Mitten in Rixdorf (Berlin-Neukölln) kocht ein Ritter die beste Blutwurst Europas. lebensmittelmagazin.de hat die Blutwurstmanufaktur besucht und in die Wurstküche geschaut.
Wie in einen nostalgischen Traum vergangener Kindertage versetzen einen die geometrisch angeordneten Würste – fleischigem Stuck gleich – vor nostalgischen weiß-blauen Fliesen. Zarte Wiener Würstchen, geräucherter Schinkenspeck, Fleischwurst, Aufschnitt mannigfaltiger Art, mittendrin die große Auswahl an Blutwürsten, dann Bratwurstschnecken, Schaschlik und viele andere Leckereien fürs Barbecue, bis hin zur geräucherten Kasslerrippe – buchstäbliche Fleischeslust windet sich schwungvoll auf zehn Metern Frischetheke.
Wie viele Kunden denken wohl zurück an die Einkäufe mit der Großmutter, wenn sie fürs Wochenende eingekauft hat? Gerade bedient die Fleischfachverkäuferin einen Kunden, der sie um Schweinefüße bittet. Mit einem „Sehr wohl“, greift sie in die Theke und verpackt das gewünschte. Der Kunde verlässt den Laden und lässt die Frage offen zurück, was er damit wohl zubereitet.
Metzgermeister aus Überzeugung
Metzgermeister Marcus Benser ist sich sehr wohl bewusst um seine Einzigartigkeit. „In ganz Berlin findet man vielleicht zwanzig Metzgereien dieser Art. Ich gehe davon aus, dass es sich hierbei um dieselben Überzeugungstäter wie bei mir handelt. In Süddeutschland gehört der Gang zum Metzger noch zur Lebensart. Ansonsten ist Metzger ist ein unzeitgemäßer Beruf – harte Arbeit für wenig Geld. Der Zeitgeist geht eben weg von Handwerk und Industrie hin zur Dienstleistung. Was man aber nicht vergessen darf, auch für das in der Kühltheke abgepackte Discounter-Schnitzel muss irgendjemand das Schwein töten und zerteilen.“
Vom Banker zum Ritter
Seine eigenen Kinder sind zwischen 12 und 16 Jahre alt. Sie finden die Arbeit ihres Vaters gut, wenngleich ebenfalls unzeitgemäß. In der Ecke hängt über der Frischetheke ein Foto aus der Zeit der Jahrhundertwende von der Familienmetzgerei in Weimar. „Wir sind in der siebten Generation. Ich wollte Metzger werden, schon mein Vater wollte das eigentlich nicht.“
Ursprünglich hatte er eine Lehre als Bankkaufmann bei der Dresdner Bank gemacht, empfand die Arbeit jedoch als unbefriedigend. „Mein Vater zog mich quasi danach in seinen eigenen Betrieb, um mir zu zeigen, wie töricht meine Entscheidung gegen den Bankberuf war.“ Es folgte ein Jahr harte körperliche Arbeit von morgens 6 Uhr bis abends um 7 Uhr. „Hat nur alles nichts gebracht, ich habe inzwischen meinen eigenen Betrieb mit 15 Männern, in Spitzenzeiten 25.“
Europas beste Blutwurst
Er kann von sich behaupten, die beste Blutwurst Europas herzustellen, bereits mehrfach hat er die Blindverkostung der Confrérie des Chevaliers du Goûte-Boudin gewonnen und ist längst selber zum Blutwurstritter geschlagen worden. Die Arbeit mag hart und unzeitgemäß sein, aus dem Erfolg und der Genugtuung, mit eigenen Händen etwas geschaffen zu haben, zieht er seine Motivation.
„Und das sollte auch der Schlüssel sein, die Jugendlichen wieder für das Handwerk zu begeistern.“
Metzgermeister und Blutwurstritter Marcus Benser
Jugendliche und Blutwurst? „Zugegeben, als ich meine Frau kennen lernte, sagte ich auch, dass ich eine Banklehre gemacht habe“, schmunzelt Marcus Benser. Dabei ist die Blutwurst wie kaum eine andere Wurst seit Preußens Glanz und Gloria mit Berlin verbunden.
Mit den Hugenotten kam die Blutwurst nach Berlin
„Denken Sie doch nur daran, wie sehr Friedrich II von seinen sturen Brandenburgern genervt war.“ Mit Voltaire und den Hugenotten zog Weltläufigkeit ins provinzielle Preußen und mit ihren ganzen Traditionen eben auch die Boudin noir, die Blutwurst mit. Gerade hier in Rixdorf mit seinem böhmischen Dorf, das waren die böhmischen Protestanten, die im 17. Jahrhundert vor den katholischen Herrschern vor Ort flüchteten. Im Zuge des 19 Jahrhunderts und seiner Industrialisierung wuchs eine starke Arbeiterklasse hier in Berlin. Die mussten versorgt werden, mit günstigem und nahrhaften Essen, da kam die Blutwurst gerade recht. So verewigte 1916 Heinrich Zille die Blutwurst mit:
Meine Wurscht is jut –
wo keen Fleesch is – da is Blut –
wo keen Blut is – da sind Schrippen –
an meine Wurscht is nich zu tippen!
Blutwurst: Lieben oder hassen
„Na gut, im Laufe der letzten Jahrzehnte verkam Blutwurst zum verpönten Kantinenessen oder zum Schrecken der Schulspeisung. Man liebt es oder hasst es!“ Der Blutwurstritter zwinkert:
„Unser Erfolgsgeheimnis sind keine sichtbaren Fettstückchen.“
Tiere fast restlos verarbeitet
Hinter dem Verkaufsraum jenseits des Innenhofes liegt die Schlachterei, in der die Schlachtteile vom Schlachthof gegen 6 Uhr morgens angeliefert werden, um dann vor Ort in Würste und Fleischteile weiterverarbeitet zu werden. An der Decke hängen massive Haken an denen die großen Tierhälften hin zum 6 Quadratmeter großen Zerlegetisch transportiert werden. An der Wand hängen die Edelteile, Rücken und Filet. Weiter vorbei an Wannen mit Fleisch, abgepacktem Blut und Schwarte für die Würste, hinter dem Kutter und der Wurstspritze, kochen in riesigen Kesseln die Blutwürste bei 80 Grad für eine Dreiviertelstunde. An einem Transportwagen hängen die Räucherwaren, Würste und Fleisch.
„Bei uns werden die Tiere zu 98 Prozent verarbeitet”,
erklärt der Metzgermeister.
Feine Struktur, kräftiges Aroma
Zum Abendessen steigt der feinwürzige Duft von Piment in die Nase von der zart angebratenen Blutwurst auf Apfel-Kartoffelpüree, sogenanntes „Himmel und Erde“, mit angebratenen Apfelwürfeln und Zwiebeln. Beim Anstich der Wurst quillt der schwarze Fleischbrei heraus über die Kartoffeln. Das kräftige Aroma seiner Blutwurst ist zusammen mit der eher feinen Struktur, die trotzdem Biss hat, ein Genuss – wie versprochen ohne Speckstückchen.
Europäisches Kulturgut in Gefahr?
Der Zeitgeist geht weg vom Handwerk und hin zu Dienstleistung. auch wenn im vorletzten Jahr der Gesamtumsatz der Metzgereien um 4,7 Prozent auf 17,04 Milliarden Euro stieg, schlossen bundesweit 437 Fleischereibetriebe.
Man muss sich dabei vor Augen führen, dass Blutwürste zu den ältesten europäischen Kulturgütern zählen. Bereits im 8. Jahrhundert vor Christus wurde die Blutwurst erwähnt. Prominenter ist die Erwähnung in der Odyssee, wo bei der Wiederkehr des Odysseus, Antinoos den übrigen Freiern der Penelope ein Abendmahl mit Blutwurst serviert:
Hier sind Ziegenmagen, mit Fett und Blute gefüllet,
Die wir zum Abendschmaus auf glühende Kohlen geleget.
Wer nun am tapfersten kämpft und seinen Gegner besieget,
Dieser wähle sich selbst die beste der bratenden Würste.