Rot, saftig, süß – jetzt gibt es für einige Wochen wieder heimische Erdbeeren. Rund 3,5 Kilogramm verzehrt der/die Deutsche durchschnittlich pro Jahr. Archäologische Funde beweisen, dass die Frucht (eigentlich eine Nuss) seit der Steinzeit auf dem Speisezettel steht. lebensmittelmagazin.de schaut sich den Hype um das erste Sommerobst mal genauer an.
Draußen irgendwo hinter Spandau, vor den Toren Berlins, liegt Karls Erdbeer-Erlebnisdorf. Kaum tritt man durch das Eingangstor, findet man sich in der riesigen Einkaufshalle wieder. Fast schwinden einem die Sinne, wenn die Lüftung die zuckrige Erdbeerabluft der Bonbon-, Marmeladen- und Fruchtgummishowküche am Eingang entgegenbläst. Oberhalb der Verkaufsstände sammeln sich 40.000 Kaffeekannen entlang der Wände in erheblicher Höhe zum Weltrekord.
Willkommen im Erdbeerparadies!
Ähnlich gigantobombastisch erscheint das Sortiment, dass sich in den Regalen und auf den Tischen sammelt. Es gibt hier buchstäblich nichts, was es nicht mit Erdbeere gibt. Von Klassikern wie Erdbeerwein und Erdbeersecco, Süßigkeiten en masse, bis hin zu Keramik, Mode, Spielzeug und vielem mehr wird man hier fündig. Unmittelbar daneben lädt die großräumige Hofküche zum Gaumenschmaus über Erdbeeren hinaus ein, sodass man innerhalb dieses Konsumtempels gefangen, verführt und leicht verirrt ist. Angesichts des Angebots in der schier unübersichtlichen Halle wird deutlich, dass hier ein gewaltiger Erdbeerkult aufgebaut wurde.
Ist das noch Kundenbindung?
Außerhalb findet man sich zunächst auf einem sonnigen Plaza wieder, in dessen Mitte auf einem Display der Besitzer Robert Dahl die Geschichte und seine Vision von Karls Erdbeeren erzählt, Legendenbildung rund um die Erdbeere. Der charakteristische Karls-Erdbeerhof-Verkaufsstand entstammt beispielsweise der britischen Tennisanlage von Wimbledon, von der aus während des Spiels Erdbeeren mit Schlagsahne verkauft werden.
Die Grundlagen für sein Kult-Marketing, basierend auf Handel, Gastronomie und Erlebnis, beschreibt Robert Dahl mit sechs Adjektiven: Kreativ, authentisch, familiär, großzügig, liebevoll und augenzwinkernd. Der Freizeitpark setzt auf Edutainment. Neben Attraktionen wie der Kartoffel-Achterbahn, einem Wasserkarussell, einigen Spielplätzen Autoscooter und der Eiswelt gibt es aber auch einen Kinderbauernhof und ein Bienenmuseum. Zwischendrin läuft Karlchen, das Maskottchen herum, eine Kreuzung aus Erd- und Teddybä/eer.
8 Millionen Erdbeeren jährlich
Ein Detail war recht bemerkenswert: Auf dem gesamten Gelände des Erdbeer-Erlebnisdorfs fand sich keine einzige frische, unverarbeitete Erdbeere, geschweige denn ein Erdbeerfeld, auf dem die Früchte wachsen würden. Lediglich ein typisch erdbeerförmiger Verkaufsstand fand sich unmittelbar vor dem Eingang neben der Ticketbude. Von den Erdbeer-Häuschen gibt es übrigens im gesamten norddeutschen Raum sowie Berlin und Leipzig 400 Stück, in denen laut eigenen Angaben 8 Millionen Erdbeeren jährlich über die Theke gehen. Inwieweit geht der Kult über die bloße Kundenbindung hinaus?
Luxusgut Erdbeere in Japan
Weniger spektakulär als Karls Erdbeer-Rummel, aber in seiner schlichten Schönheit mindestens genauso imposant, ist der japanische Erdbeerkult. Jetzt zur Erdbeerzeit servieren auch hier japanische Restaurants und Cafés wie das Kame in Berlin-Mitte eine besondere Delikatesse: Daifuku, Erdbeermochis. Das sind gedämpfte Reismehlklöße mit süßer Bohnenfüllung und Erdbeeren.
Tomoyuki Ueno ist japanischer Künstler und lebt seit elf Jahren in Berlin.
„Erdbeeren und überhaupt Obstanbau in Japan unterscheidet sich grundlegend von dem hiesigen Obst. Erdbeeren gelten als Luxusprodukt“.
Tomoyuki Ueno, Künstler aus Japan, der in Berlin lebt.
Weil Japan so gebirgig ist, gäbe es nur wenig Anbaufläche. Deswegen würde bei der Obstzucht besonderer Wert auf die Aromaintensität und herausragende Qualität der jeweiligen Sorten geachtet. UV-Bestrahlung aus LED-Lampen, Kontrolle der Feuchtigkeit, Sauerstoffsättigung und die sorgsame Pflege der einzelnen Früchte sorgen dafür, dass Erdbeeren einzeln in Schaumstoff verpackt für vier bis 10 Euro das Stück verkauft werden. Wertschätzung und vor allem Anspruch gegenüber Obst wie Erdbeeren stehen in keinem Verhältnis zu hiesigem. Allerdings dienen sie dort eher als kostspieliges Geschenk. Für den alltäglichen Verzehr greifen die Japaner auf Importware zurück.
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