Mehr Naturprodukt als Wildfleisch geht nicht. Die diesjährige Jagdsaison läuft aktuell. Wie so eine Jagd abläuft und woher man gutes Wildfleisch bekommt, zeigen wir hier.
Warnhinweis: Der folgende Artikel enthält Fotos von der Jagd und detaillierte Beschreibungen des Ausnehmens (Aufbrechens).
Der Wind kommt heute aus Osten, eher ungünstig: „Die Kanzeln, Hochsitze“, erklärt Jägerin Anna Martinsohn, „sind nach Nordwesten entgegen dem Wind ausgerichtet, damit das Wild keine Witterung aufnehmen kann“. Sie telefoniert kurz mit der Pächterin und findet einen geeigneten Standort für die heutigen Bedingungen. Auf dem Weg vom Auto zum Hochsitz hält sie immer wieder inne: Frische Spuren von Rehwild, wenige Schritte weiter auch Schwarzwild, Wildschweine. Auf den Äckern blüht üppig die Zwischenfrucht, Gründünger, ein festlich gedeckter Tisch für Wild also.
Die Stille vor dem Schuss
„Hat den Nachteil, dass die Tiere zum Äsen an der Stelle bleiben können und sich nicht großartig bewegen müssen.“ Der Hochsitz selber bietet rundum Ausblick. Kalt schneidet der Ostwind ins Gesicht. Nach einer Viertelstunde erscheint auf 300 Metern Entfernung ein Reh. Sofort hat die Jägerin das Gewehr im Anschlag und beobachtet das Wild durchs Visier. Anna Martinsohn erklärt, dass man Weibchen am Spiegel mit Schürze, also am Hinterteil mit einer Verlängerung nach unten, erkennt. Doch die Distanz sei zu weit, um einen Schuss zu versuchen. Durch das Wärmebildfernglas erkennt man in der Entfernung anhand weißer Punkte im Bild Wildschweine.
Ein Wildruf ähnlich dem Hundebellen ist von der Richtung der Rehe aus dem Wald zu hören. „Das ist der Warnruf der Rehe, wahrscheinlich werden sie durch die Wildschweine gestört“, vermutet die Jägerin. Während Rehwild immer dieselben Wege für den Wechsel nimmt, seien Wildschweine diesbezüglich unberechenbar. “So kann man dann beispielsweise schon ein paar Tage vor Beginn der Jagdzeit die Tiere auskundschaften, um sich für die passende Zeit an den passenden Ort zu bereitzuhalten“, erklärt Anna Martinsohn.
Die blaue Stunde
Die Sonne geht unter und schickt ihre letzten goldenen Strahlen über die Felder. Über dem kleinen Kanal unterhalb der Kanzel steht bereits der Mond fast voll und leuchtend.„Das ist jetzt die blaue Stunde, hier wird vermutlich gleich die Post abgehen“, meint Anna Martinsohn. Durch das Wärmebildfernglas sieht man ein Rudel Wildschweine auf die Distanz am gegenüberliegenden Waldrand. Die Bewegungen auf dem Hochsitz sind nur noch minimal. Der Wind rauscht übers Feld, ab und an hört man ein leises Rascheln von Vögeln. Ansonsten herrscht Ruhe, aber sie ist keineswegs friedlich. Es ist ein Warten auf den richtigen Moment.
Dann auf einmal knackt es: Wie aus dem Nichts, direkt unterhalb des Hochsitzes, laut und deutlich – das ist kein Vogel! Einen Sekundenbruchteil später schaut Anna Martinsohn auf und lächelt. Ein Adrenalinschub geht durch sie durch. Rasch ist das Gewehr im Anschlag und die Jägerin erfasst ihre Beute im Visier. Kopf und Nacken sind erregt angespannt. Anna Martinsohn ärgert sich, aber nimmt es sportlich: Ricke und Bambi sind zu tief in der Zwischenfrucht, ein gezielter Schuss ist nicht gewährleistet. Ricke und Kitz sind wieder verschwunden. „Rehe sind Geister“, meint die Jägerin.
„Hopp-Hopp!“
Jagdhund Abby, die Bracco Italiano von Anna Martinsohn, hält es kaum bei Fuß. Heute ist große Treibjagd im Schönower Wald bei Schwedt an der polnischen Grenze. Zur Begrüßung haben sich 40 Jäger und 20 Treiber am Schlosspark von Schloss Schönow versammelt. Die Treiber tragen aus Sicherheitsgründen leuchtend orange, damit die Jäger sie rechtzeitig vom Wild unterscheiden, wenn sie durchs Dickicht knacken.
Jagdherr Hendrik Schuchardt und Jagdleiter Marcus Görner begrüßen Jäger und Treiber zum Waidmannsheil, unterweisen die Sicherheitsbestimmungen und ermahnen beim Erfassen der Tiere „von Klein nach Groß“ auszuwählen, vorrangig um keine Muttertiere zu erlegen.
Nachdem sich die Jäger zu ihren Hochsitzen aufgemacht haben, ist es für die Treiber langsam an der Zeit loszugehen. An der Waldkante stellen sie sich auf Abstand von ungefähr 30 Metern in Linie. Sie scheuchen das Wild auf, um es in Richtung der Jäger zu treiben. Mit „Hopp-Hopp““ geht es voran, über Stock und Stein, durch Brombeerranken und peitschende Äste. Zwischendurch zeigt Anna Martinsohn auf zu Stumpen heruntergefressen Nadelbäume. „Das hat nichts mit trockenem Sommer zu tun, das ist schlicht Wildverbiss.“
Auf einer leicht ansteigenden Kurzumtriebsplantage, Ackerland für schnell-wachsendes Brennholz, geschieht es: Zwischen den nebligen Bäumen springt wenige Meter vor den Treibern ein Rehbock hervor, durchmisst die komplette Front, bevor er wenige Sekunden später wieder zwischen den Bäumen verschwindet. Ein paar Minuten später treffen die Treiber auf den ersten Hochsitz am Rande der Plantage. Fast stolpern sie über die vier erlegten Frischlinge, die nebeneinander am Boden liegen. Zuvor war kein Schuss zu hören, denn der Jäger hatte einen Schalldämpfer verwendet.
Unsichtbare Gefahr für deutsche Schweine
Jagdherr Hendrik Schuchardt machte frühmorgens zur Begrüßung Schwarzwild zum großen Thema. Hier in Schwedt, kurz vor der Grenze sind es weniger als 100 km zu den Ausbrüchen der afrikanischen Schweinepest in Polen. Die Jäger werden darauf sensibilisiert, sich auf den ausliegenden Broschüren umfassend über Symptome und Verhalten zu informieren. Der Kehldeckel sei bei erkrankten Tieren mit kleinen Einblutungen übersät und die Leber habe pilzartige aufgewölbte Kanten.
Torsten Reinwald, Pressesprecher des deutschen Jagdverbands erklärt dazu:
„Jäger haben die Möglichkeit, als erste einen Ausbruch der Krankheit zu entdecken. Früherkennung ist in dem Fall das A und O.“
Tatsächlich bedeutet die afrikanische Schweinepest eine große Gefahr für Schweinezuchtbetriebe. Im Falle eines Ausbruchs in Zuchtbetrieben müssten neben der Vernichtung aller Schweine des Betriebs ein Sicherheitsradius und 15 Kilometer sowie einer Pufferzone von 30 Kilometer mit Handels- und Transportverbot errichtet werden.
Dabei ist es so, dass sich die Übertragung von Tier zu Tier nur sehr langsam entwickelt, während menschliches Fehlverhalten mit die Hauptursache für eine Verbreitung ist. Nicht erhitzte Lebensmittel von betroffenen Tieren, Räucherware wie Schinken oder Salami werden teilweise achtlos in der Natur entsorgt. Typisches Beispiel: Nach einer Frühstückspause am Rastplatz wirft der Fahrer seine Salamibrötchenreste ins Gebüsch, wo sie von Wildschweinen gefressen werden. So oder ähnlich muss der Hergang sein, weswegen bisher Deutschland verschont blieb, dafür die Krankheit in Belgien ausgebrochen ist. Für Menschen und andere Heimtiere bestünde keinerlei Gefahr, erklärt Anna Martinsohn.
Aufbrechen
Die Treiber stoßen auf ein frisch geschossenes Reh. Gemeinsam tragen sie das noch warme Tier zum Hochsitz des Jägers. Nach kurzer Absprache zückt Anna Martinsohn ihr Jagdmesser und stößt es durch die Fesseln der Hinterläufe. Dann nimmt sie einen Stock und schiebt ihn durch, um das Tier am Hochsitz aufzuhängen. „Das traditionelle Aufbrechen findet am Boden statt, so aufgehängt kann ich die Schwerkraft nutzen“, erklärt die Jägerin. Auch das „Ringeln“ scheint für die übrigen Jäger eher ungewöhnlich zu sein. Mit dem Messer fährt die Jägerin ums Waidloch, dem Anus des Rehs herum, um den Enddarm vom übrigen Bindegewebe zu lösen.
Dann übergibt sie das Jagdmesser: „Beherzt bis zum Äser runter! Das wichtigste ist, dass du die Innereien nicht mit der Messerspitze verletzt.“ Mit Zeige-, Mittel- und Ringfinger bildet sie einen Trichter, „das hältst du so über die Messerspitze!“ Beim Waidloch angesetzt, bieten Haut und Fleisch des Tieres etwas Widerstand, dafür zieht das Messer fließend durch die Bauchdecke wie Stoff. Allerdings wird der Schnitt schräg, was der alte Jäger und Anna Martinsohn etwas bemängeln, aber fürs erste Mal durchgehen lassen. Jetzt wird der Vorteil des Aufhängens deutlich: Die Innereien drücken heraus und müssen vorerst noch zurückgehalten werden, um beim weiteren Schnitt sauber arbeiten zu können. Danach fallen sie mühelos zusammen mit dem vorher sorgsam nach innen gezogenen Enddarm auf den Waldboden. Der Blattschuss ging schräg und riss den Pansen ein Stückchen auf. Leuchtend grün präsentiert sich die letzte Mahlzeit des Rehs.
Zusammen mit dem Blut, das aus dem Schnitt herausfließt, breitet sich ein sehr warmer, erdiger, aber eigentümlicher Geruch aus. Einmal alles raus, liegt jetzt das Fleisch ziemlich sauber aber noch kompakt vor. „Der große Vorteil dieser Variante des Ringelns gegenüber dem traditionellen Aufbrechen bleibt die Tatsache, dass so die Keulen vor dem Austrocknen geschützt bleiben.“
Aufbruchpause
Der Hochsitz liegt am Waldrand, gegenüber liegt die Bahntrasse von Stettin nach Berlin. Eine Rotte Wildschweine läuft am angrenzenden Waldrand, zu weit zum Schießen. Später läuft auch Muffelwild, weit hinten über die Weide. Beim anderen Hochsitz liegt pünktlich zur allgemeinen Aufbruchpause ein geschossener Frischling, dessen Fleisch noch versorgt werden muss. Die Treiber hängen ihn an den Ast eines umgestürzten Baumes, beste Arbeitshöhe. Beim Aufschneiden wird deutlich, dass der Schuss den Darm verletzt hat, nichts Gravierendes, aber das Fleisch muss in der Wildkammer mit Wasser ausgespült werden, befindet Anna Martinsohn, auch wenn der alte Jäger das ein bisschen anders sieht. Die Treibjagd neigt sich dem Ende entgegen.
Auf der Strecke geblieben beim Hahn in Ruh
Nach dem gemeinschaftlichen Mittagessen zeigt Hendrik Schuchardt seine Wildkammer: „Damals nach der Wende kaufte mein Großvater das das Revier hier und den Landgasthof gab es im Paket dazu. Der alte Förster Armin Schreiber unterstützte ihn dabei und half diese Wildkammer einzurichten“, erzählt der Jagdherr. Mit allerlei technischen Raffinessen ausgestattet, wie der justierbaren Führungsschiene zum Aufhängen des Wildes über den extra eingerichteten Raum zum Wursten, kann sich die Wildkammer hervorragend sehen lassen.
Nachmittags endet die Jagd mit dem Hahn in Ruh. Aus Tannenzweigen liegt ein Karree auf dem Schlosspark. Lodernde Holzstämme, Schwedenfeuer markieren die Ecken und wärmen die umstehenden Jäger. Innerhalb dessen werden sukzessive die erlegten Wildtiere als Strecken abgelegt. Die Jagdbeute ist enorm: 12 Rehe, 35 Wildschweine, 6 Mufflons und 8 Füchse, insgesamt 61 Tiere. Aufsehen erregt der Transport von zwei riesigen Keilern, die mehrere Männer zusammen tragen mussten. Der größere von beiden wiegt 110 Kilogramm.
Der Jagdherr verliest für jede Wildart die jeweiligen Jäger mit Anzahl der erlegten Beute. Sie treten hervor und erhalten den Erlegerbruch, einen Tannenzweig, den sie sich an den Hut stecken während die Jagdhörner für jede Wildart mit eigenem Wildsignal die letzte Ehre erweisen. Zuletzt wird die Jagd abgeblasen. In der Dämmerung ertönt das Halali.
Wild auf Wild
Dem Genuss von Wildfleisch stehen die Deutschen ambivalent gegenüber. Von den 60 Kilogramm Fleisch, die jede:r Deutsche durchschnittlich pro Jahr zu sich nimmt, liegt der Anteil von Wildfleisch bei lediglich einem Kilogramm, oftmals ist es die Rehkeule in der Weihnachtszeit. Angesichts der gesellschaftlichen und politischen Diskussion um die Tierhaltung, fehlt den Jägern dafür das Verständnis. Wild ist hochwertiges aromatisches Fleisch mit ausgezeichneter Fett- und Nährstoffzusammensetzung. Als Teil der Forstarbeit müssen die Tiere auf jeden Fall geschossen werden, um das ökologische Gleichgewicht zu regulieren, bei Rehwild etwa um Flurschäden zu vermeiden. Die natürlichen Fressfeinde fehlen aufgrund des menschlichen Eingriffs in die Natur. Die von Jagdgegnern proklamierte Selbstregulierung habe dementsprechend keine Möglichkeit zu greifen. Auch die Jagd auf Füchse ist notwendig: „Die Tollwut ist ausgestorben. Früher brachten solche Seuchenwellen eine natürliche Dezimierung mit sich. Jetzt lässt sich feststellen, dass sich die Fuchspopulation seit den 80er Jahren verdreifacht hat“, erklärt Torsten Reinwald.
Das einzige Hindernis bei Wildfleisch sei seine Saisonalität. „Wir haben ein Naturprodukt, welches das Jahr über eben nicht dauerhaft gewährleistet ist. Damit ist es schwierig, dies im Supermarkt unterzubringen. Wildfleisch im Supermarkt ist meistens Importware aus Gehegezucht“, so Torsten Reinwald. Auf der Internetseite Wild-auf-Wild.de können Verbraucher:innen anhand der Postleitzahl direkt Kontakt zum regionalen Jäger aufnehmen und im Onlineshop bestellen. Auch Anna Martinsohn, die beim Deutschen Jagdverband für den Social-Media-Auftritt verantwortlich ist, verteidigt das Jagen:
„Unsere erste Verantwortung ist es, das Tier mit einem sauberen Schuss einen qualfreien Tod zu geben. Direkt danach gilt es, das Fleisch hygienisch und sicher zu verarbeiten.“
Die Jägerin setzt sich aus ökologischen und Sicherheitsgründen für bleifreie Munition ein, die trotzdem die gleiche Schussqualität gewährleistet. Aber sie sieht das langsame Umdenken und den geistigen Generationswechsel der Jäger.