Haltungsform-Kennzeichnung

1 Jahr Haltungsform-Kennzeichnung: Zum Wohl! – Ein Zeichen für Haltung

Labels im Supermarkt gibt es gefühlt wie Sand am Meer. Für Fleisch haben sich die meisten Handelsketten 2019 auf eine gemeinsame Kennzeichnung der Haltungsform geeinigt, die Verbraucher:innen als Auswahlhilfe dienen soll. Nach einem Jahr wird es Zeit, Bilanz zu ziehen.

Dr. Patrick Klein ist Pressesprecher der Initiative Tierwohl der Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung mbH, einem vor fünf Jahren geschlossenen Bündnis der Landwirtschaft, der Fleischwirtschaft und des Handels zur Verbesserung der Haltungsbedingungen von Geflügel und Schweinen. Primär bietet die Initative Landwirt:innen Fördergelder zur Umsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung der Haltungsbedingungen. „Rund 100 Millionen Schweine und mehr als zwei Milliarden Hühner und Puten konnten dadurch innerhalb der letzten 5 Jahre ein besseres Leben führen“, bilanziert Klein.

Haltungsform: 4 Stufen der Haltung

Als unabhängige Institution ist die Initiative Tierwohl vom Handel beauftragt, den Verbraucher:innen beim Angebot von Fleisch durch eine vierstufige Siegel-Klassifizierung die Form der Haltung direkt zu verdeutlichen. „Stufe 1, Stallhaltung, erfüllt die QS-Bedingungen und bedeutet in erster Linie Lebensmittelsicherheit durch überprüfbare Standards“, erklärt Patrick Klein. „Das eigentliche Tierwohl setzt ab Stufe 2 ein, die zusätzlich 10 Prozent mehr Platz für die Tiere, zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten, sowie eine erweiterte gesundheitliche Versorgung vorsieht. Das meiste Fleisch, das in den teilnehmenden Filialen unserer Handelspartner verkauft wird, gehört zu den Stufen 1 und 2.“ Stufe 3 erfordere darüber hinaus noch Zugang zu Frischluft für die Tiere, während Stufe 4, der Premium-Bereich, Zugang zu Außenbereichen für die Tiere beinhalte. „Hier finden Sie Bio-Qualität oder beispielsweise das Neuland-Siegel“. Laut dem Pressesprecher dienen die Haltungsstufen der Einordnung der verschiedenen existierenden Labels zu Fleisch, „um für die Verbraucher Transparenz zu schaffen.“

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Förderprogramm zum Tierwohl

Das eigentliche Tierwohllabel der Initiative Tierwohl zeichnet die Landwirt:innen aus, die erfolgreich die Verbesserungsmaßnahmen umsetzen. „Dies wird zweimal im Jahr kontrolliert, eine der Kontrollen erfolgt unangekündigt. Erfüllt der Landwirt die Kriterien des Tierwohllabels nicht vollständig, muss er die Fördergelder seit der letzten Kontrolle zurückzuzahlen. Durchschnittlich erhält ein Betrieb 20.000 bis 25.000 Euro, jährlich, die dann gegebenenfalls zurückerstattet werden müssten“, erläutert Sprecher Klein.

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Herausforderungen für die Landwirte

Thomas Hußmann ist Schweinezüchter in Alpen am Niederrhein mit 150 Zuchtsauen, deren Ferkel bis zur Schlachtreife auf seinem Hof im geschlossenen System aufwachsen. Ursprünglich wurden alle seine Tiere von der Initiative Tierwohl gefördert. „Bis vor drei Jahren bestand die Einstiegszone. Unsere Schweine bekommen Stroh als Raufutter. Mit der Förderung installierten wir eine Holzkaumöglichkeit, also eine Halterung für Kanthölzer aus Weidenholz, sowie eine Scheuermöglichkeit aus Riffelblech. Wir haben auch ein neues Tränkesystem installiert, eine offene Wasserfläche anstelle von Trinknippeln. Da hat es sich nur herausgestellt, dass offene Trinkflächen für Schweine im Vergleich zu den Nippeln ein Hygieneproblem darstellen, weil die Tiere diese verkoten“, beschreibt der Landwirt die Herausforderungen.

„Jetzt können wir nur unsere Zuchtsauen fördern, denn vor zwei Jahren wurden die Kriterien fürs Tierwohlprogramm verschärft:10 Prozent mehr Fläche für die Tiere hätten wir bei den Ferkeln nur durch Anbau realisieren können. Abgesehen von den ausufernden Kosten ist der Aufwand für die Einholung der Genehmigungen dermaßen langwierig, dass bis dahin die Förderungsrunde vorbei ist“, sagt Thomas Hußmann. Als Landwirt sei man zur langfristigen Planung gezwungen, mit dem Risiko, dass heutige Planungen morgen schon hinfällig sein können. „Sobald man wirklich etwas für das Tierwohl tun will, laufen die Kosten aus dem Rahmen und es bleibt die Frage, ob der Verbraucher dies am Ende bereit ist, mitzutragen“, gibt der Landwirt zu bedenken.

Der Preis des Tierwohls

Wilhelm Hellmanns ist ebenfalls Landwirt, mit 480 Sauen und über 2.000 Mastschweinen, die er meistens als 30-Kilogramm-Ferkel weiterverkauft. „Ich habe versucht. von Anfang an am Programm der Initiative Tierwohl teilzunehmen. Da aber die Teilnahme auf 2.200 Plätze begrenzt war, bin ich im Losverfahren gescheitert, sodass ich die ersten zwei Jahre die Investments alleine tragen musste für die organischen Beschäftigungsmöglichkeiten.“ Im zweiten Anlauf bekam er dann doch die Möglichkeit der Fördergelder, mit denen dann die Stallfläche um zehn Prozent erweitert wurde. „Mit 5,30 Euro pro Tier muss man dann trotzdem schauen, wie man die Ziele realisiert bekommt. Zumindest machen sich die Änderungen bei den Tieren positiv bemerkbar. Ich will gar nicht wissen, wie das bei größeren Betrieben funktionieren soll.“ Angesichts der Debatte um eine Steigerung des Platzes um 20 Prozent ist der Landwirt überzeugt: „Dann braucht man 40 Euro pro Tier.“ Er fragt sich, ob der Verbraucher die Kosten für jede weitere politische Entscheidung trägt oder „dann zu den Kollegen aus den Nachbarländern ausweicht, die davon unberührt bleiben.“  

Dynamische Zielsetzung

Mehr als 90 Prozent des Geflügelfleisches und 25 Prozent des Schweinefleisches in den teilnehmenden Handelsketten stammen inzwischen aus Betrieben der Initiative Tierwohl. Darüber hinaus umfasst das Haltungsform-Siegel neben Geflügel und Schwein auch Rind. Mit der Haltungsform werden inzwischen über 90 Prozent des einschlägigen Angebots gekennzeichnet. „Für das Tierwohlsiegel wird die Rinderhaltung gerade geprüft“, erklärt Patrick Klein. Das Feedback der Verbraucher:innen sei gut, mehr als ein Drittel aller Verbraucher:innen kenne das Siegel der Initiative Tierwohl und über 90 Prozent begrüßen den Ansatz der Initiative. „Das Bio-Siegel hat ein Zielbild, das erfüllt werden muss um zertifiziert zu werden. Das entspricht einem Marktanteil von zwei Prozent. Wir stellen die Frage, ‚Wo steht das Gros der Landwirte?‚ und wollen diesen Ist-Zustand sukzessive weiterentwickeln, wobei sich aber auch unsere Ziele in einem dynamischen Prozess optimieren. Dabei ist die Größe der Betriebe egal. Unser kleinster Betrieb hat 56 Tiere, es können aber auch 2.000 Schweine und mehr im Stall sein“, erklärt Patrick Klein. Eine wichtige Einschränkung bei Geflügel gibt es: das Tierwohllabel umfasst ausschließlich Mastbetriebe zur Fleischproduktion. „Das bedeutet, dass Probleme wie das Kükentöten oder die Käfighaltung bei uns kein Thema sind.“

Auch wenn einige Schlachthöfe Mitglied bei der Initiative Tierwohl sind, gebe es keine Tierwohl-Kriterien zum Schlachten selber, „sehr wohl aber sieht das QS-System Regeln für den Transport der Tiere vor“, sagt der Pressesprecher. Auf freiwilliger Basis gäben Schlachthöfe die Befunde in eine Datenbank von QS ein, um so den Landwirt:innen Feedback zu geben.

Handel zieht positives Feedback

Das Feedback von Lidl als teilnehmender Handelskette fällt sehr positiv aus: „Unser Zwischenziel haben wir bereits erreicht, da seit Frühling 2019 durchschnittlich rund 50 Prozent der Frischfleischprodukte mindestens auf Stufe 2, Stallhaltung Plus, sind“, schreibt Diana Zvicer-Senolan aus der Pressestelle von Lidl Deutschland. Langfristig möchte der Händler das komplette Frischfleischsortiment auf mindestens Stufe 2 umstellen, sowie den Kund:innen ein weiteres Biofleischangebot anbieten. Lidl bestätigt, dass die Verbraucher:innen mehr auf die Haltungsform-Kennzeichnung achten sowie verstärkt Fleisch aus einer höheren Stufe einfordern. Allerdings: „Dass Verbraucher durch ihr Einkaufsverhalten Fleisch aus einer tierwohlgerechteren Haltung fördern, stellen wir aber nur bedingt fest“, schreibt die Lidl-Pressesprecherin.

Artikelbild (oben): Hintergrund: Karanov images – stock.adobe.com / Icons: Pressebild Kaufland

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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