Sie blüht schön und gehört in jede anständige Nussmischung, obwohl sie gar keine ist: Die Mandel. Zum Tag der Mandel sind wir nach Neukölln gefahren, um vor Ort zu sehen, wie aus der Mandel feines Marzipan gemacht wird.
„Bis Anfang März ist gerade die spannende Zeit der Mandelblüte im Hauptanbaugebiet Central Valley im US-amerikanischen Staat Kalifornien, 150 Kilometer östlich von San Francisco, sich über 400 Kilometer erstreckend“ – Dr. Armin Seitz, Geschäftsführer der Moll Marzipan GmbH, zeigt auf an der Wand hängende Bilder. Eisschichten schützen die Knospen vor drohendem Frost. „Im Bedarfsfall werden Helikopter eingesetzt, um die frostgefährdenden Luftschichten über dem Boden aufzuwirbeln.“
Bis zu 80 Prozent der weltweiten Mandelproduktion stammt aus dieser Gegend. Letztes Jahr verzeichneten die Bauern dort die beste Ernte aller Zeiten mit 1,3 Millionen Tonnen, durch optimierte Produktionsmethoden wie engerer Bepflanzung. „Es spricht übrigens nichts dagegen, dass die Ernte 2021 noch üppiger wird“, so Seitz. Weder Corona, noch Handelsbeschränkungen stören den Ablauf: „Beschränkungen gab es auf verarbeitete Ware, Mandeln als Rohware blieben davon unberührt. Momentan gibt es eher Schwierigkeiten mit der Container-Knappheit.“
Mandeln: Weltweit begehrt
Größter Abnehmer für Mandeln als Einzelland sind übrigens Indien und China. So gebe es in Indien den Brauch, Mandeln zu vergolden und zu versilbern, so groß ist dort die Wertschätzung. „Das kann sich zwar nur ein Prozent der Bevölkerung leisten, aber bei einer Bevölkerung von über eine Milliarde kann auch ein Prozent sehr relevant werden“, sagt Armin Seitz. Und die Nachfrage wächst rapide: War die Produktion vor 10 Jahren noch bei 900.000 Tonnen, so liegt sie jetzt bei 1,5 Millionen Tonnen. Das hat natürlich Auswirkungen auf den Preis. Haben die Nüsse vor 2015 noch über 10 Euro pro Kilogramm gekostet, so liegt der Preis momentan bei 3,70 Euro.
Aus Süßmandeln wird Rohmasse
Kalifornische Süßmandeln bilden die Grundlage für Marzipanrohmasse, wie jenem aus dem Moll-Werk in Berlin Neukölln. „Unser Marzipan besteht zu 57 Prozent aus gemahlenen braunen Mandeln und zu 35 Prozent aus Zucker. Der Rest ist Wasser. Um aus dieser Marzipanrohmasse Figuren formen zu können, benötigt es noch mehr Puderzucker. Das nennt man Anwirken“, erklärt der Marzipan-Produzent. Rosenwasser, von dem man bisweilen in Rezepten liest, finde keine Verwendung. „Abgesehen von dem etwas merkwürdigen Geschmack diente es in der Vergangenheit in erster Linie zur Haltbarmachung, wohl auch aufgrund des Alkoholgehalts.“
Seit Preußens Glanz und Gloria
1860 wurde Marzipan Moll als Familienbetrieb in Münster gegründet, zog aber bereits 1875 nach Berlin und wurde Hoflieferant am preußischen Hof, damals noch an der Flottenstraße. 1977 zog das Unternehmen nach Neukölln in direkte Mauernähe. Der Standort Berlin war lukrativ aufgrund der Berlin-spezifischen Steuervergünstigungen und der Zucker-Subvention, der über die Transit Autobahn geliefert wurde. Aus ähnlichen Gründen findet man namhafte Süßwarenhersteller ebenfalls in Berlin. 1986 wurde der Familienbesitz an Dr. Oetker verkauft, bevor er 2008 von Herrn Seitz und einer Investorengruppe aufgekauft wurde.
4,5 Millionen Kalorien
Molls Marzipan sucht man im Einzelhandel vergebens, bzw. auch nicht, denn der eine oder andere bekannte Name ist Kunde, B2B-Produktion. „Unsere kleinste Abnahmemenge wäre eine Tonne. Bei 450 Kalorien pro 100 Gramm wären das 4,5 Millionen auf die Tonne“, rechnet der Geschäftsführer genüsslich vor. 100 Leute arbeiten insgesamt im Unternehmen, zwei Drittel davon in der Produktion und ein Drittel in der Verwaltung. Neben der Marzipan-Produktion, zu der auch Persipan und andere Nuss-Kreationen fallen, bietet das Unternehmen gehackte, gehobelte und gestiftete Mandeln an.
In der Fabrikation
In mannsgroßen Säcken lagern die Mandeln, allerdings noch mit Reinigungsbedarf. „Der halbe Betrieb dient quasi zur effizienten Reinigung“, erklärt der Fabrikant. Per Luftstoß werden Steinchen, Schalenbruch und Pflanzenteile aus den Nüsse ausgeblasen und nebenbei gesammelt.
Danach werden die Mandeln direkt gehäutet, „das funktioniert so ähnlich wie bei der Oma in der Weihnachtsbäckerei, nur dass die Mandeln nachdem sie in heißem Wasser lagen, zwischen Gummiwalzen gehäutet werden.“
Über Förderbänder laufen die Mandeln weiter und werden sortiert, automatisiert per Videokamera, sodass am Ende wunderschöne weiße Mandeln das Fließband verlassen.
In einem großen Ofen, werden die Mandeln von innen heraus per Infrarot geröstet. Der Weg geht weiter vorbei an einer überdimensionalen Küchenmaschine, die Mandelblätter hobelt. Anschließend, so erklärt der Geschäftsführer, laufen die Mandelblättchen über eine 20 Meter lange imposante Spirale zum Abkühlen nach oben.
In der nächsten Halle wartet schon ein köstlicher Duft. Die Mandeln werden gehackt und zusammen mit Zucker durch einen riesigen Fleischwolf gedreht. Satt kleckert die Marzipanrohmasse aus einem großen Hahn in eine Wanne. Man muss sich schwer zusammenreißen, nicht eben kurz den Finger drunter zu halten.
„Die Masse muss aber noch geröstet werden, dies geschieht in einem Reinraum.“ Anschließend kühlt die Masse langsam innerhalb von 14 Tage ab und entwickelt dabei ihr Aroma. „Jetzt ist die Masse noch mikrobiologisch aktiv, sobald der Zucker das sich noch darin befindende Wasser absorbiert hat, haben Mikroben keinerlei Chance mehr.“
CO2-neutrales Marzipan
Das Dach der Fabrikanlage ist über und über bedeckt mit Solarpaneelen. „Seit 2011 haben wir den CO2-Ausstoß um 57 Prozent gesenkt, wobei diese Solarpaneelen lediglich 8 Prozent des Energiekonsums abdecken, der Rest ist bislang Wasserstrom-zertifiziert. Das mittelfristige Ziel ist CO2-Neutralität.“
Süßes Gift?
Für den charaktervollen Marzipangeschmack jenseits von süß-klebrig ist das Aroma der Bittermandeln, eigentlich der Urmandel, verantwortlich, im Klartext: das leicht flüchtige Cyanid, Blausäure. Die Europäische Union beabsichtigt, die Cyanid-Grenzwerte herabzusenken. Was ist die Ursache dieses Bestrebens? „Ein Australier hat sich mit dem Verzehr von Aprikosenkernen vergiftet, die ebenfalls in der Persipan- beziehungsweise auch anteilig in der Marzipan-Produktion Einsatz finden und deren Blausäuregehalt höher liegt als bei Mandeln. Der Mensch wollte sich aber keineswegs umbringen, sondern ist einem Gerücht aufgesessen. Es gibt nämlich die Idee, dass Aprikosenkerne vor Darmkrebs schützen. Man hat bei chinesischen Bauern ein verringertes Darmkrebsrisiko festgestellt. Diese Bauern knabbern nebenbei Aprikosenkerne. Dass sich deren gesundheitlicher Zustand eher auf Arbeit an frischer Luft und eine pflanzenbasierte Ernährung zurückführen lässt, wird dabei vernachlässigt. Und die EU springt auf diese Geschichte auf“, erzählt der Marzipan-Hersteller.
Bei den kalifornischen Süßmandeln wurde der Cyanidgehalt heruntergezüchtet. Lediglich bei den spanischen Valencia-Mandeln gibt es den Anteil von 4 Prozent, der von einigen Kunden explizit gewünscht wird, des kraftvollen Geschmacks wegen.
Ganz unwichtig sind die Maßnahmen nicht. Kinder hätten bis zum 7. Lebensjahr oft noch keinen Bittergeschmack ausgebildet und könnten daher eine zu hohe Menge verzehren. Marzipan selbst sei diesbezüglich vollkommen unbedenklich.
Guter Ruf der Mandel
Die Mandel selber habe einen guten Ruf mit ihren ungesättigten Fettsäuren und sei dabei trotzdem gut lagerfähig, ohne Gefahr zu laufen ranzig zu werden – im Gegensatz zu Wal- oder Haselnüssen. „Ein immer relevanterer Vorteil der Mandel gegenüber anderen Nüssen und Ölsaaten ist die Tatsache, dass sie längst nicht so superallergen, wie beispielsweise Erd- oder Haselnüsse, ist.“
Von südarabischen Königen und Reliquienschreinen
Woher kommt eigentlich der Name Marzipan? Die lateinische Volksetymologie, „Panis Marcis“, das venezianische Markusbrot, kann man wohl entspannt vergessen, Belege für Marzipan sind weitaus älter. Professor Stefan Weninger hat den Lehrstuhl für Semitistik am Centrum für Nah- und Mittelost-Studien der Philipps-Universität Marburg inne und ist somit prädestiniert für Etymologien des Nahen und Mittleren Orients. Aber so 100-prozentig ist er sich auch nicht sicher: „Die Etymologie von Marzipan ist problematisch. Die direkte Quelle, italienisch marzapane, mit gleicher Bedeutung, ist klar. Aber wo das italienische Wort herkommt, ist schon weniger deutlich.“ Den älteren Vorschlag, das Wort von einem angeblichen Titel (süd-)arabischer Könige namens mauṯabān abzuleiten, habe W.W. Müller (1986:86f.) überzeugend widerlegt. Das italienische Wort soll auf ein Gefäß zurückgehen, mit der gleichen Wortform, die regional (sizil., neapol., auch provencalisch) Schachtel, Schmuckkästchen, Reliquienschrein bedeutet. „Der Zusammenhang wäre dann, dass die Marzipanmasse in solchen Behältern aufbewahrt und gehandelt worden ist. Das ist möglich, aber so richtig überzeugt es mich nicht. Auch der Vorschlag das Wort von dem arabischen Wort marzubān, iranischer Statthalter, Satrap, abzuleiten, das dann angeblich auch ein Hohlmaß bezeichnet – wofür mir auch kein Textbeleg vorliegt – überzeugt mich nicht restlos. Auch hier wäre die Bezeichnung des Gefäßes auf den Inhalt übergegangen. Der Vorschlag stammt zwar von Maxime Rodinson, aber wie gesagt, ich finde ihn auch nicht wirklich überzeugend.“
Frühling in Damaskus
Noch eine abschließende Erinnerung: Zu Studienzeiten fand man im Frühjahr in Damaskus, der syrischen Hauptstadt, täglich fahrende Händler, die auf ihren Handwagen grüne unreife Mandeln verkauften. Diese wurden regelmäßig mit Wasser bespritzt und ihr Flaum leuchtete zartgrün in der Frühlingssonne. Man bekam diese grünen Mandeln in einer dreieckigen Papiertüte und der Händler streute großzügig Salz darüber. Das geschmackliche Erlebnis, so frisch sauer-salzig war zwar Geschmackssache, aber einzigartig und eindrucksvoll. Auch hier findet man bisweilen beim türkischen Gemüsehändler diese grünen unreifen Mandeln, der Geschmack hier ist aber nicht derselbe wie im Schatten der ehrwürdigen Umayyaden-Moschee.
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