Die Wiedervereinigung ist jetzt 30 Jahre her und die Innerdeutsche Grenze besteht nur noch in manchen Köpfen. Welche schicksalshaften Veränderungen und Mühen damit verbunden waren, erzählt die Geschichte der KATHI Rainer Thiele GmbH, heute ostdeutscher Markführer für Mehl und Backmischungen.
„Von Ostalgie wollen wir nichts wissen. Wir stehen aber zu unserer Region und sind mit dem eigenen Geschmack aufgewachsen. Hier trauert keiner den alten Zeiten hinterher“, sagt Marco Thiele, Geschäftsführer der KATHI Rainer Thiele GmbH.
1951, nach dem Krieg, entwickelten die Thieles Großeltern in der Hinterhofgarage ihres Mehrfamilienhauses mitten im Zentrum von Halle an der Saale ihre ersten Mischungen, wie Kloßmehl, Eierkuchen-Mehl, aber auch Tütensuppen und Trocken-Fertiggerichte. Mit Erfolg: 1953 reichte der Platz schon nicht mehr und man fand in Halle-Diemitz ein passendes Grundstück zur Produktionsvergrößerung, bis heute Sitz der Firma. „In diese Zeit fällt auch die Entwicklung der ersten Backmischung meiner Großmutter Käthe Thiele, das Tortenmehl, eine universelle Basismischung, geeignet für Marmorkuchen, Schokoladenkuchen oder Obsttorte“, erklärt Marco Thiele.
Die Partei hat immer recht
1958 traf das Familienunternehmen der erste schwerwiegende Einschnitt mit der staatlichen Mehrheitsbeteiligung von 51 Prozent ohne Entschädigung. Diese wurde bis zum Ende der 1960er Jahre sukzessive auf 60 Prozent aufgestockt, „was letzten Endes 1972 zur Enteignung führte“, bemerkt Marco Thiele trocken. Zuvor setzte die DDR-Führung das Unternehmen unter Druck, zwischen der Kartoffelstrecke mit dem gesamten Convenience-Food-Bereich und den Backmischungen zu entscheiden. „Mein Großvater entschied sich für die Backmischung, weil hierfür die Ausstattung bereits groß ausgebaut war, beim anderen hätte man noch investieren müssen“, erklärt der heutige Geschäftsführer. Sämtliche Rezepturen der Kartoffelstrecke wurden einfach ersatzlos zu einem Unternehmen im Vogtland übergeben.
1972 stiegen die Großeltern aus, nachdem der Großvater einen Hörsturz erlitt. „Mein Vater war bereits 1961 in den Betrieb eingetreten und war dann ab 1972 als Betriebsdirektor quasi nur noch ausführendes Organ. Dies mündete 1975 in offene Schikane – Begründung: der Vater war nicht Parteimitglied, hatte Bekannte und Verwandte im Westen und bei KATHI gab es keine sozialistischen Organisationen, wie die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, die Freie Deutsche Jugend oder die Kampfgruppe. „Gegen eine Installation der sozialistischen Organisationen hätte er sich nicht gewehrt, aber wegen Parteieintritt und Kontaktabbruch gen Westen braucht er keine Sekunde überlegen.“
Die Konsequenz war, dass ihm im Herbst ’75 mitgeteilt wurde, dass er ab Januar 1976 einen halbjährigen Reservistendienst zu leisten habe. An seine Stelle wurde ein hochrangiger Parteigenosse aus der Metallbranche eingesetzt, „der bereits vorher mehrfach negativ aufgefallen war. Mein Vater wurde als ökonomischer Direktor unrechtmäßig aus dem Handelsregister gestrichen“, berichtet Marco Thiele. Kurz nach Reservistendienstende musste der Vater bezüglich der negativen betrieblichen Entwicklungen vor Vertretern des Staatsapparats Rede und Antwort stehen und schied als Konsequenz im Herbst 1976 aus.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
„Ein kleines Detail ist an dieser Stelle wichtig, die Großeltern hatten KATHI bereits 1953 warenzeichenrechtlich in der Schweiz schützen lassen. Die DDR war diesem Abkommen beigetreten. Die jährliche Gebühr dafür war vergleichsweise hoch“, erzählt Thiele. „Freunde und Bekannte meiner Großeltern rieten davon ab, erklärten sie für verrückt und forderten sie auf, die Sache abzuschreiben. Mein Großvater sagte dazu nur immer: ‚Ihr könnt mir erzählen was ihr wollt, die DDR wird es 2000 nur noch in den Geschichtsbüchern geben.‘ Mein Großvater starb 1983, meine Großmutter am 31. März 1989, ein halbes Jahr vor dem Mauerfall. Aber sie war eine erfahrene Frau und spürte, dass es inzwischen an allen Ecken und Enden rumorte und forderte uns dringlich auf, das Unternehmen wieder in die Familie zu holen,“ erzählt Thiele.
Steiniger Weg zum Sieg
Dann kam die Wende und der Warenzeichenschutz erwies sich zur Wiedererlangung als hilfreiches Mittel. Aber der neue Verwaltungsapparat, in dem nach wie vor dieselben Genossen saßen, tat alles daran, Steine in den Weg zu legen, obwohl eigentlich allen bewusst war, dass die alten Zeiten unwiederbringlich vorbei waren. Akten wurden geschwärzt oder verschwanden. „Bei einer Vorladung zum Amt zur Regelung offener Vermögensfragen stand mein Vater und ich den Männern gegenüber, die damals seinen Betrieb enteignet hatten. Der Vorsitzende dieses Treuhand-Ausschusses war ein Westdeutscher, der keinerlei Kenntnisse über die Vita seiner Kollegen hatte“, erinnert sich der Geschäftsführer.
Zeiten ändern sich
1992 wurde KATHI rückwirkend für den 1. Juli 1991 privatisiert. Dass damit alle Herausforderungen aus dem Weg waren, kann man nicht behaupten. „Dafür wurden wir bei den ersten Gesprächen mit dem Handel belächelt. Das Argument war, dass die Menschen im Osten jetzt nur Hunger auf die goldglänzenden Produkte aus der Westfernsehwerbung hatten. Aber unsere Rezepturen sind bis heute beibehalten worden, selbst das Tortenmehl ist die Basis für viele unserer heutigen Kuchenrezepturen“, sagt Marco Thiele.
Kathi ist heute Marktführer im Osten und bundesweit Platz 2 bei Backmischungen. Das Bundesland Sachsen-Anhalt würdigte das Unternehmen für sein soziales Engagement im Sport, der Kultur und im Sozialen mit dem Ethikpreis.
Sehnsucht nach der „Ehmalschen“?
Beim Gang durch den Supermarkt unweit vom Checkpoint Charlie kommt man heute etwas ins Grübeln. Seit einigen Wochen gibt es ein neues Regal. Unter „Regionale Vielfalt/Beste Qualität aus der Region“ versammeln sich auf zwei mal zwei Metern schon recht viele Produkte, die man in der Vorwendezeit ausschließlich im Osten kannte. Man findet auch die Backmischungen von KATHI in diesem Sortiment. Man hat aber fast den Eindruck, die Zeit sei stehen geblieben. Ist es am Ende also doch so, dass es eine wahrzunehmende Ostalgie-Nachfrage der Kunden gibt, die mit DDR-Delikatessen die Sehnsucht nach der „Ehmalschen“ stillen?
– Wo die Gurken herkommen: Ein Besuch im Spreewald –
Ossi gegen Wessi, immer noch?
Die Nationale Verzehrsstudie II des Max Rubner-Instituts aus dem Jahr 2008 (also nicht mehr ganz taufrisch, eine Folgeerhebung soll bald aktuelle Ergebnisse liefern) hat den Deutschen auf den Teller geschaut und dabei als Teilaspekt die Ernährungsgepflogenheiten von „Ossis“ und „Wessis“ beurteilt.
Folgende Erkenntnisse sind hervorgetreten: Generell verzehren „Ossis“ mehr Brot, Butter, Wurst und Obst, als „Wessis“ – Fettbemme schlägt also Bütterken. Dann wird es schon differenzierter: Sachsen und Thüringen (aber auch Bayern) trinken geschlechterübergreifend das meiste Bier, während südwestdeutsche Männer ihren Frauen anscheinend sämtlichen Wein wegtrinken, so die Statistik. Erwähnenswert mag noch die Differenzierung im Norddeutschland sein, der „Wessi“ verteidigt seinen Ruf als Fischkopf, während die „Ossis“ von der Küste als Fischmuffel das Schlusslicht dieses Punktes der Erhebung bilden.
Die Aussicht auf die neue Verzehrsstudie bleibt spannend, vor allem hinsichtlich der Kategorisierung: Wie lange bleiben die „Neuen Bundesländer“ wohl noch die „Neuen Bundesländer“?