Eingang der Internorga

Zurück in die Zukunft: die Internorga in Hamburg

Das erste Mal seit Beginn der Pandemie öffnet die Gastronomie-Messe Internorga in Hamburg ihre Tore für das internationale Publikum und liefert vielfältige Antworten auf die herausfordernden Fragen der Gastronomie. Lebensmittelmagazin.de hat sich umgeschaut.

„Keiner mehr da, der in der Gastronomie arbeitet“, dieser gewonnene Eindruck ist vermutlich das über allem schwebende Damoklesschwert. Nach Corona-Maßnahmen und dem Lockdown scheint es der Personalausfall zu sein, der die Gastronom:innen bundesweit jetzt nach den Lockerungen vor größte Herausforderung stellt. So ist das diesjährige Motto „Zurück in die Zukunft“ weniger eine Reminiszenz an den 80er Jahre Klassiker mit Michael J. Fox, als ein frommer Wunsch der gesamten Branche.

Man muss sich zu helfen wissen

Herausforderungen sind gleichzeitig Ansporn für wirtschaftliche Kreativität. Und das konnte man auf der Internorga sehen. Ein Beispiel dafür sind die Dessertrohlinge der Firma Debic aus Düsseldorf: Schlicht und puristisch wird ein Pannacotta-Ring, eine Mousse-au-Chocolat-Nocke undein Mousse-au-Chocolat-Riegel in der weißen Variante präsentiert. Was zunächst als einfaches Convenience-Produkt daherkommt, folgt der Notwendigkeit. Timo Maier ist Koch mit jahrelanger Erfahrung: „Wenn Sie im Restaurant ein Dessert à la Carte bestellen, ist das Abstechen einer Nocke kein Thema. Mit einem Löffel wird die Mousse portioniert und manuell in Form gebracht. Wenn man das aber für ein Bankett mit 200 Personen machen darf, benötigt man als Caterer, Gastronom oder Hotel ein fünfköpfiges Team allein für die Patisserie. Das bekommen Sie auf dem aktuellen Arbeitsmarkt aber nicht mehr so einfach“, erklärt der Koch. Er verspricht Qualität wie vom Profi beim geringstmöglichen Einsatz von Zusatzstoffen, wie beispielsweise Carrageen. Dieser Stabilisator, so der Experte, fände sich aber auch in jedem konventionellen Sahnebecher. So muss die Küche nur noch nach Gusto Schäumchen, Gelee oder ähnliches hinzufügen und garnieren. In heutigen Zeiten fahren viele Küchen ihre Programmvielfalt runter als Zugeständnis an aktuelle Umstände. Muss nicht sein, wenn es nach Timo Maier geht.

Halle A1 auf der Internorga in Hamburg
Die Halle A1 steht ganz im Zeichen der angesagtesten Food-Themen und Getränke-Trends.
Foto: Hamburg Messe und Congress/René Zieger

Roboter-Kaffee

Ähnliche Schwierigkeiten, aber einen ganz anderen Lösungsansatz, bietet das Knext Future Café. Zwei Roboterarme tanzen einen „Pas de Deux“ in einem Glaskasten, der ein bisschen an einen Kirmesgreifautomaten erinnert. Dabei brühen sie frischen Tee, bedienen einen Kaffeevollautomaten und servieren Snacks. Die Verbraucher:innen können sich vier Produkte auf einmal bestellen. Dass derartige Automatisierungen in Ostasien bereits gang und gäbe sind, räumt Harald Rohrmoser, Küchenmeister bei Knext, ein: „Beim Future Café geht es gar nicht darum, Personal einzusparen. An vielen Orten, wie Flughäfen oder Bahnhöfen, ist ein derartiges gastronomisches Angebot 24/7 sinnvoll. Dafür findet man nur schwer Mitarbeiter:innen. Und im Vergleich zu konventionellen Getränkeautomaten haben wir noch den Anspruch, dass es schmecken soll.“ Pro Einheit stehen 90 bis 100 Getränke sowie Tabletts mit Snacks in der Kühlung unterhalb des Displays bereit. Der vollautomatische Barista ist aber wohl mehr als ein High-End-Liebhaber-Spielzeug. Die Kosten für das Leasing entsprechen zwei Vollzeitmitarbeiter:innen pro Monat. Demnächst steht das erste Knext Future Café bei Selfridges in London. Die Robotertechnik kommt sehr imposant daher. Anmerkung der Redaktion: Hinter Knext solutions steckt SAR aus Dingolfing. Normalerweise bauen SAR-Roboter bei BMW und Mercedes Autoteile zusammen.

Kaffee-Roboter von Knext
Im Knext Future Café brühen zwei Roboterarme frischen Tee, bedienen einen Kaffeevollautomaten und servieren Snacks.
Foto: Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de

Frischer Automaten-Hummus

Und noch ein Automat fiel beim Gang über die Internorga ins Auge. Genau genommen fielen Schälchen mit appetitlichem Hummus, garniert mit würzigem Sojahack, in den Blick und mussten umgehend gekostet werden. Sunshine Innovations bietet einen Automaten an, der frischen Hummus zubereitet. Dieser ist frei von Zusatzstoffen und hat die Qualität von selbstgemachtem Hummus. Das Geheimnis: gekochte Kichererbsen aus Kanada und Tahini aus Äthiopien. Gideon Amir von Sunshine Innovations führt die Maschine vor, die nach 2:15 Minuten bis zu fünf Kilogramm Hummus produzieren kann. Allerdings stellt sich die Frage, ob orientalische Hausfrauen und -männer eine derartige Automatisierung für frischen Hummus gelten lassen würden. Er gibt eine Frischegarantie für bis zu fünf Tage, aber da greift die sogenannte Hummusregel: Wenn nach fünf Tagen tatsächlich noch etwas vom selbstgemachten Hummus im Kühlschrank sein sollte, stimmt das Rezept nicht. Übrigens sehr sympathisch: Bei Sunshine Innovations arbeiten arabische und jüdischen Mitarbeiter:innen „freundschaftlich“ zusammen.

Weizenproteinbasierte Köstlichkeiten
Weizenproteinbasierte Köstlichkeiten: Pickled cheese bites, Chili cheese nuggets und Blumenkohl-Chicken-Wings.
Foto: Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de

Kommt so bald gar nicht mehr in die Tüte

Nicht nur Personalmangel ist eine Folge der Pandemie. Viele Verpackungshersteller bieten Lösungen für den Müllberg nach der Bestellung beim Lieferservice an, ob aus nachwachsenden Rohstoffen, wie Rasenschnitt oder aus optimal recyclingfähigem Material. Auch RECUP, der bundesweite Pfandbecher-Marktführer mit rund 12.000 Ausgabestellen, hat einen Messestand, auf dem er seine Mehrweg-Schüsseln REBOWL präsentiert. Pressereferentin Greta Mager berichtet: „Mit REBOWL haben wir seit einem halben Jahr bei Lieferando bereits 30 Partner in Berlin und bei Wolt 50 Partner in Berlin und München.“ Das Unternehmen schaut in eine rosige Zukunft, denn ab nächstem Jahr sind Gastronom:innen gesetzlich dazu verpflichtet, 50 Prozent des Außer-Haus-Geschäfts in Mehrwegverpackung anzubieten. Gut für diejenigen, die ein solches Pfandsystem und dessen Reinigungsmöglichkeiten bereits im Lokal implementiert haben.

Mehrweggeschirr
Ab 2023 sind Gastronom:innen gesetzlich dazu verpflichtet, 50 Prozent des Außer-Haus-Geschäfts in Mehrwegverpackung anzubieten.
Foto: Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de

Tischreservierungen, Buchhaltung, Hotel- und Gastromanagement – an Anbietern digitaler Lösungen für die Gastronomie mangelt es nicht. Eine Halle widmete sich ausschließlich diesem Bereich. Die Kellner:in mit Stift und Zettel und das Gästebuch gehören 2022 nach Meinung der zahlreichen App-Entwickler definitiv der Vergangenheit an. Allerdings, nur eine Beobachtung, waren in dieser besagten Halle weitaus mehr Messehostessen und Messehosts als Besucher:innen vor Ort. Muss hier noch mehr Überzeugungsarbeit geleistet werden, wider dem „das haben wir immer schon so gemacht“?

Vegane Speckstreifen und Schinkenwürfel auf Sojabasis aus europäischer Herkunft am Stand von „La Vie“.
Foto: Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de

Tierisch lecker, aber eben ohne

Bei Alternativen für tierische Lebensmittel demonstrierten viele Start-ups und etablierte Unternehmen Kreativität beim Marketing und in der Produktentwicklung. Das französische Start-up „La Vie“ präsentiert beispielsweise vegane Speckstreifen und Schinkenwürfel auf Sojabasis aus europäischer Herkunft. Das Produkt überzeugt geschmacklich und man darf gespannt sein, wann sie einem das erste Mal beim Hotelfrühstücksbuffet begegnen.

Eine super Snackalternative zu Chicken Wings und holländischen Kroketten boten die weizenproteinbasierten Köstlichkeiten von Salomon Foodworld: „Pickled Cheese Bites“ und „Chili Cheese Nuggets“, aber auch „Blumenkohl Chicken Wings“ können demnächst bei Flying Buffets auf Events und in Restaurants verköstigt werden, Regionalität und CO2-Neutralität inklusive.

Aus Aschaffenburg kommt Brizza, die Brezel-Pizza. Erfunden im dortigen Wirtshaus „Wurstbändel“, wartet sie jetzt darauf, die Bundesrepublik zu erobern. Mona Schellhorn servierte sie zur Verköstigung wahlweise mit Weißwurst und süßem Senf oder mit klassischem Flammkuchen-Belag.

Zum Schluss noch herzliche Glückwünsche an Oceanfruit! Das Start-up bietet Feinkostsalate auf Basis europäischer Algen an. Damit haben Sie dieses Jahr den Internorga-Zukunftspreis in der Kategorie „Nahrungsmittel und Getränke“ gewonnen.

Haupt-Artikelbild (oben): © Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert