Rund um den Lebensmittelgipfel letzte Woche wurde viel über Wertschätzung diskutiert – für Lebensmittel, aber auch deren Produzenten. Aber wie kommt man zu mehr Wertschätzung? Darüber hat Christoph Minhoff mit Agrarpolitiker Dr. Gero Hocker gesprochen.
Drei Monate nach dem Agragipfel und knapp eine Woche nach dem Lebensmittelgipfel im Kanzleramt war Dr. Gero Hocker, Landwirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, zu Gast in unserem Polit-Talk „Berliner Rezepte“. Mit ihm hat Christoph Minhoff über die Bedeutung von Kompromissen in der Politik, über das Ansehen von Wissenschaft und über den Weg zu mehr Wertschätzung für Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion gesprochen.
Wertschätzung für die Wertschöpfung
In den Diskussionen der letzten Wochen und Monate über vermeidbare Lebensmittelabfälle, aber auch um Lebensmittelpreise fiel immer wieder ein Begriff: Wertschätzung. Wertschätzung für die Lebensmittel, aber auch für die, die sie herstellen: Für die Landwirte, die im November 2019 und Januar 2020 mit Trecker-Sternfahrten nach Berlin auf ihre Situation hingewiesen hatten, aber ebenso für das Lebensmittelhandwerk und die Lebensmittelindustrie, durch deren Arbeit aus vielen Rohstoffen überhaupt erst Lebensmittel werden.
Ein Grund für die in Teilen verloren gegangene Wertschätzung sei die wachsende Entfernung und damit auch Entfremdung der Endverbraucher:innen von der Produktion, so Agrarpolitiker Hocker im Talk: „Da gibt es Prozesse der Urbanisierung, dass immer mehr Menschen in die Städte ziehen, immer weniger auf dem Land leben, damit auch eine Entfremdung stattfindet zwischen zwei oder noch mehr Lebenswelten.“ Zudem führe die ständige Verfügbarkeit aller erdenklichen Produkte für alle Lebensstile dazu, dass diese Situation als absolute Normalität begriffen und nicht hinterfragt werde.
„Etwas, was im Überfluss verfügbar ist, genießt meistens nicht dieselbe Wertschätzung, wie etwas, was Mangelware ist.“
Dr. Gero Hocker, Landwirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion
Wertschätzung für Demokratie
Dies treffe aber nicht alleine auf das Lebensmittelangebot zu, sondern lasse sich auch auf die Demokratie übertragen: „Die Zustimmung zur Demokratie ist in Umfragen nie kleiner gewesen als gegenwärtig. Es gibt noch ein kleines Ost-West-Gefälle, aber auch das macht mir Sorge. Je länger es über viele Jahrzehnte mittlerweile Redefreiheit, Pressefreiheit, freie Wahlen, geheime Wahlen gibt, sinkt auch die Wertschätzung für diese Prozesse, für die in anderen Ländern Menschen ihr Leben riskieren teilweise oder ihr Leben riskieren, um zur Wahl zu gehen.“ Hier bestehe eine große Herausforderung für die gesamte Gesellschaft: „Das müssen wir wieder versuchen zu lernen, zu wertschätzen, was wir an Demokratie und genauso auch an der Versorgung mit Lebensmitteln haben.“
Wir müssen wieder lernen zu wertschätzen, was wir an Demokratie und genauso auch an der Versorgung mit Lebensmitteln haben.
Dr. Gero Hocker im Talk „Berliner Rezepte“.
Manchmal einen Gang zurückschalten
Und auch die Politik stehe in der Verantwortung. Hocke kritisierte, dass sich Politiker:innen vermehrt Empörungs- und Aufmerksamkeitsprozessen hingegeben. Dadurch würden Debatten schärfer und verkürzt geführt. Komplexere Diskurse auf Grundlage von Wissenschaft würden dadurch seltener: „Da sind auch alle Demokraten aufgerufen, abzurüsten. Nicht nur nach der nächsten Schlagzeile gucken, sich auch vielleicht mal Zeit nehmen, Dinge auch selber sacken zu lassen. Und wenn es dann heißt: Die Meldung muss um 11 Uhr raus sein, du musst dich mit dem Zitat geäußert haben. Dann sollte man es vielleicht auch einfach mal sein lassen, wenn man nicht in der Lage ist, in der Kürze der Zeit die tatsächlichen Aussagen bis ins Detail zu durchdenken.“
Eine Stimme für die Lebensmittelwirtschaft
An die Teile der Wertschöpfungskette plädiert Hocker, geschlossen aufzutreten: „Da ist man in einer Schicksalsgemeinschaft, da sitzt man in einem Boot, gar keine Frage. Ich glaube, dass es schlau wäre, wenn all die vor- und nachgelagerten Bereiche gegenüber Politik sich auch gemeinsam mit Landwirtschaft als ein Bereich verstehen würden und ihre Interessen auch gemeinsam vortragen würden. Weil sonst hat man allzu leicht den Eindruck, da sind die Lieferanten und da sind Saatguthersteller und da sind die und da sind die Landwirte. Wenn Landwirte gegenwärtig auf die Straße gehen, dann gehen die für die gesamte Ernährungswirtschaft, wenn man so will auf die Straße. Und deswegen halte ich nichts davon, das zu separieren.“
Den kompletten Talk mit Gero Hocker gibt’s hier und auf dem YouTube-Kanal von lebensmittelmagazin.tv:
https://youtu.be/N757HNp-BcA
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Was Hockers Amtskollegen, die agrarpolitischen Sprecher der CDU-/CSU- und SPD-Bundestagsfraktionen, zu den Bauernprotesten sagen, gibt es in den letzten beiden Folgen: