Keine Bowl, keine Sushiplatte, kein Salatteller ohne Avocado, keine WG-Party ohne Guacamole. Doch die Trendfrucht gilt bei vielen als „Guilty Pleasure“: Zwar lecker und vielseitig, aber weder ökologisch nachhaltig noch politisch korrekt. In Amsterdam gibt es ein hippes Restaurant, bei dem buchstäblich kein Gericht ohne Avocado auskommt, das dafür aber auf seiner Webpage mit Nachhaltigkeit wirbt. Was ist das Konzept dahinter?
Fun fact: Obwohl der Name Avocado in der Ursprungssprache Nahuatl „Hoden“ bedeutet, zählen sie nicht zu den Nüssen, sondern Beeren.
Samstagmorgen im Grachtengürtel von Amsterdam – Brunch-Time wie wahrscheinlich gerade überall in Europa. Der Speck knuspert in der Pfanne und verbreitet seinen Geruch. Alle paar Minuten klingelt das Glöckchen vom Essenspass und die Kellner tragen Eggs Benedict und Florentine im Akkord zu den ausgehungerten Gästen. Einen großen Unterschied gibt es: Unterm Speck bzw. Spinat liegen keine British Muffins, sondern Avocadohälften, schließlich ist das hier The Avocado Show.
Evert Broar ist Chef am Herd mit insgesamt sechs Köchen und drei Kellnern. Neben dem Durchgang zur offenen Küche stapeln sich die Avocado-Gebinde „eat me“, von Nature’s Pride, Sorte Hass aus Chile. Routiniert halbiert die Köchin Avocados und holt den Stein raus. Irgendwo war mal zu lesen, dass aufgrund des Avocado-Hypes die Unfallquote mit Schnittverletzungen beim Öffnen rapide angestiegen sei. Davon ist hier nichts zu sehen, es herrscht lässige Routine. Koch Goran Dimovsci schneidet eine Avocadohälfte im Sashimi-Style und fächert ihn zum Ring einer Pokébowl auf, so weit, so cool.
Unterrichtsstunde in Avocado
Ron Simpson ist Gründer der Avocado Show: „Das Leben bietet so viel Spaß, man muss nur zugreifen! Weihnachten 2016 hatten wir die Idee und im März 2017 haben wir das erste Restaurant eröffnet.“ Avocados seien eins der weltweit nährstoffreichsten Lebensmittel, so Simpson. „Die Nachfrage ist wesentlich größer als das Angebot. Daraus ergeben sich zwei Herausforderungen: Zunächst ist da die Industrie, groß, alt und ehrwürdig, es gilt sich am Markt zu behaupten. Auf der anderen Seite stehen die Möglichkeiten die sich daraus ergeben. Unser Handelspartner Nature’s Pride ist einer der großen Player, die im Laufe der Jahrzehnte beeindruckendes Wissen rund um das Thema akkumuliert haben. Wir wussten am Anfang rein gar nichts über Avocados und sind dann mit harten Fragen konfrontiert worden. Wir entschieden uns zu lernen. Und der Handelspartner Nature’s Pride war bereit uns unterrichten – buchstäblich alles, über Wasser, Erde, Klima, Dünger und so weiter.“
Ein Ozean zur Bewässerung?
Eine dieser harten Fragen betrifft den Wasserverbrauch beim Anbau von Avocados. Auf der Internetseite des Bundeszentrums für Ernährung steht, dass für den Anbau von zweieinhalb Avocados 1.000 Liter Wasser benötigt werden. Ron Simpson schwankt zwischen Amüsement und Genervtsein. „Ja, ich habe in allen möglichen Medien Zahlen zwischen 100 und 2.000 Litern gefunden. Wissen Sie was? Ich habe in Südafrika mit einem Farmer gesprochen. Als ich ihn gefragt habe, wie viel er wässert, hat der einen Lachanfall bekommen. Er wässert nämlich überhaupt nicht, ganz im Gegenteil, er beklagte sich über zu viel Wasser im Tal. Das muss man sich mal vorstellen. Zu viel Regen in Afrika!“ Dass die Zahlen absurd sein müssen, führt er noch an einem anderen Gedanken an. „Jede Woche werden Millionen Tonnen Avocados geerntet, man bräuchte einen Ozean zur Bewässerung!“
Wo also liegt der Trugschluss? Ron Simpson gibt eine Lösung: „So ein alter Avocadobaum wird 20 bis 30 Meter hoch, mit in alle Richtungen verzweigten Ästen. Neue Bäume hingegen werden mannshoch getrimmt und über ein modernes Tröpfelsystem bewässert, im Übrigen auch gedüngt durch dasselbe System. Natürlich braucht ein alter Baum wesentlich mehr Wasser, aber wir reden hier nicht von kleinen Bauernhöfen mit zwei bis sechs Hektar, das hat dann schon die Dimension von Agrarindustrie mit 100.000 Hektar, beispielsweise. Abgesehen davon, dass die Bauern das Land und ihre Arbeit lieben, ist Effizienz für sie selber überlebenswichtig. Heutzutage entspricht ein Hektar Land ungefähr einem Investment von einer Millionen Euro. Da sind solche Entscheidungen von ernsthaftem Interesse für die Farmer.“
Besser als Koks?
Ein anderes hartnäckiges Gerücht betrifft dem Einfluss südamerikanischer Mafiakartelle im Avocado-Markt, Avocados seien lukrativer als Kokain. „Ja, das war eine ernsthafte Sache. Es ist allgemein bekannt, dass beim Drogenanbau die Bauern am allerwenigsten verdienen. Mit Regierungsprogrammen konnten die Bauern überzeugt und unterstützt werden, stattdessen Avocados anzubauen. Ein Beispiel hierfür ist der Talkessel von Michoacan, beste natürliche landwirtschaftliche Bedingungen, bis dahin fest in der Hand der Drogenmafia. Während der Transformation hat das natürlich große Konflikte gegeben. So haben die Kartelle beispielsweise versucht, jeweils am Ein- und Ausgang des Talkessels Abgaben zu erpressen und dann innerhalb der Logistik Fuß zu fassen. Aber die Regierungen bemühen sich, dem Einhalt zu gebieten und sind wohl recht erfolgreich im Kampf gegen die Kartelle“, berichtet der Gastronom.
Zukunftsvision Avocado
Die Situation der Farmer ist heute wesentlich erfreulicher: Sowohl in Südafrika als auch in Chile konnte Ron Simpson Farmen besuchen, die an die 40.000 Bauern im Rahmen von sozial-ökologischen Projekten beschäftigten, mit Erfolg: Die Fluktuation der Arbeiter sei zum Erliegen gekommen und es sei möglich, dem Nachwuchs Schulbildung, sowie ärztliche Versorgung zu gewährleisten.
„Jeder sollte Avocados essen“, ist Ron Simpson überzeugt. Die UNICEF würde nicht mehr anvisieren, Kindern jeden Tag eine Schale Reis zur Grundversorgung zu ermöglichen, sondern Avocados, so der Unternehmer.
– Was Jackfruit ist und wie man damit kocht, liest du hier. –
Avocados: Die Krux mit der Reife
Das landläufig größte Problem mit Avocados ist deren Haltbarkeit: hart, hart, hart, matschig.
„Wenn sie zu hart sind, leg sie zu Bananen“,
rät der Avocado-Show-Gründer.
„Das größte Problem dabei ist die Einstellung: Der Verbraucher hier möchte makellose Früchte haben, womit man beispielsweise auf einem mexikanischen Wochenmarkt überhaupt keine Probleme hätte.“
Wieviel in seinem Restaurant weggeschmissen werden würde? „Inzwischen nahezu null“, brüstet sich der Gastronom. Das läge aber vor allem am enormen Verbrauch seines Restaurants. Nicht mehr so schöne Avocados wandern in die Guacamole, verschmitzt zuckt er mit den Schultern:
„Ich bin davon überzeugt, die Zukunft ist grün!“
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