Zum Valentinstag gab es dieses Jahr ein DIY-Gin-Kit, mit Flaschen, Trichter und einer Vielzahl von Gewürzen. Da fehlt nur noch der Schnaps. Ein guter Anlass, die alteingesessene Berliner Spirituosenmanufaktur Mampe zu besuchen.
Morgens im Bergmannkiez in einer ehemaligen Weißbierbrauerei: Versteckt in einem der legendären Hinterhöfe liegt die neue Heimat der Berliner Traditionsmarke Mampe. Der Kölner Tom Inden-Lohmar ist „Mista Mampe“, die Seele der Marke, die seit einigen Jahren mit Liebe und Leidenschaft Berlins älteste Spirituosenmarke wiederbelebt. Als ehemaliger Creative Director einer Werbeagentur stieß er per Zufall auf Mampe, aber es war Liebe auf den ersten Blick. Inden-Lohmar arbeitete seinerzeit für den Spirituosenhersteller Berentzen, in dessen Portfolio Mampe nach dem Niedergang der Marke gelandet war. Berentzen hatte keine Lust auf Mampe und so konnte Inden-Lohmar und sein Geschäftspartner sich die ehemalige Weltruhmmarke sichern und mit dem Relaunch unter dem Claim „Keiner für alle, nur für Berlin“ starten.
Inden-Lohmar redet ungern von Dingen, von denen er nichts versteht, und so absolvierte er am Anfang des Weges einen Aufbaukurses zum Destillateur. Jetzt, mit einigen Jahren Erfahrung, ist er in der Lage jedes der Mampe-Produkte selber herzustellen und auch spannende neue Produkte zu entwickeln.
Besser als sein Ruf
Schon in der Hochzeit der 1920er und 1930er Jahre war Mampe keine Mono-Marke sondern versammelte unter der Dachmarke bis zu 80 Sorten. „Wobei darunter kein Lagerschnaps wie Whisky oder Rum war, sondern Schnelldreher wie Liköre oder Spirituosen, Wodka, Gin und der Kräuterschnaps Halb und Halb“, erzählt Inden-Lohmar. Korn haben sie erstaunlicherweise nicht im Sortiment „Man muss sagen, dass Korn sogar der bessere Wodka ist, der nach einem Reinheitsgebot hergestellt werden muss. Aber der Verbraucher hat gelernte Preisstrukturen und am Ende ist es eine Frage des Marketings. Korn steht immer noch für Alter-Opa-Fusel“.
Während bei Korn die Angabe der Weizen- oder Roggengrundlage Vorschrift sei, dürften in Wodka „die letzten Kartoffelreste“, sagt der Spirituosenhersteller. „Die Qualität von Wodka lässt sich am ehesten, wie man es von einer osteuropäischen Hochzeit her kennt, feststellen. Zimmerwarm getrunken muss er pur genießbar sein, ohne dass er einem was im Hals wegkratzt. Maßnahmen wie Filterung durch Diamanten, Milch oder was auch immer dienen in erster Linie dem Marketing“, gibt der Experte zu bedenken.
Klar oder eingefärbt?
„Die Alkohol-Grundlage der Spirituosen kaufen wir als 96,2 prozentiges Weizenfeindestillat in der Lutherstadt Wittenberg. Das stufen wir auf 60 Prozente runter, sonst wäre die Explosionsgefahr viel zu hoch“, berichtet der Mampe-Chef. Für den weiteren Prozess sei es entscheidend, ob das Produkt ein Likör, also mit einem Anteil von 100 Gramm Zucker pro Liter, Gin oder beispielweise ein Kümmel sein sollte. „Bis vor kurzem war Gin für mich ein klar destilliertes Produkt. Grundsätzliches Kennzeichen – klare Spirituosen sind Destillate, gefärbte sind mazeriert, das heißt, im Alkohol werden Botanicals eingelegt“, erklärt der Geschäftsführer.
In der Destille
Im hinteren Teil des Sudhauses steht an der Wand die Destillationsanlage. Tom Inden-Lohmar öffnet den Kessel. Hier wird die Mischung aus Alkohol, Botanicals und Wasser auf 75 bis 85 Grad Celsius erhitzt. Die aufsteigenden Alkoholdämpfe sammeln sich in der Haube und werden im wassergekühlten Kondensator wieder verflüssigt. Aufgabe des Destillateurs ist, die ersten und letzten Destillate abzutrennen, um beispielsweise Fuselöle, die ganz normal bei der Destillation entstehen, zu entfernen.
Ganz ungefährlich ist dies nicht. „An der ganzen Wand gibt es nur eine Steckdose, die teuerste Steckdose, die ich jemals gesehen habe, explosionssicher“, so Inden-Lohmar. Ringsum stehen mannsgroße Steinhuttöpfe. „Normalerweise sind die Produktionsabläufe reibungslos, aber im Falle von Verzögerungen können wir hier die Destillate zwischenlagern ohne geschmackliche Veränderungen befürchten zu müssen.“
Von Cholera zum Linienflug
Die bitteren Tropfen, die bis heute im Sortiment von Mampe zu finden sind, wurden 1831 vom Apotheker Carl Mampe senior als Mittel gegen Cholera entwickelt und auch unter diesem Aspekt in Apotheken vertrieben. Seine Nachfolger, die klassisch verfeindeten Halbbrüder Carl Mampe junior und Ferdinand Johann, der Berliner und der Hamburger Mampe, führten das Geschäft weiter, allerdings mehr unter dem Gesichtspunkt Genussmittel. Um die bitteren Tropfen besser vermarkten zu können, entwickelte Carl Mampe junior den Klassiker Halb und Halb aus den bitteren Tropfen, mit einem Pomeranzenmazerat, Bitterorangen, versetzt, der ebenfalls bis heute angeboten wird. Dank des findigen Werbevertreters Robert Exner gewann der Likör an Popularität. So führte ihn Exner in die Vereinigten Staaten von Amerika ein, wo der Likör 1910 bei der Weltausstellung von St. Louis prämiert wurde. Exner war übrigens auch verantwortlich für den Elefanten als Markentier, dem Berliner Zoo wurden die Elefanten Carl und Mampe geschenkt.
In den 1920er Jahren war der Zeppelinflug mit luxuriösen Bordrestaurant en vogue. Aufgrund der begrenzten Platzes im Zeppelin wurde bei Mampe ein neuer Likör für einen Cocktail aus der Flasche in Auftrag gegeben, der nur noch mit Sekt aufgefüllt werden musste. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Aufschwung der Linienflüge reüssierte dieser Likör 1954 als „Lufthansa-Cocktail“, dem Signature-Drink der Lufthansa. Zuletzt wurde dieser als „Flieger-Cocktail“ bei der Air Berlin bis zu deren Pleite 2017 unter dem gleichen Rezept serviert.
Und jetzt in Zeiten von Corona?
„Ich würde sagen, wir sind Corona-Überlebende“, sagt der Mampe-Geschäftsführer. Einen herben Schlag habe beispielsweise der Wegfall der Events in Mampes „Neue Heimat“ bedeutet. Dafür habe die Optimierung des Onlineshops in kürzester Zeit dessen Verkauf immerhin verdreifacht. „Wir konnten digitale Weihnachtsfeiern, Führungen und Tastings anbieten und dafür unsere Produkte dann zu den Kunden verschicken.“ Jetzt laufen gerade erste Casking-Experimente an. Aus der Event-Location soll ein Fasslager werden, bei dem man sich dann ein eigenes Fass käuflich erwerben kann, beispielsweise als Geburtstagsgeschenk oder unter Freunden.
Gin mit Apfelmus, Zitrusfrüchten und mehr
„Neuerdings muss Gin keineswegs klar sein. Gin ist die am geringsten reglementierte Spirituose, die mindestens 37,5 Prozent Alkohol und Wacholder in welcher Form auch immer enthalten muss“, erzählt Tom Inden-Lohmar. „Beim aktuellen Gin-Hype sind die Gepflogenheiten außer Kraft gesetzt.“ Längst beschränke sich Gin nicht mehr auf ein Destillat, das zuvor neben Wacholder noch mit Zitrusfrüchten, Kardamom und Koriander verfeinert wurde. „Das geht dann so weit bis zum Pink Gin, der mich am ehesten an einen Junggesellinenabschied in Manchester erinnert“, schmunzelt er. Dabei hat Mampe selber einen etwas kuriosen Gin neben ihrem klassischen und Berliner Ku’damm’15-Gin im Portfolio: Die niederländische Hotelgruppe Van der Valk hatte die Anfrage eines eigenen Gins gestellt, auf Basis ihres Hausdesserts, Apfelmus mit Kirsche. „Jetzt brennen wir also Toucan-Gin, angesetzt mit Apfelmus und Kirsche. Hätte ich vorher auch nicht geglaubt“, lacht Tom Inden-Lohmar.
Darüber hinaus gibt es das Ginspirator-Projekt: Online können die Kund:inn:en sich ihren eigenen Gin zusammenstellen. Als erstes müssen sie den Alkoholgehalt festlegen: Zwischen 38 oder 42 Prozent. „Alkohol ist Geschmacksträger und ist deswegen eine Frage der Intensität“, erklärt Inden-Lohmar. Danach kann man dreistufig die Vordergründigkeit des Wacholders definieren und dann hat man die Wahl zwischen 20 Botanicals, wie Kardamom, Zitrusfrüchten oder Rosmarin, aber auch Gurke. Danach kann man es entweder so belassen oder aus vier Empfehlungen noch ein Botanical zum Abrunden auswählen. „Das sind dann insgesamt 146 Rezepturen, die wir auch alle durchprobiert haben. Wem das nicht individuell genug ist, kann sich hier zum Gin o’clock verabreden und hat freie Verfügung über die Zutaten.“
Am 1. November 2020 gab es einen Live-Ginspirator für sechs Wochen im KaDeWe, bevor der Lockdown vorerst wieder zur Pause zwang. Glücksfall für Mampe, dass der Fokus von jeher mehr auf den Privatkunden als in der Berliner Partyszene lag? „Wir sehen, dass 98 Prozent unseres Verkaufs als Geschenke gedacht sind. Auch wenn wir es vorher anders vermutet hätten, ist der Kern unserer Kunden junge Frauen zwischen 20 und 30, die ihrem Freund beispielsweise zum Jahrestag einen selbstgemachten Gin schenken möchten.“
Wie schmeckt Berlin?
Eigentlich ist der Termin bei Mampe schon vorbei, als die Tür aufgeht und ein weiterer Kunde die neue Heimat betritt. Auf Nachfrage stellt sich heraus, dass die von ihm gekauften Bitteren Tropfen für den Eigenbedarf abends sind. „Mir gefällt besonders die Abwesenheit von Süße“.
Für den DIY-Gin fiel die Wahl auf eine Flasche Wodka von Mampe. Der Geschmack soll ebenfalls typisch berlinerisch sein, wie der Duft bei einem Spaziergang im Frühling auf der Museumsinsel: Lindenblüte.