Teegenuss in höchster Vollendung, das ist der britische Afternoon Tea. Gesellschaftliches Event und gleichzeitig gastronomische Gelegenheit, handwerkliches Können und Kreativität angesichts der Traditionen und Bräuche zu demonstrieren. Lebensmittelmagazin.de lässt sich einschenken.
Pandemie und Politik sorgen bisweilen dafür, seine Freunde viel zu selten zu sehen, besonders wenn sie von der anderen Seite des Ärmelkanals kommen. Was für eine schöne Gelegenheit also, sich zum originär britischen Afternoon Tea zu treffen und sich gemeinsam daran zu erfreuen! Der Innenarchitekt Daniel Reynolds stammt mitten aus dem Herzen Londons und ist Inhaber eines Onlineshops für kuratierte Artefakte internationaler Tischkultur. Damit einhergehend ist seine Leidenschaft für gelebte Tischkultur, insbesondere natürlich die seiner Heimat. Wer wäre besser, nicht nur für einen entspannten Plausch, sondern auch über die Hintergründe und Informationen rund um den Afternoon Tea geeignet?
Britischer Import
Erfreulicherweise ist es nicht zwingend notwendig für den Afternoon Tea ins ferne London zu reisen. Das Hotel Regent am Gendarmenmarkt gehört zu Berlins vornehmsten Adressen und serviert seinen Gästen in der Tea Lounge im Biedermeier-Interieur vor weihnachtlich dekoriertem, prasselndem Kaminfeuer und musikalischer Begleitung am Klavier „Royal Afternoon Tea“. Kerstin Weber ist seit über fünf Jahren Pâtissiere im Hotel Regent Berlin. „Während in Deutschland Kaffee und Kuchen eher für zwischendurch gedacht sind, bedeutet britischer Afternoon Tea das zelebrieren des Genusses. Man nimmt sich Zeit und ist damit selten unter zwei Stunden fertig.“ Dabei seien die Gäste des Afternoons Teas keineswegs in erster Linie Britinnen oder Briten, die die Gelegenheit nutzen, sondern vor allem Berliner. „Gerade jetzt in der Weihnachtszeit ist es besonders schön, nach einem Bummel über den Weihnachtsmarkt bei uns einzukehren“, erklärt die Pressesprecherin des Regents, Carolin Meltendorf.
Abwarten und Tee trinken
Nach der ersten gereichten Étagère, die eine herzhafte Auswahl an Canapés und Finger-Sandwiches bereithält, folgt eine zweite, mit Süßspeisen beladene Étagère, für die Kerstin Weber mit ihrer Kollegin verantwortlich ist. Bevor aber beide gereicht werden, bespricht Kellner Nikolaus die Wünsche zum Tee. Auf der anderen Seite des Salons steht auf einer Anrichte die Assemblage polierter silberner Teedosen. Daniel Reynolds lässt sich für eine Duftprobe die Teedose mit dem empfohlenen Sencha reichen. Meine Wahl ist bereits vorab auf den „Smoky Earl Grey“ gefallen, rauchiger Lapsang Souchong mit den Bergamottenoten von Earl Grey, das verspricht Spannung. Während der Tee zieht, erzählt Daniel ein bisschen aus dem Geschichtsbuch: „Anna, Duchess of Bedford, führte in den 1840er Jahren den Afternoon Tea ein. Damals war es üblich, das Abendessen erst nach 20 Uhr einzunehmen. Gegen den nachmittäglichen Hunger ließ sich die Hofdame Queen Victorias Tee mit Brot und Butter servieren. Tee war damals sehr teuer und ungemein exklusiv. Diese Zwischenmahlzeit wurde von der Upper Class begeistert auf- und übernommen. Brot und Butter wurden schnell abgelöst durch kunstvolles, aufwendiges Gebäck, das konnten Tartelettes sein oder auch Meringe (Schaumgebäck aus gezuckertem Eischnee). Porzellan, auf Englisch auch China genannt, stammte zu der Zeit aus China. Da sich die feinen Damen an den Teeschalen aber die Finger verbrannten, kamen später die Henkel hinzu.“ Während der Kellner Tee in die Tassen gießt, bemerkt der Innenarchitekt: „In England wäre an der Stelle ein dekoratives Teesieb auf der Tasse üblich, das die losen Blätter beim Eingießen auffängt.“ In den Tüllen der Silberkannen sind dementsprechende Siebe eingearbeitet. Über die Regel, vor dem Tee die Milch einzugießen, befindet der britische Freund: „Das ist Unfug. Die Milch soll die Tasse runterkühlen, damit der heiße Tee sie nicht springen lässt. Das stammt aus einer Zeit, als Porzellan noch von minderer Qualität war.“ Mit Blick auf die Meissner Porzellantassen meint er: „Die sollten das schon aushalten. Wer so etwas heutzutage praktiziert, demonstriert eher, dass er nicht zur Upper Class gehört, aber so tut als ob.“
Sound of Silence
Aber apropos Milch, für diese Lektion kommt ausnahmsweise Milch in meinen Tee, hierbei gibt es eine für wichtige Regel: „Nach der Zugabe der Milch sollte man nicht mit dem Teelöffel geräuschvoll in der Tasse rühren, sondern den Löffel von 12 auf 6 Uhr und wieder zurückführen, ohne das Porzellan zu berühren.“ Diese Regel lässt sich übrigens auf klapperndes Besteck beim Essen, aber auch beim Ablegen desselben, erweitern. Der Versuch, dies zu berücksichtigen, vielleicht nur ein Detail, dem man bislang nicht so viel Aufmerksamkeit schenkte, kam einer Achtsamkeitsübung sehr nahe. Noch ein schönes Detail, das Unterschiede zwischen kontinentalen und britischen Tischsitten offenbarte: Während europäische Kinder hoffentlich lernen, nach Beendigung des Essens das Besteck auf dem Teller in der „4:20 Uhr-Position“ abzulegen, legt der aufmerksame Brite Messer und Gabel auf die Position „6:30 Uhr“. Doch zuvor servierte Kellner Nikolaus die zum Tee gereichten Köstlichkeiten auf der Étagère, flankiert mit langen Silberzangen für jeden. Dieser herzhafte erste Gang präsentierte zuoberst Blinis mit Kastaniencreme und „Tête de Moine“-Röschen, einem Vollkorntaler mit Saiblingstatar und Forellenkaviar, sowie Focacce. Eine Etage tiefer liegen die Finger-Sandwiches, breite Streifen appetitlich belegter Toastbrote, mit Roastbeef, geräucherter Entenbrust mit Kirschgeltuffs, Kräuterfrischkäse mit toller Minznote und den klassisch mit Afternoon Tea assoziierten Gurken-Sandwiches – in „modernisierter Fassung“, wie die Pâtissiere vorab verriet.
Teatime, high & low
Auch wenn oft vom „Five o’clock“-Tea die Rede sei, ist die optimale Uhrzeit für Afternoon Tea eher gegen 4 Uhr nachmittags, meint Daniel Reynolds. Der sogenannte „High Tea“, der eher von Arbeitern eingenommen wird, wird später serviert und beinhaltet eine deftig-herzhafte Fleischmahlzeit, kann aber beispielsweise auch eine Suppe sein. Der „Low Tea“ wiederum wird mitnichten früher eingenommen, sondern beschreibt eine ungezwungenere Form, bei der man den Tee auf dem Sofa direkt vom niedrigen Couchtisch genießt. „Den Afternoon Tea zu zelebrieren gilt heutzutage eher als Treatment, Wohltat für sich selbst. Man würde es auch nicht zu Hause vorbereiten. Vielmehr genießt man ihn im Hotel, in schicker Atmosphäre, mit allem was dazugehört, wie sehen und gesehen werden“, erklärt der Gentleman.
Süßer Schluss
Zur zweiten, süßen Étagère gibt es ein Glas Champagner. Hier darf es beim Anstoßen klingen: „Es sei denn, man hat Angst um seine Baccarat-Kristallgläser, weil sein Gegenüber zu kraftvoll anstößt“, schmunzelt Daniel Reynolds. Einer Reminiszenz an den deutschen, weihnachtlichen Plätzchenteller muten zuoberst die Petit Fours, kunstvolle süße Häppchen, an: eine rote Weihnachtskugel mit Erdnussknusperkern, ein verführerisch-cremiger „Zimtstern“ und ein wortwörtlich „prickelndes“ Lebkuchenherz. Auf der Zwischenetage, zwischen Clotted Cream und selbstgekochter Waldfruchtkonfitüre, steht Teekuchen auf Sandteigbasis. Kerstin Weber erklärte dazu: „Als Besonderheit legen wir die Rosinen in Schwarz- und Grüntee ein, die nehmen den Geschmack an und verlieren gleichzeitig die schwere Süße.“ Zuunterst lauern Scones im Versteck einer Stoffserviette zum Warmhalten. Interessanterweise blättern die Scones des Regent Hotels auf, was sie gut zerteilen lässt, britische Scones seien eher fluffig, vor allem aber dreieckig oder rund und nicht rechteckig. Aber man soll sich ja Neuem nicht verschließen. Daniel nimmt sich jeweils einen Klecks Clotted Cream und Konfitüre und legt sie auf seinem Teller ab, bevor er die Sconeshälften damit bestreicht. „Es gibt einen Streit zwischen den britischen Küstenregionen Devon und Cornwall, ob die Clotted Cream, laut Devon, unter die Konfitüre gehört oder umgekehrt,“ berichtet er.
Haupt-Artikelbild (oben): © Hotel Regent Berlin