweisen, welche von den Tieren weitergetragen werden. Die Wolle selber hat kleine Widerhaken, welche Pflanzenteile festhalten.

Abgesehen von Parkanlagen weiden die Tiere auf den Grünflächen von Bauern „Gerade für Landwirte ist die Winterweide der Tiere von Vorteil, da sie zum einen die Erde verdichten und zum anderen die Wühlmäuse vertreiben. In der Nähe von Herden lassen sich deswegen oft Füchse, Marder und Greifvögel beobachten, für die die Wühlmäuse primäre Nahrungsquelle sind“, erklärt der Schäfer.

Der Schäfer streichelt eines seiner Schafe.
Schäfer Hagge mit einem seiner Schafe, das den passenden Namen „Wolke“ trägt.
Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de

Abfallprodukt Wolle

Nur reich wird er mit seiner Arbeit nicht. Auch wenn Wollgarne im Einzelhandel beispielsweise gar nicht so günstig sind, so ist der Rohstoff Wolle eigentlich ein Abfallprodukt. Das Teure am Produkt sind die Zwischenschritte – das Waschen, Kämmen, Spinnen und Färben. „Am günstigsten für mich ist es, wenn die Schafe ihre Wolle abschieben und beispielsweise im Gebüsch verlieren und Vögel dies für den Nestbau benutzen.“ Die Arbeitszeit, die Tiere zu scheren, stünde in keinem Verhältnis zum Ertrag. Aus der Lust heraus ist er trotzdem für einen Obolus an einem lokalen Wollprojekt beteiligt. Er ist davon überzeugt: „Die Arbeit als Schäfer muss aus der Leidenschaft herauskommen, daran muss man Spaß haben.“ Was direkt auffällt: auch wenn die Arbeit mit den Schafen mit viel Aufwand verbunden ist – der Schäfer gibt z.B. zu bedenken, dass er bisweilen noch um 23 Uhr bei den Tieren ist – allein der Anblick der friedlich grasenden Tiere wirkt unheimlich beruhigend und pulssenkend. „Wenn wir in den Parks sind, kommen die Leute in der Mittagspause, um beim Anblick der Tiere runterzufahren. Stress kenne ich eigentlich nur, wenn ich bei der Fahrt von der einen Herde zur anderen im Verkehr stecken bleibe“, meint Schäfer Björn Hagge.

Artikel-Teaserbild (oben): Peter Kensbock – stock.adobe.com

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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